# taz.de -- Haushaltskrise nach Karlsruher Urteil: Bibbern statt Vorfreude im Advent
       
       > Die nächsten Wochen werden stressreich für die Ampelkoalition. Ein
       > Kompromiss über den Haushalt verlangt von SPD, FDP und Grünen klare
       > Zugeständnisse.
       
 (IMG) Bild: Blaue Stunde im Regierungsviertel, Berlin 15.11.2023
       
       Vorfreude, schönste Freude, Freude im Advent. Es ist Adventszeit, aber
       Vorfreude kommt in der Ampel kaum auf. Eher Bibbern, ob der Haushalt für
       2024 möglichst noch vor Weihnachten verabschiedet werden kann. Und ob ein
       Kompromiss gelingt, der erstens für alle drei Partner gesichtswahrend und
       zweitens verfassungsgemäß ist. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein, damit
       die Ampel eine Zukunft hat. Eine weitere juristische Niederlage kann sich
       die Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP nicht leisten.
       
       Die [1][Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts], dass die im
       Grundgesetz hinterlegte Schuldenobergrenze nicht durch Buchungstricks
       umgangen werden kann, zeigt: Die Ampel handelte verfassungswidrig, als sie
       60 Milliarden an Nothilfekrediten in der Coronapandemie für den
       klimaneutralen Umbau im Klimafonds parkte. Seitdem hat sie nicht nur ein
       massives Finanzproblem, ihr fehlt auch der Schmierstoff für eine
       reibungsarme Zusammenarbeit.
       
       Dank des Buchungstricks ließen sich die Gegensätze der Partner:innen
       kaschieren. Die FDP konnte die [2][Einhaltung der Schuldenbremse] auf dem
       Papier feiern, während SPD und Grüne dank der geparkten Milliarden in
       Nebenhaushalten weiterhin üppig in Klimaschutz und in den sozialen
       Ausgleich buttern konnten. Ob diese Geschäftsgrundlage noch einmal hält,
       wird der Haushalt für 2024 zeigen.
       
       Die FDP will repriorisieren – ein Euphemismus für Kürzungen – Grüne und SPD
       wollen weder Abstriche im Sozialen noch beim Klimaschutz. Finanzminister
       Christian Lindner beziffert das Loch im Haushalt auf 17 Milliarden Euro,
       was angesichts eines Gesamthaushalts von 450 Milliarden gar nicht so viel
       erscheint. Aber hinzu kommen die Subventionen, die aus dem arg geschröpften
       Klimafonds bezahlt werden sollten – für neue Bahnschienen, für
       [3][Wärmepumpen], für [4][Chipfabriken].
       
       So dürfte das Haushaltsloch wahrscheinlich eher doppelt so groß sein. Grüne
       und SPD drängen nun darauf, erneut die Schuldenbremse auszusetzen. Und zwar
       mit Verweis auf den andauernden [5][Krieg Russlands gegen die Ukraine]. Die
       militärische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine
       ließe sich als notlagenbedingte Sonderausgaben deklarieren, so die
       Hoffnung. Das würde zusätzliche Spielräume im zweistelligen
       Milliardenbereich eröffnen.
       
       ## Die Union würde wieder klagen
       
       Überzeugen müssen Olaf Scholz und Robert Habeck nicht nur Finanzminister
       Lindner, sondern auch das Verfassungsgericht. Denn die Union wird wohl
       umgehend gegen eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse klagen. Gewänne
       sie, wäre das Ende der Ampel besiegelt. Zwar wären sofortige Neuwahlen kaum
       realistisch. Für ein konstruktives Misstrauensvotum fände die Union im
       Bundestag derzeit keine Mehrheit. Doch die Ampel wäre in einer
       Zerreißprobe, die sie spätestens bei der Bundestagswahl 2025 zerfetzen
       würde.
       
       Denn für einen ausgeglichenen Haushalt müsste die Ampel entweder kräftig
       sparen oder aber die Einnahmen, sprich Steuern, erhöhen. Eine FDP, die
       Reiche schröpft? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Und dass die SPD,
       die mühsam das Erbe von Gerhard Schröder und Franz Müntefering abgestreift
       und sich als Sozialstaatspartei zurückgekämpft hat, das Bürgergeld oder die
       Rente wieder zur Disposition stellt, ist ebenso unwahrscheinlich. Die
       Grünen wiederum fühlen sich durch das [6][Urteil des Berliner
       Verwaltungsgerichts] bestärkt, beim Klimaschutz Tempo zu machen.
       
       Die vierte Möglichkeit, die Schuldenbremse so zu reformieren, dass
       Investitionen, die kommenden Generationen zugutekommen, zulässig sind,
       scheitert derzeit an der Union. Dort mehren sich zwar Zweifel, ob eine
       solch strikte Schuldenobergrenze, wie Deutschland sie sich verordnet hat,
       zeitgemäß ist. Aber Unionschef Friedrich Merz wird einen Teufel tun, sein
       bestes Druckmittel gegen die Ampel freiwillig aus der Hand zu geben.
       
       Doch selbst wenn die Ampel es für 2024 noch einmal schafft, einen Haushalt
       aufzustellen und mit Verweis auf den Ukrainekrieg von der Schuldenbremse zu
       gehen – der Investitionsbedarf für die nächsten Jahre ist immens. Eine
       Regierung kann sich nicht Jahr für Jahr auf Notlagen berufen. Deutschland
       in der Dauerkrise – da wird selbst die gutwilligste Verfassungsrichterin
       irgendwann stutzig.
       
       Langfristig gibt es wohl nur einen Weg aus der Zwangslage: Eine große
       Koalition hat die Schuldenbremse eingeführt, eine ganz große wird sie
       reformieren. Dann, wenn die Union in der Regierung ist. Eine Union, der
       derzeit nicht viel einfällt außer „Zurück in die 90er“. Vorfreude fühlt
       sich anders an.
       
       2 Dec 2023
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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