# taz.de -- Gewalt als Konsequenz des Klimawandels: Keine kühlen Köpfe
       
       > Der Klimawandel ist neben einer ökologischen auch eine soziale Krise.
       > Denn steigende Temperaturen bedeuten mehr Gewalt, sagen Wissenschaftler.
       
 (IMG) Bild: Während eines Waldbrandes muss eine indonesische Bäuerin selbst für Niederschläge sorgen
       
       Hitzewelle in den Weltmeeren, Eisschmelze in der Arktis, Waldbrände in
       Kanada – laut einer Analyse des europäischen Erdbeobachtungsprogramms
       Copernicus wird [1][2023 das wärmste Jahr seit 125.000 Jahren].
       
       Dass im Mittelmeer ein [2][Medicane] wütete und in der Wüste von Libyen
       tausende Menschen durch eine Flutkatastrophe starben, hat man vor lauter
       Kriegsnachrichten aus Nahost und der Ukraine fast vergessen, was auch
       deshalb so fatal ist, weil sich der Klimawandel wahrnehmungspsychologisch
       so schwer greifen lässt. Es gibt keinen lauten Knall oder Rauch, der
       signalisiert: Hey, das ist gefährlich!
       
       Doch solche Extremwetterereignisse werden in Zukunft häufiger und heftiger
       – mit Folgen: Nahrungsmittelpreise werden weiter steigen, wenn
       Containerschiffe den Panamakanal wegen ausbleibender Regenfälle nicht
       passieren können und die Gemüsegärten verdorren, Menschen fliehen, wenn
       Ernten ausfallen und Häuser zerstört werden. Der Klimawandel ist neben
       einer ökologischen eine soziale Krise, die die Schwächsten der Gesellschaft
       am härtesten trifft.
       
       ## Gewalt nimmt mit höherer Temperatur zu
       
       Besonders drastisch zeigt das [3][eine Studie internationaler
       Wissenschaftler]. Sie haben herausgefunden, dass die Erderwärmung in
       südasiatischen Ländern mit erhöhter häuslicher Gewalt gegen Frauen
       einhergeht.
       
       In der Langzeitstudie wurden knapp 200.000 Mädchen und Frauen im Alter
       zwischen 15 und 49 Jahren in Indien, Pakistan und Nepal im Zeitraum
       zwischen 2010 und 2018 über ihre Erfahrung mit emotionaler, physischer und
       sexualisierter Gewalt befragt. Ergebnis: Mit einem Grad steigender
       Durchschnittstemperatur nimmt die physische Gewalt um acht Prozent zu, die
       sexualisierte Gewalt um 7,3 Prozent.
       
       Klar: Korrelation bedeutet nicht gleich Kausalität. Nur weil die
       Außentemperatur steigt, wird ein Mann nicht gleich gewalttätig. Doch die
       Forscher präsentieren eine schlüssige Kausalkette, die dieses Phänomen
       erklären kann: Extremereignisse vernichten Ernten, die Familien verlieren
       ihr Einkommen, die Männer bleiben zu Hause und reagieren dort ihren Frust
       ab – an Frauen.
       
       Auch in Kenia, wo 75 Prozent der Menschen ihr Einkommen aus der
       Landwirtschaft beziehen, führt der Klimawandel zu ökonomischem Stress, der
       sich in häuslicher Gewalt entlädt. Der Zusammenhang zwischen Extremwetter
       und genderbasierter Gewalt ist sehr robust, wie [4][eine Metastudie]
       belegt.
       
       ## Ökonomischer Stress wird zu häuslicher Gewalt
       
       Gerade in den patriarchalischen Gesellschaften, wo Männer noch die Rolle
       des Familienoberhaupts und „Haupternährers“ einnehmen, verstärkt die durch
       die Erderhitzung hervorgerufene ökonomische Instabilität und
       Versorgungsunsicherheit die ohnehin schon starke Abhängigkeit von Frauen zu
       Männern.
       
       Man kann den Zusammenhang zwischen der Erderwärmung und erhöhter
       Gewaltbereitschaft aber nicht nur auf soziologischer Ebene, also innerhalb
       von Familien, sondern auch in der gesamten Gesellschaft beobachten.
       
       So haben die Ökonomen Marshall Burke, Solomon M. Hsiang und Edward Miguel
       [5][in einer quantitativen Studie] aufgezeigt, dass mit steigenden
       Temperaturen die Konflikte zwischen Gruppen zunehmen: So sind zum Beispiel
       Spannungen zwischen Hindus und Muslimen in Zentralasien wahrscheinlicher,
       wenn Regenfälle heftiger ausfallen und Ernten vernichten.
       
       Es ist kein Zufall, dass sich die größten Volkswirtschaften der Welt mit
       einem robusten Konfliktmanagement in einem Temperaturoptimum von 13 Grad
       Celsius Durchschnittstemperatur clustern.
       
       ## Größte Volkswirtschaften bei 13 Grad Celsius
       
       Wissenschaftler haben immer wieder auf die Verteilungskämpfe um knappe
       Ressourcen wie Wasser oder Getreide hingewiesen, die in multiethnischen
       Gesellschaften mit schwachen staatlichen Strukturen und fehlender sozialer
       Absicherung nicht mehr moderiert werden können und in kriegerische
       Auseinandersetzungen münden.
       
       So ist womöglich die jüngste Putsch-Welle in der Sahel-Zone durch den
       Klimawandel verursacht worden: Die Ökonomen [6][Ahmadou Aly Mbaye und
       Landry Signé zeigen in einem Paper] auf, dass die Zahl der Konflikte in
       Subsahara-Afrika mit dem Anstieg der Temperaturen und unvorhersehbaren
       Regenfällen in den letzten Jahren massiv angestiegen ist. Auch der syrische
       Bürgerkrieg könnte nach Ansicht einiger Forscher durch eine klimabedingte
       Dürreperiode ausgelöst worden sein.
       
       Natürlich kennt die Friedens- und Konfliktforschung viele Konfliktursachen
       wie Armut, Ungleichheit oder Nationalismus, und die Konfliktdynamiken in
       Bürgerkriegsregionen sind teilweise so komplex, dass es schwierig ist,
       zwischen einzelnen Auslösern und Ursachen zu differenzieren. Dürren
       scheinen einer dieser Auslöser zu sein.
       
       Der Klimawandel wird die Verteilungskonflikte verschärfen und damit auch
       die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen erhöhen. Wasserkriege,
       wie sie sich bereits zwischen den Anrainerstaaten des Nils abzeichnen,
       werden in Zukunft häufiger.
       
       ## Es werden notorische Klimaleugner gewählt
       
       Obwohl die Folgen des Klimawandels evident sind, wurden zum Beispiel mit
       [7][Jair Bolsonaro] in Brasilien oder Donald Trump in den USA zwei
       notorische Klimaleugner ins Präsidentenamt gewählt. Der Umweltforscher
       [8][Joel Millward-Hopkins hat in einem Essay] auf die Paradoxie aufmerksam
       gemacht, warum die Auswirkungen des Klimawandels die Reduktion von
       Emissionen gerade nicht wahrscheinlicher machen.
       
       Die Folgen des Klimawandels, die auch in den USA in Form von Hitzewellen,
       Überflutungen und Ernteausfällen zu spüren sind, führen zu mehr
       Ungleichheit, Flüchtlingsbewegungen und Kriminalität, was den Ruf nach
       starken Führern lauter werden lässt, die wiederum die Migration gegenüber
       der Klimapolitik priorisieren. Man baut lieber Mauern als Windräder.
       
       Die globale Erderwärmung befeuert also eine Form des autoritären
       Populismus, was man auch hierzulande in der [9][Debatte um das
       Heizungsgesetz] beobachten konnte, wo die AfD mit aggressiven Wahlplakaten
       wie „Heizen wir der Ampel ein“ oder „Heizhammer stoppen“ Stimmung machte.
       Zu sagen, man müsse in der Schwüle des Deutens und Meinens einen kühlen
       Kopf bewahren, wäre psychopolitisch zu kurz gegriffen. Fakt aber ist: Die
       Erderwärumng beeinflusst längst auch das soziale Klima.
       
       10 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Oktober-so-warm-wie-nie/!5968587
 (DIR) [2] /Das-Hurrikanjahr-2017/!5460714
 (DIR) [3] https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/2806604
 (DIR) [4] https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(22)00088-2/fulltext
 (DIR) [5] https://gspp.berkeley.edu/assets/uploads/research/pdf/Hsiang_Burke_Miguel_2013.pdf
 (DIR) [6] https://www.brookings.edu/articles/climate-change-development-and-conflict-fragility-nexus-in-the-sahel/
 (DIR) [7] /Ehemaliger-brasilianischer-Praesident/!5944457
 (DIR) [8] https://www.cambridge.org/core/journals/global-sustainability/article/why-the-impacts-of-climate-change-may-make-us-less-likely-to-reduce-emissions/EEB33A2E7ED25E621872DF39122D7A52
 (DIR) [9] /Streit-um-Habecks-Heizungsgesetz/!5938321
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Lobe
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wissenschaft
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) häusliche Gewalt
 (DIR) Dürre
 (DIR) Katastrophe
 (DIR) Studie
 (DIR) Ökonomie
 (DIR) Populismus
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Haushalt
 (DIR) Rot-Grün Hamburg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) 2023 – Jahr der Klimarekorde: Extrem ist das neue Normal
       
       In Deutschland und weltweit war 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der
       Industrialisierung. Das nächste könnte nochmal schlimmer werden.
       
 (DIR) Oktober so warm wie nie: Welt ist zu heiß und zu dreckig
       
       Trotz existenzieller Folgen der Klimakrise soll die Förderung von Kohle, Öl
       und Gas noch wachsen. Die Folge: die CO₂-Emissionen steigen weiter.
       
 (DIR) Berliner Abgeordnetenhaus: Milliarden gegen die Krise(n)
       
       Beim Klima-Sondervermögen sorgt im Hauptausschuss des Landesparlaments
       nicht das große Ziel für Kritik, sondern der Weg dahin.
       
 (DIR) Fridays for Future plant Volksinitiative: Hamburgs Klimagesetz Beine machen
       
       Die Hamburger Ortsgruppe von Fridays for Future will die Stadt zum
       schärferen Klimaschutz zwingen. Dafür soll ab Januar eine Volksinitiative
       starten.