# taz.de -- SPD-Politikerin über Bildung und Kultur: „Das wühlt mich auf“
       
       > Die neue KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) beklagt
       > fehlende Bildungsmilliarden. Die Schulpolitik im Saarland lobt sie
       > hingegen.
       
 (IMG) Bild: Eine Sorge der neuen KMK-Präsidentin: das Ausbleiben des Digitalpakts 2.0 für Schulen
       
       taz: Frau Streichert-Clivot, als neue KMK-Präsidentin müssen Sie den
       Pisa-Scherbenhaufen wegkehren, den Fachkräftemangel anpacken, einen
       gemeinsamen Umgang mit KI an Schulen finden. Dazu kommen schwierige
       Verhandlungen mit dem Bund. Womit fangen Sie an? 
       
       Christine Streichert-Clivot: Die drängenden Themen liegen absolut auf der
       Hand. Der Fachkräftemangel beispielsweise wird Thema meiner ersten
       Kultusministerkonferenz als Präsidentin im März sein. Auch bei der Reform
       der KMK werden wir in diesem Jahr wichtige Entscheidungen treffen. Bei der
       Absprache mit dem Bund sind wir übrigens schon mittendrin. Das Jahr ist
       geendet und hat begonnen mit den Verhandlungen zum Startchancenprogramm.
       Bis Ende des Monats wollen wir das möglichst abschließen. Hier drängt die
       Zeit.
       
       Mit dem Startchancenprogramm wollen Bund und Länder [1][4.000
       Brennpunktschulen bundesweit] unterstützen. Im Sommer soll es losgehen –
       die Bund-Länder-Vereinbarungen sind aber immer noch nicht unterschrieben.
       Ist ein Start zum neuen Schuljahr überhaupt noch realistisch? 
       
       Das ist und bleibt eine große Herausforderung. Der Bund hat uns erst kurz
       vor Weihnachten den Entwurf der Verwaltungsvereinbarung vorgelegt. Wir
       Länder fassen gerade noch unsere Anmerkungen zusammen. Es hätte natürlich
       Druck rausgenommen, wenn der Entwurf schon früher vorgelegen hätte. Jetzt
       geht es darum, dass wir das Programm schnell umsetzen. Die Schulen müssen
       schließlich die Gelegenheit haben, sich vor der Start rechtzeitig mit dem
       Programm zu befassen.
       
       Haben Sie in den Ländern eigentlich schon die ersten 1.000 Schulen
       ausgewählt, die noch in diesem Jahr die zusätzlichen Startchancen-Mittel
       erhalten sollen? 
       
       Für das Saarland kann ich sagen, dass wir uns natürlich Gedanken gemacht
       haben, welche Schulen wir in die Auswahl nehmen. Aber wir können erst dann
       mit den Schulträgern in weitere Verhandlungen gehen, wenn wir die
       Sicherheit haben, dass das Programm so kommt, wie es jetzt auf dem Tisch
       liegt. Und die Kommunen werden natürlich dann noch genau prüfen wollen,
       welche Kosten mit dem Programm dann auf sie zukommen werden. Es wird noch
       ein anstrengender Lauf bis zum Sommer werden. Alle Beteiligten eint aber
       der Wunsch, dass das Startchancenprogramm bald kommt. Es ist ein wichtiger
       Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit.
       
       Die anhaltend hohe Chancenungleichheit in Deutschland hat auch [2][die
       jüngste Pisa-Studie] wieder angeprangert. Wieso bekommt unser
       Bildungssystem das seit mehr als 20 Jahren nicht auf die Kette? 
       
       Die Ergebnisse der Pisa-Studie waren nicht überraschend. Aber sie wühlen
       mich immer noch sehr auf. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und
       Bildungserfolg ist immer noch sehr stark und vielleicht sogar wieder
       stärker geworden. Das ist für mich auch ein Anlass zu fragen: Wie stellen
       wir unsere Schulen auf, damit dieser Zusammenhang reduziert werden kann.
       Auch wenn ich nicht glaube, dass Schulen oder Kitas alleine darauf eine
       Antwort finden werden.
       
       Sondern? 
       
       Wir müssen darauf schauen, warum es Schülerinnen und Schüler nicht gut
       geht. Wenn ich Sorge habe, dass meine Eltern ihren Arbeitsplatz verlieren,
       dann kann ich mich nicht einfach auf den Lernstoff konzentrieren. Wenn ich
       gerade meine Flucht- oder Kriegserfahrung verarbeite, habe ich vielleicht
       ein Bedürfnis nach therapeutischer Begleitung. Das sind keine Aufgaben, die
       die Lehrkräfte alleine bewältigen können. Wir müssen anerkennen, dass die
       Schulen je nach Lage unterschiedliche Bedürfnisse haben – und sie
       entsprechend ihrer Bedarfe ausstatten. Heute ist bei uns im Saarland
       beispielsweise die Jugendhilfe viel stärker an den Schulen als noch vor
       zehn oder fünfzehn Jahren.
       
       Vieler Ihrer Amtskolleg:innen sehen in der gestiegenen Heterogenität
       der Klassen offenbar das größte Hindernis für guten Unterricht und gute
       Leistungen. Sie auch? 
       
       Die Tatsache, dass mehr Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten nach
       Deutschland gekommen sind, kann natürlich nicht allein die sinkenden
       Schulleistungen erklären. Diese Darstellung halte ich für verkürzt. Zum
       einen sind immer mehrere Faktoren dafür verantwortlich, dass Kinder und
       Jugendliche Herausforderungen haben. Zum anderen beobachte ich, dass
       Schulen in besonders herausfordernder Lage meistens sehr gute Ideen
       entwickeln, wie sie mit der Heterogenität umgehen. Ein Umgang mit den
       Pisa-Ergebnissen bedeutet daher auch: zu hinterfragen, wie gut wir die
       Schulen steuern.
       
       Das Saarland scheint da gut aufgestellt. Neben Sachsen und Hessen sind Sie
       das einzige Bundesland, wo fast 100 Prozent der Schulen Ganztagsbetreuung
       anbieten. Dennoch fallen auch die Leistungen der saarländischen
       Schüler:innen deutlich ab. Das zeigen die IQB-Vergleichstests für die 4.
       und 9. Klasse. 
       
       Auch im Saarland stellen wir fest, dass die Zahl der armutsgefährdeten
       Schüler:innen steigt. Auch die Folgen des Ukrainekrieges und anderer
       Konflikte spüren wir besonders an den Gemeinschaftsschulen. Deshalb ist es
       wichtig, mehr multiprofessionelle Teams an die Schulen zu bringen. Wir
       haben im Saarland die Schulsozialarbeit gesetzlich verankert. Und wir haben
       die Sprachförderung so gestärkt, dass die Sprachförderkräfte heute
       unbefristet an unseren Schulen arbeiten können. Die Gemeinschaftsschulen
       stärken wir auch personell.
       
       Bildungsforscher:innen betonen seit Jahren, dass auch Kitas eine
       wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Chancenungerechtigkeit spielen
       könnten – wenn sie Bildungsorte wären und nicht nur reine Betreuungsorte. 
       
       Ich würde sagen, Kitas sind heute schon Bildungsorte. Wir merken aber, dass
       die Nachfrage steigt, wenn wir das Angebot ausbauen und die Eltern von den
       Gebühren befreien. Dafür benötigen wir genügend Fachkräfte. Deshalb gehen
       wir den Weg der praxisintegrierten Ausbildung. Anders als früher verdienen
       die angehenden Erzieher und Erzieherinnen heute bereits während der
       Ausbildung Geld. Diese Fachkräfte werden nicht nur in Kitas nachgefragt,
       sondern auch in der Ganztagsbetreuung oder in der Jugendarbeit. Es ist ein
       Zukunftsberuf.
       
       Sie haben angekündigt, sich während Ihrer Amtszeit als KMK-Präsidentin
       stärker mit den Familienminister:innen auszutauschen. Die hoffen
       ja, dass sich der Bund auch nach 2025 weiter [3][finanziell bei der
       Kita-Qualität] beteiligt. Bringt sich die KMK jetzt stärker in die
       frühkindliche Bildung ein? 
       
       Wir haben im vergangenen Jahr die Zusammenarbeit mit der Jugend- und
       Familienministerkonferenz zum ersten Mal institutionalisiert. Das wollen
       wir in diesem Jahr fortführen. Und ja: Natürlich gibt es das große
       Interesse, dass sich der Bund wie versprochen nicht aus der Finanzierung
       der Kita-Qualität zurückzieht. All das, was wir für die Schulen verhandeln
       – die Stärkung der Einrichtungen durch multiprofessionelle Teams etwa –,
       gilt auch für den Kitabereich.
       
       Ihre Vorgänger:innen haben die KMK-Präsidentschaft unter ein bestimmtes
       Motto gestellt, Sie haben für Ihre Amtszeit die Leitidee „Bildung in Zeiten
       des Wandels – Transformation mutig gemeinsam gestalten“ ausgewählt. Wo
       fehlt es Ihnen derzeit an Mut?
       
       Mutig zu sein heißt für mich, neue Wege zu denken und nicht immer die
       gleichen Antworten zu finden. Aber auch, stärker in die KMK zu tragen, was
       in einem Bundesland gut funktioniert und was nicht. Das möchte ich in
       meiner Amtszeit beherzt angehen. Ich habe lange darüber nachgedacht, unter
       welches Motto ich die Präsidentschaft stelle. Aber anhand der vielen
       Herausforderungen, die wir uns in diesem Jahr stellen müssen, wollte ich
       mich nicht auf ein Thema festlegen.
       
       Unter anderem steht eine KMK-Reform an. Eine eigens beauftragte Schweizer
       Unternehmensberatung empfiehlt in ihrem Gutachten etwa schlankere
       Strukturen und besseres Monitoring. 
       
       Das Gutachten hat gezeigt, dass wir eine sehr hohe Anzahl von Gremien
       haben, die uns zeitlich sehr binden. Und da rede ich nicht nur von uns
       Minister:innen, sondern von allen Ebenen in den Ministerien. Diese Gremien
       sind personell aber teils wenig miteinander verzahnt. Das heißt, wir reden
       manchmal ein Stück weit aneinander vorbei. Das ist nicht gut. Wir brauchen
       schnellere Entscheidungen, damit wir auf der KMK die großen politischen
       Themen besprechen können.
       
       Über manche Themen brütet die KMK schon Jahre, oft sind sich die Länder bei
       der Umsetzung uneinig. Braucht es zum schnelleren Handeln vielleicht eine
       „Koalition der Willigen“, wie Bundesbildungsministerin Bettina
       Stark-Watzinger fordert? 
       
       Wir haben ja heute schon eine Koalition der Willigen. Im
       Bildungsföderalismus geht es ja darum, die besten Wege für die einzelnen
       Bundesländer zu finden und sich bei der Suche nach funktionierenden
       Konzepten aufzuteilen. Beim Digitalpakt haben die Länder gezeigt, wie die
       Koalition der Willigen in der Praxis funktioniert. Die Länder arbeiten
       zusammen und entwickeln gemeinsam etwas, was auf alle 16 Länder übertragbar
       ist. Es gibt diese Modelle – und die Bereitschaft sie weiterzuführen.
       
       Der Digitalpakt [4][läuft im Juni aus], die Kommunen wissen nicht, wer
       danach die Personal- und Wartungskosten an den Schulen übernimmt. Die Ampel
       möchte den neuen Digitalpakt frühestens 2025 auflegen. 
       
       Wir wissen, dass der Bund in der zweiten Jahreshälfte 2024 keine
       Anschlussfinanzierung leisten wird. Wir Länder haben aber die klare
       Erwartung, dass der Digitalpakt dann 2025 kommt. Die Strukturen, die wir
       während der Pandemie aufgebaut haben, drohen ansonsten wegzubrechen.
       
       Was ist mit den laufenden Kosten der Schulträger? Springen bis 2025 die
       Länder ein? 
       
       Die Kommunen haben erst mal die Erwartung, dass der Bund den Digitalpakt
       fortführt. Ich erkenne die Bereitschaft der Bundesbildungsministerin dazu.
       Das muss sich allerdings auch im Bundeshaushalt niederschlagen. Die
       Haushaltslage ist, zugegeben, durch das Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher geworden.
       
       Zuletzt sind die öffentlichen Bildungsausgaben gestiegen – gemessen am
       Bruttoinlandsprodukt bleiben sie aber deutlich unter 5 Prozent. Brauchen
       wir ein Sondervermögen für Bildung, [5][wie es Ihre Parteichefin Saskia
       Esken] fordert? 
       
       Sie werden von mir absolute Unterstützung hören, wenn es darum geht, die
       Priorität auf Bildungsausgaben zu setzen. Wichtig ist aber auch, dass Bund,
       Länder und Kommunen hier verlässlich zusammenarbeiten. Wir haben im letzten
       Jahr gesehen, dass das nicht immer der Fall war. Ich erinnere an das
       Sprachkita-Programm, das der Bund über Nacht eingestampft hat. Die
       Verlässlichkeit bei der Finanzierung ist genauso wichtig wie die Frage, wie
       viel Geld da ist.
       
       10 Jan 2024
       
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