# taz.de -- Gutachten zu Antisemitismusklauseln: Grundsätzlich rechtens
       
       > Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers legt ein Gutachten zu
       > Antisemitismusklauseln in der Kultur vor. Gesetzliche Grundlagen hält er
       > für notwendig.
       
 (IMG) Bild: Rechtswissenschaftler Christoph Möllers legt Gutachen vor
       
       taz/mit dpa | In Berlin musste sie zuletzt wieder ausgesetzt werden: Etwa
       einen Monat, [1][nachdem Kultursenator Joe Chialo (CDU) eine
       Antisemitismusklausel erlassen hatte], zog er sie Ende Januar wieder
       zurück. Als Grund gab er juristische Bedenken an.
       
       Wegen ebensolcher Klauseln hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth
       (Grüne) ein Gutachten in Auftrag gegeben, die „Zulässigkeit von präventiven
       Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der
       staatlichen Kulturförderung“ zu prüfen. Mehrere
       Landeskulturminister:innen hatten ähnliche Klauseln auf den Weg
       gebracht oder dies geplant. Dieses Gutachten, erarbeitet vom Berliner
       Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, liegt nun vor.
       
       Grundsätzlich sind solche Regelungen möglich: In dem 34 Seiten umfassenden
       Gutachten, über das zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtete, heißt es,
       der Staat könne auf der Ebene demokratischer Kunst- und Kulturpolitik „die
       Förderung von Kunst und Kultur mit nicht kunst- oder kulturimmanenten
       weiteren Zielen verbinden“. Öffentliche Kulturinstitutionen könnten
       materiell auf Nebenziele verpflichtet werden und diese auch selbst
       vorsehen.
       
       ## Eingriffe in künstlerische Arbeit ausgeschlossen
       
       Möllers verwies ferner darauf, dass Kulturinstitutionen in ihrer
       künstlerischen Arbeit von der Kunstfreiheit geschützt seien. Interventionen
       in den eigentlichen Bereich ihrer Arbeit seien deswegen durch das
       Grundgesetz ausgeschlossen.
       
       Für die „ausdrückliche Verpflichtung auf Ziele wie die Bekämpfung von
       Antisemitismus und Rassismus“ sieht der Rechtsexperte vorbehaltlich einer
       Prüfung im Einzelfall die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen
       Rechtfertigung. Zudem verfügten Kulturinstitutionen über
       Gestaltungsmöglichkeiten, die den Kunstbegriff selbst betreffen.
       
       „Dazu kann es gehören, die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in
       die eigene Aufgabenwahrnehmung zu integrieren.“ Die Entscheidung einer
       Kulturinstitution, etwa bei der Ausgestaltung von Programmen mögliche
       antisemitische oder rassistische Inhalte zu einem negativen Kriterium zu
       machen, sei von der Kunstfreiheit geschützt.
       
       Aus Sicht von Möllers bedürfen solche Regeln für öffentliche
       Kulturinstitutionen einer gesetzlichen Grundlage. „Das gilt auch für
       bindende Verpflichtungen gegen Antisemitismus und Rassismus.“ Durch eine
       gesetzliche Regelung könnten öffentliche Kulturinstitutionen und Geförderte
       auf bestimmte Prinzipien verpflichtet werden. Aus der Freiheit dieser
       Einrichtungen folgt laut Gutachten umgekehrt auch, „dass diese sich
       eigenständig dazu entschließen können, ihre Förderung auf diese Ziele
       auszurichten“.
       
       ## Mögliche Veränderung der Förderpraxis
       
       Möllers gibt zu bedenken, dass es zu einer deutlichen Veränderung der
       Förderpraxis kommen könnte. „Eine solche Erweiterung des öffentlichen
       Auftrags legt die Errichtung einer Kontrollstruktur nahe, die ihrerseits
       missbrauchsanfällig ist und die die faktischen Spielräume öffentlicher
       Kunstinstitutionen auf eine problematische Art und Weise zugunsten
       politischer Einflussnahme einengen könnte.“
       
       Zudem stellt sich laut Möllers die Frage, „inwieweit der Staat auch
       Zuwendungsempfänger auf ein Bekenntnis zu einer bestimmten Definition des
       Antisemitismus verpflichten kann“. Eine solche Verpflichtung sei ein
       Eingriff in die Meinungs- und Bekenntnisfreiheit sowie wegen der
       wissenschaftlichen Umstrittenheit der Definitionen wohl auch in die
       Wissenschaftsfreiheit.
       
       Roth hatte bereits in der Vergangenheit Gutachten bei Möllers in Auftrag
       gegeben. Im Januar 2023 legte der Rechtswissenschaftler so etwa ein
       Gutachten zu grundrechtlichen Grenzen und Schutzgeboten staatlicher
       Kulturförderung vor. Anlass waren die Antisemitismusvorwürfe gegen die
       Kasseler Kunstausstellung documenta fifteen.
       
       Neu angefacht worden war die Debatte um Klauseln gegen Antisemitismus nach
       der Berlinale. [2][Während der Gala war der Nahostkonflikt mehrfach Thema
       gewesen.] Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträger hatten das
       Vorgehen der israelischen Armee in Gaza sowie die Situation in den
       besetzten Gebieten mit Worten wie „Apartheid“ und „Genozid“ kritisiert.
       
       20 Mar 2024
       
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