# taz.de -- Schriftsteller Elias Hirschl: Malochen und dabei absaufen
       
       > In dem irren Roman „Content“ geht es um Klimawandel, digitale
       > Selbstauflösung und prekäre Arbeit im 21. Jahrhundert. Wer ist der Autor
       > dahinter?
       
 (IMG) Bild: Der Schriftsteller Elias Hirschl, aufgenommen 2023
       
       Der [1][Schriftsteller Elias Hirschl] sitzt in einem Wiener Kaffeehaus,
       nippt an seiner Melange und spricht über Dinge, die ihn interessieren.
       [2][Trollfabriken] in Nordmazedonien zum Beispiel und die Berichterstattung
       über den Klimawandel. „Ich hasse es, Artikel zu lesen, die negativ enden.
       Das ist ja mega unbefriedigend“, sagt er. „Aber immer wenn ich über den
       [3][Klimawandel] lese, bin ich genervt von diesen dann doch noch positiven
       Messages am Ende, die einem sagen, was man jetzt persönlich alles so tun
       kann: die richtigen Konsumentscheidungen treffen und so weiter.“ Mit
       seinem Roman „Content“, sagt er, wolle er das anders machen.
       
       Eigentlich hätte dieses Treffen ohnehin in einer Kohlenmine stattfinden
       müssen oder wenigstens im Entrepreneurship Center der
       Wirtschaftsuniversität Wien und nicht an so einem denkmalgeschützten Wiener
       Klischeeort, in dem Männer noch Zeitung lesen, statt auf ihr Smartphone zu
       starren.
       
       Hirschl trägt Kleid statt Anzug und ist nicht der Typ Schriftsteller, der
       einem lautstark seine Thesen entgegenpoltert. Anfangs sind seine Antworten
       vorsichtig, der Blick beim Sprechen ist etwas abwesend aus dem Fenster des
       Kaffeehauses gerichtet. Es widerspricht dem Fakt, dass er seit über zehn
       Jahren auf Bühnen steht: Als Bandleader, Autor und früher auch Slampoet.
       
       Eigentlich, das hatte Elias Hirschl kurz zuvor noch bei einem Spaziergang
       recht wortkarg erklärt, wolle er gar nicht mehr über Österreich sprechen.
       Seine literarische Praxis funktioniere nun mal so, dass er sich ein, zwei
       Jahre in ein Thema reinsteigere, es dann aber auch wieder reiche und was
       Neues hermuss. „Es fühlt sich dann so an, als würdest ich alle paar Jahre
       das Studium oder den Beruf wechseln.“
       
       Dummerweise feierte Hirschl gerade mit seinem letzten Roman, „Salonfähig“,
       seinen Durchbruch als [4][Sebastian Kurz] als Bundeskanzler endgültig nicht
       mehr tragbar war und [5][zurücktreten musste]. Das war 2021 und Hirschl
       hatte eine humorvolle Analyse über die schlechten Seiten von jungen
       Konservativen in gut sitzenden Anzügen geschrieben. Das Ergebnis: Alle
       wollten mit Hirschl über diese Austro-Lackaffen mit Autoritätsfetisch
       sprechen. Und er lieferte.
       
       Wie also jetzt die ganzen Fragen abschütteln – zu Österreich, zu den
       rechten Slim-Fit-Bros, zum [6][Kurz-Sebastian] und zu den irren Skandalen,
       in Österreich nur Causa XY genannt, die noch immer monatlich öffentlich
       werden? Genau: verschwinden hilft.
       
       ## Ein Roman wie das Web 2.0
       
       Elias Hirschl, der 1994 in Wien geboren wurde und in Österreich zur Schule
       ging und studierte, traf eine ungewöhnliche Entscheidung. Er ging nach
       Deutschland. Nicht nach München, nicht nach Berlin, sondern ins Herz des
       Ruhrgebiets: nach [7][Dortmund]. Ein Stadtschreiberstipendium machte es
       möglich und die Gegend war die perfekte Umgebung, um an seinem neuen,
       gänzlich unösterreichischen Roman „Content“ zu arbeiten, deren Rahmen eine
       stillgelegte Zeche bildet.
       
       „Content“ ist kein konventioneller Roman, der ein Thema von vorne bis
       hinten durcherzählt. „Content“ funktioniert wie das Web 2.0: Man kann zwar
       versuchen, einer stringenten Erzählung zu folgen, aber verliert sich dabei
       in den unzähligen Verlinkungen, Motiven, Gedankensträngen, die in alle
       Richtungen wuchern. Man kann sich im Sprachwitz, in der dystopischen Welt,
       in den irren Handlungen der Figuren oder in klugen Gedanken verirren.
       
       Es ist ein Konglomerat aus Themen, Textformen und Genres. Aus
       Gegenwartsprosa, Nature Writing und magischem Realismus. Der die
       scheinheiligen Versprechen der Start-up-Szene genauso aufgreift wie den
       Umgang mit [8][Social Media] und [9][KI], Arbeitsformen im Spätkapitalismus
       (Kohlemine vs. Dienstleistungssektor vs. Digital-Prekariat), Popkultur,
       [10][Internet-Memes], mystische Riesenorganismen, die sich von Content
       ernähren, und, nun ja, den Weltuntergang.
       
       „Ich fand den Gedanken interessant, dass das Internet so autark wird, dass
       es irgendwann gar keine Menschen mehr braucht und es sich einfach selbst
       erhält“, sagt Elias Hirschl zur Handlung seines Romans, und vielleicht ist
       das eine Art Schlüssel.
       
       Er spricht davon, dass seine [11][ehemalige Lieblingsplattform Twitter vor
       die Hunde gegangen ist] und er dort nur noch dreimal am Tag von
       irgendwelchen Krypto-Bots markiert wird, ansonsten aber nichts mehr
       passiere. Er spricht über die künstliche Familienstruktur von Start-ups,
       über seine aktuelle Lieblingsliteratur aus Japan, über den Schriftsteller
       Jakob Nolte, den er dafür schätzt, dass sein Buch „Schreckliche Gewalten“
       Fantasy-Elemente aufgreift, der in der Handlung einen Werwolf auftauchen
       lässt, einfach so.
       
       Er blickt einem nun direkt in die Augen statt aus dem Fenster, spricht
       schneller, lacht. Sich mit Elias Hirschl über Themen, die ihn
       interessieren, zu unterhalten, ist ähnlich wie sein Buch zu lesen: Man
       beginnt mit einem Thema und landet über unzählige Verlinkungen bei einem
       völlig anderen und es wirkt völlig organisch.
       
       ## Und jetzt zum Plot
       
       In „Content“ jedenfalls arbeitet eine namenlose Protagonistin bei der Smile
       Smile Inc., einer sogenannten Content-Farm im Gelände einer stillgelegten
       Kohlenmine. Ihren Wohnort erschüttern Erdbeben, die Ich-Erzählerin lebt ein
       ereignisarmes Leben, während die Welt um sie herum immer unerträglicher
       wird. Essenskuriere streiken und werden durch Drohnen ersetzt, die
       Social-Media-Konten der Protagonistin werden ihr gestohlen und von einer
       Doppelgängerin gekapert und irgendwann säuft die ganze Stadt ab, weil unter
       der Content-Farm etwas Mysteriöses vor sich geht.
       
       Interessant ist dabei die Beiläufigkeit der Erzählerin, die alles über sich
       ergehen lässt und die nichts mehr aus der Fassung zu bringen scheint. Ihr
       Job bei Smile Smile Inc. besteht darin, Listicles zu verfassen, die in den
       nächsten Arbeitsschritten von anderen Personen aber so verändert werden,
       dass nichts mehr vom Original übrig bleibt – eine sinnentleerte
       Sisyphusarbeit, so scheint es zumindest. Irgendwann programmiert sie eine
       KI, die für sie die Artikel verfasst, und sitzt mangels Alternativen
       trotzdem weiterhin im Büro, ohne etwas zu tun. Bei vollem Lohn, niemand
       merkt’s.
       
       Währenddessen zerschreddern ihre Kolleg*innen Nokia-Handys in Mixern für
       viralen Content und scheinen gar nichts mehr zu spüren. Es sei ihm auch
       darum gegangen, die Angst davor abzubilden, von neuen Technologien ersetzt
       zu werden, sagt Hirschl. „Es könnte ja dazu führen, dass es weniger
       menschenunwürdige Scheißarbeit gibt, weil sie von Maschinen oder KI
       übernommen wird. Aber diejenigen, die die Jobs vorher gemacht haben, sind
       dann eben vor allem arbeitslos und ohne Einkommen, anstatt weiter bezahlt
       zu werden.“
       
       Neben der Lethargie der Protagonistin wird der Roman getragen von eben
       jenen immer wirrer werdenden Listenartikel-Ideen, von denen sich wohl über
       hundert im Buch finden. Zum Beispiel „die Top 7 Todsünden und wie du sie
       alle auf einmal begehen kannst“ oder „10 Gesteinsarten, die besser
       schmecken als ihr Ruf“. Währenddessen treten ein karikaturhafter
       Start-up-Heini und ein karikaturhafter Journalist mit einer eigenwilligen
       wie eigenartigen Sprache auf. Denn Elias Hirschl arbeitet sich nicht nur
       gerne in Themen, sondern auch in Soziolekte ein. Auch das spiegelt der
       Roman wider.
       
       ## Ein ungutes Gefühl
       
       „Ich frag mich schon manchmal: wozu produziere ich überhaupt noch Texte,
       die komplett selbst gemacht sind, wenn ich einfach alles auf Material
       aufbauen könnte, das schon vorhanden ist“, sagt Hirschl irgendwann
       nachdenklich. „Die Antwort ist: weil es Spaß macht. Ich orientiere mich
       aber gern an Fundstücken aus dem Internet oder der Außendarstellung von
       Firmen und dieser ganz eigenen Sprache.“
       
       Was nach der Lektüre von „Content“ bleibt, ist ein ungutes Gefühl. Das hat
       sicher auch mit dem [12][kapitalistischen Realismus] zu tun, den [13][der
       Kulturtheoretiker Mark Fisher] in seiner gleichnamigen Streitschrift
       beschreibt und der sich in „Content“ überdeutlich ausgebreitet hat. Oder
       mit dem, was schon der gute alte Karl Marx in seinen
       „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ als „entfremdete Arbeit“
       bezeichnete, die sich unter anderem darin äußert, dass sich der Arbeiter
       nicht nur vom Produkt, sondern auch vom Produktionsprozess selbst
       entfremdet. Und das gilt eben nicht nur für Kohlenminen, sondern auch für
       die Billig-Content-Produktion.
       
       Ist der Mensch, fragt man sich, wirklich zu dumm, um dieser Realität eine
       neue entgegenzustellen und damit auch der Zerstörung der Umwelt, der
       Ausbeutung und der Vereinzelung der Menschen entgegenzuwirken? „Content“
       beantwortet die Frage letztlich mit: Ja, ist er. Es gibt keine positive
       Wendung wie in den Klimawandelartikeln, die Hirschl so wenig leiden kann.
       Der Mensch dissoziiert sich einfach kaputt.
       
       Eine Frage drängt sich noch auf, ganz am Ende des Gesprächs (das Smartphone
       hatte Elias Hirschl die ganze Zeit über in seiner Tasche gelassen). Was ist
       deine aktuelle Bildschirmzeit?
       
       „Weiß nicht, auf jeden Fall weniger als früher“, sagt er, jetzt wieder
       gelangweilt wie am Anfang des Gesprächs.
       
       Und was spielt dir der Instagram-Algorithmus hauptsächlich in den Feed?
       
       „Kochvideos, auch die ganz furchtbaren, in denen alles frittiert wird.“
       
       Wer weiß, zu welchen Texten ihn das wieder inspiriert.
       
       29 Jan 2024
       
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