# taz.de -- Karlsruher Urteil zum Klimafonds: Schuld ist die Schuldenbremse
       
       > Coronagelder für Klimaprojekte zu nutzen ist laut dem
       > Bundesverfassungsgericht unzulässig. Warum das Grundgesetz jetzt eine
       > Renovierung braucht.
       
 (IMG) Bild: Zerknirschte Ampel-Männchen: Für Klimaschutzminister Habeck (r.) ist das Urteil besonders bitter
       
       Worum geht es bei dem Streit um die Schuldenbremse? 
       
       60 Milliarden Euro, eine ziemlich große Summe, hat das
       Bundesverfassungsgericht aus dem Haushalt der Bundesregierung
       herausgestrichen. Die Richterinnen und Richter attestierten der
       Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, [1][die Schuldenbremse im
       Grundgesetz verletzt zu haben]. Kaum war das Urteil veröffentlicht, begann
       die Diskussion über die Konsequenzen. Zentrale Fragen: Kann und soll die
       Schuldenbremse so weiterbestehen wie bisher? Oder schränkt sie die
       Handlungsmöglichkeiten der Regierung zu sehr ein?
       
       Wie funktioniert die Bremse? 
       
       Die Regel im Grundgesetz sieht vor, dass sich der Bund mit maximal 0,35
       Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr zusätzlich verschulden
       darf. Wenn die Konjunktur schlecht läuft, dürfen ein paar Milliarden Euro
       hinzukommen. Die Bundesländer können sich in der Regel nicht verschulden,
       was auch die Finanzierung der Städte und Gemeinden begrenzt. Es gibt
       Ausnahmen für „außergewöhnliche Notlagen und Naturkatastrophen“. Dann sind
       auch sehr große Kreditaufnahmen von mehreren hundert Milliarden Euro
       möglich. Allerdings verlangt das Grundgesetz in solchen Fällen einen
       Tilgungsplan: Die zusätzlichen Schulden müssen komplett zurückgezahlt
       werden. Für die Corona-Kredite soll das ab 2028 geschehen. Das kostet den
       Bundeshaushalt dann zunächst 12 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz steigend.
       
       Wie kam es zur Schuldenbremse? 
       
       Der Bundestag beschloss die Regel am 29. Mai 2009. Kanzlerin Angela Merkel
       (CDU) regierte in ihrem ersten Kabinett zusammen mit der SPD. Peer
       Steinbrück (SPD) war Finanzminister. Union und Sozialdemokraten stimmten
       dafür, Grüne und Linksfraktion dagegen, die FDP enthielt sich. Es war die
       Zeit der Weltfinanzkrise. Der Staat stellte hunderte Milliarden Euro
       bereit, um gescheiterte Banken und die Wirtschaft insgesamt vor dem Kollaps
       zu bewahren. Die Schuldenbremse sollte auch dazu dienen, Wähler:innen
       und Politiker:innen die Angst vor einer gigantischen Verschuldung zu
       nehmen.
       
       Was hat sie bisher bewirkt? 
       
       Wenig. Erst gab es eine Übergangszeit, bis sie richtig in Kraft war. Dann
       kamen die guten Jahre. Die Wirtschaft lief, die Zahl der Beschäftigten nahm
       zu, die Löhne wuchsen. Die Regierungen freuten sich jedes Jahr über
       Rekordeinnahmen, die Einnahmen überstiegen die Ausgaben. Es wurden sogar
       kleine Reserven für schlechtere Zeiten angelegt. Dann folgte die
       Coronapandemie, und erstmals zog die Bundesregierung – wieder Union und SPD
       – die Katastrophenkarte. Jetzt wirkt die Bremse zum ersten Mal blockierend.
       Die Konjunktur ist schwach, die Summe der möglichen Kredite klein, der
       Finanzbedarf jedoch groß.
       
       Brauchen wir die Bremse, um Inflation zu verhindern? 
       
       Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) befürchtet, zusätzliche
       schuldenfinanzierte Staatsausgaben würden die Preissteigerung weiter
       anheizen – zulasten der Privathaushalte und Unternehmen. Der Mechanismus:
       Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, können Verkäufer höhere Preise
       aufrufen. Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
       widerspricht: „Moderat höhere Staatsschulden würden momentan die Inflation
       nicht oder kaum antreiben.“ Zwar erhöhen kreditfinanzierte öffentliche
       Ausgaben die Nachfrage, doch eine zu hohe Nachfrage sei nicht der Grund der
       augenblicklichen Inflation. „Die Preisanhebungen für Energie und andere
       Güter beruhen unter anderem auf Verknappungen des Angebotes und
       geopolitischen Spannungen“, so Beznoska.
       
       Ist die Bremse nötig, um Überschuldung zu verhindern? 
       
       Darauf weist Finanzminister Lindner immer wieder hin. Für heute
       aufgenommene Kredite muss die nächste Generation die Zinsen bezahlen. Wenn
       dann aber, wie zu erwarten, wegen der Verrentung der geburtenstarken
       Jahrgänge weniger Beschäftigte arbeiten als heute, mag es ihnen schwerer
       fallen, den Schuldendienst zu leisten. Die Schulden, die pro Kopf zu tragen
       seien, würden aus dem Ruder laufen. Auch hier liefert IW-Ökonom Beznoska
       ein Gegenargument.
       
       Wenn die jährliche Neuverschuldung niedriger liege als das
       Wirtschaftswachstum, erklärt er, gebe es kein grundsätzliches Problem.
       Dann nähme die gesamtstaatliche Verschuldung sogar ab, und die
       Staatsfinanzen blieben stabil. Bei einem angenommenen Zuwachs des BIPs von
       1,5 Prozent könnte die Kreditaufnahme also durchaus 1 Prozent betragen, und
       nicht nur 0,35 Prozent, wie die Schuldenbremse momentan gestattet. Aus dem
       steigenden BIP sollten sich auch die Zinsen finanzieren lassen. Die
       Regierung hätte dann einen größeren Spielraum für Ausgaben, zum Beispiel
       für nötige Investitionen.
       
       Was wäre der Sinn einer Reform? 
       
       Solche Überlegungen laufen auf eine Änderung der Schuldenbremse hinaus,
       [2][nicht ihre Abschaffung]. Ökonominnen und Ökonomen wie Monika Schnitzer
       (Wirtschaftsweise), Achim Truger (Wirtschaftsweiser), Marcel Fratzscher
       (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) und Michael Hüther (IW)
       brachten die Idee ins Spiel, [3][staatliche Investitionen von der
       Schuldenbremse auszunehmen].
       
       Für Konsumausgaben wie Rente, Gehälter, soziale Sicherung würde sie weiter
       gelten. Ausgaben aber, die Werte für künftige Generationen schaffen, könnte
       der Staat in größerem Umfang mit Krediten finanzieren, etwa die Förderung
       für Solar- und Windkraftwerke, Subventionen für Stahlerzeuger, die von
       Kohle auf grünen Wasserstoff umsteigen und die Modernisierung der Schulen.
       Auch die bessere Ausrüstung der Bundeswehr könnte darunter fallen – als
       Investition in die Sicherheit gegenüber Russland.
       
       Wie realistisch ist eine Reform? 
       
       Momentan erscheint sie unwahrscheinlich. SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken
       und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wären wohl dafür. Die letzten
       Reste der Linksfraktion im Bundestag vielleicht auch. Eine
       verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit haben diese Parteien aber nicht.
       Union und FDP lehnen eine Lockerung der Schuldenbremse ab, ebenso die AfD.
       Wer weiß, vielleicht wäre das ein Kompromiss: Union und FDP bekommen eine
       Steuersenkung für Unternehmen, SPD und Grüne im Gegenzug eine Lockerung der
       Schuldenbremse?
       
       17 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Karlsruher-Urteil-zu-Klimafonds/!5969800
 (DIR) [2] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!5969813
 (DIR) [3] /Oekonom-ueber-die-Schuldenbremse/!5952705
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Klimaschutzziele
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
 (DIR) GNS
 (DIR) Das Milliardenloch
 (DIR) Schwerpunkt Grundgesetz
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) Haushaltskrise
 (DIR) Robert Habeck
 (DIR) Schuldenbremse
 (DIR) Klima
 (DIR) Erderwärmung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Schuldenregeln: Berlin und Paris einigen sich
       
       Seit 2020 sind die EU-Schuldenregel wegen Pandemie und Ukraine-Krieg
       ausgesetzt. 2024 sollten sie wieder gelten, weshalb eine Reform drängt.
       
 (DIR) Nach dem Urteil zum Klimafonds: Haushalten und zusammenhalten
       
       In der Bundesregierung herrscht weitestgehend Einvernehmen über die
       Planungssperre. Doch die Unsicherheit färbt auf die Koalition ab.
       
 (DIR) Finanzpolitik der Ampel-Koalition: Die Regierung muss nun prüfen
       
       Nach dem Klimafonds-Urteil ist offen, wie die 60-Milliarden-Lücke gefüllt
       wird. Wirtschaftsminister Habeck warnt vor Folgen für die Industrie.
       
 (DIR) Ökonom über Bremens Klimafonds: „Klimafonds besser begründet“
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der Bund darf für die
       Coronakrise gedachtes Geld nicht für Klimaschutz nutzen. Was heißt das für
       Bremen?
       
 (DIR) Nach Karlsruher Urteil zum Bundesetat: Milliardenlücke im Klimafonds
       
       Die Ökonomin Claudia Kemfert schlägt vor, den Klimanotstand auszurufen.
       Dann könnte die Regierung das 60-Milliarden-Loch im Klimafonds schließen.
       
 (DIR) Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Schuldenbremse muss weg
       
       Der Plan der Ampel, Restgeld aus dem Coronatopf in die Klimapolitik
       umzuleiten, funktioniert nicht. Mittel für die Transformation müssen
       trotzdem her.