# taz.de -- Gegen die AfD wappnen: Ein sträfliches Versäumnis
       
       > Was, wenn die AfD doch an die Macht kommt? Wir sollten uns darauf
       > vorbereiten. Aber jede Maßnahme birgt ihr eigenes Risiko.
       
 (IMG) Bild: Mittlerweile etwas offener geführt: die Debatte über ein AfD-Verbot
       
       Die Reaktionen nach dem Correctiv-Bericht über das
       [1][„Remigrations“]-Treffen waren erwartbar: Es müsse nun aber endgültig
       „aufgewacht“ werden, „alle Demokraten müssen jetzt zusammenstehen“, ein
       „Alarmsignal“ war es natürlich auch.
       
       Es waren dieselben Formeln wie nach dem Anschlag von Halle, dem Mord an dem
       Kasseler CDU-Regierungspräsident Walter Lübcke, [2][dem Anschlag von
       Hanau], nach den Verhaftungen der rechtsterroristischen „Gruppe S“ oder den
       Putschplanern um Prinz Reuß. Mit pastoral-bundespräsidialem Tonfall wird
       gemahnt. Viel zu selten aber sagt einer, was genau getan werden soll, wenn
       denn alle mal aufgewacht sind. Wohl auch, weil vielen schwant, dass die
       „wehrhafte Demokratie“ eine heikle Angelegenheit ist: Rüstet sie auf, sind
       ganz schnell auch andere dran – und das nicht nur, falls die AfD am Ende
       doch Macht bekommt.
       
       Eine Ausnahme von der verbreiteten Ideenlosigkeit ist die mittlerweile
       etwas offener geführte Debatte über ein AfD-Verbot. Immerhin sagen viele
       nun konkret, was aus ihrer Sicht dafür oder dagegen spricht. Die enormen
       Risiken dieses Schritts sind offenkundig.
       
       Das sehr verdienstvolle [3][Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs] macht
       sich seit Längerem Gedanken, wie die Demokratie gegen eine
       „autoritär-populistische Machtübernahme“ resilient gemacht werden kann.
       Unter anderem schlägt es vor, die Landesverfassung so zu ändern, dass Höcke
       in einem dritten Wahlgang nicht mit einfacher Mehrheit zum Regierungschef
       gewählt werden kann. Das Beamtenrecht solle so reformiert werden, dass die
       Spitzen von Verfassungsschutz (VS) und Polizei nicht einfach neu besetzt
       werden könnten. Andere denkbare Gegenstrategien sind mühsamer, viele
       unsicher, einige gefährlich. Der schlechteste Weg ist aber, über diese
       Strategien nicht zu reden. Zu klären ist, wann das Gegenmittel schlimmer
       ist als das Problem – und wann eben nicht.
       
       ## Höckes 5-Punkte-Plan
       
       Manche fürchten, bei der Wahl in Thüringen könnten so viele Parteien unter
       5 Prozent bleiben, dass Höcke schon mit gut 40 Prozent Ministerpräsident
       werden könnte. Was dann folgt, ist bereits bekannt. Denn er hat [4][in
       einem 5-Punkte-Plan] dargelegt, was er an der Macht vorhat.
       
       Unter anderem will er die Medienstaatsverträge kündigen. Vom MDR soll nur
       ein steuerfinanzierter „Grundfunk“ übrig bleiben. Rechtlich wäre das schon
       2024 möglich. Könnten etwa die Länder den Medienstaatsvertrag vorher noch
       so ändern, dass Höckes Pläne vereitelt würden?
       
       Höcke will jedes „Klimagedöns“ des Landes abräumen. Dabei verpflichtet
       unter anderem das Bundesklimaschutzgesetz die Länder zum Klimaschutz.
       Lassen sich die Vorgaben an die Länder so gestalten, dass ein Ausstieg für
       eine Höcke-Regierung zu kostspielig würde?
       
       Die Programme für Demokratie, Vielfalt und gegen Rechtsextremismus sollen
       weg – den „Ideologie-Staat zurückdrängen“ nennt Höcke das. Was spräche
       gegen eine Bestandsgarantie von Bund oder Ländern?
       
       ## Eine Mitmachdemokratie nach ungarischen Vorbild
       
       Laut Landeswahlprogramm will die Thüringer AfD eine „Mitmachdemokratie“ und
       Volksbegehren erleichtern. Ein Blick nach Ungarn zeigt, was dabei
       herauskommen kann: Die Regierung hetzt in einer Tour und holt sich in
       Referenden Zustimmung für ihre autoritäre Politik. Die Grünen etwa sind
       große Fans direkter Demokratie. Aber was, wenn – etwa befeuert von einem
       AfD-freundlichen „Grundfunk“ und rechtsextremen Privatmedien – immer mehr
       Menschen finden, dass das Menschenrechtsgedöns mal aufgeräumt gehört? Ist
       es dann besser, Möglichkeiten direkter Demokratie per Bundesrecht
       einzuschränken?
       
       Waffenbesitz will die AfD in Thüringen, wo viele militante Neonazis leben,
       erleichtern. Maßnahmen gegen Hetze im Netz will sie als „Zensur“ bekämpfen.
       Kann der Bund dem einen Riegel vorschieben? Sollte er? In Thüringens
       Schulen soll es keine „ideologischen Gesinnungsanleitungen“ oder
       „Frühsexualisierung“ mehr geben. Welches Geschichtsbild dort gelehrt werden
       soll, ist sowieso vorstellbar. Muss die Kultusministerkonferenz Kompetenzen
       bekommen, um Lehrinhalte verbindlicher festlegen zu können?
       
       Die Handlungsspielräume möglicher AfD-Landesregierungen einzuschränken,
       könnte Schlimmes verhindern. Aber es ist ein Rütteln am Föderalismus, der
       auch nach hinten losgehen kann: Wenn Rechtsextreme irgendwann im Bund
       mitregieren, könnten liberalere Bundesländer selbst schlechter ihren
       eigenen politischen Weg gehen. Fragen des Wahl-, Beamten- und
       Parteienrechts sind nicht weniger heikel.
       
       ## Was als extremistisch gilt
       
       Letztlich kommt es dabei immer auf das Urteil des Verfassungsschutzes an:
       Wen der für extremistisch hält, gegen den darf vorgegangen werden. Bei der
       AfD ist das nun in Teilen so. Wird die Partei insgesamt vom
       Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft, könnten AfD-Funktionäre in
       großer Zahl ihren Job verlieren.
       
       Was als extremistisch gilt, ist allerdings immer auch eine Frage
       politischer Prämissen. Wäre Hans-Georg Maaßen heute noch VS-Chef – jede
       AfD-Verbotsdiskussion wäre hinfällig. Unter ihm würde der VS die Partei
       kaum als extremistisch einstufen. Was also, wenn im Osten bald AfD und eine
       neue Partei der Werteunion koalieren und Maaßen wieder VS-Chef oder
       Innenminister würde? Links der Mitte dürfte da fortan so einiges als
       extremistisch gelten.
       
       Viele der [5][Gegenstrategien] können sich auch gegen andere richten.
       Einige erinnern sich noch, was Berufsverbote einst für Linke bedeuteten.
       Will man das noch mal? Politische Gegenstrategien könnten von vielen als
       undemokratisch empfunden werden und die extreme Rechte weiter stärken. Das
       heißt nicht, dass sie in der gegenwärtigen Lage falsch sein müssen. Wichtig
       ist, die Diskussion darüber aufzunehmen, was möglich und sinnvoll wäre und
       welche Risiken in Kauf genommen werden sollten. Solange nur „Aufwachen“
       gepredigt wird, passiert das nicht. Ein sträfliches Versäumnis.
       
       16 Jan 2024
       
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 (DIR) [3] https://verfassungsblog.de/thuringen-projekt/
 (DIR) [4] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/hoecke-fuenf-punkte-plan-afd-100.html
 (DIR) [5] /Enthuellungen-ueber-AfD-Geheimtreffen/!5982734
       
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