# taz.de -- Neuer Roman von Mareike Fallwickl: Der ultimative Streik der Frauen
       
       > Das Patriarchat beruht auf weiblicher Verfügbarkeit. In ihrem neuen Roman
       > will Mareike Fallwickl zum Widerstand dagegen aufrütteln.
       
 (IMG) Bild: Schreibt hochpolitische Bücher: die österreichische Autorin Mareike Fallwickl
       
       Es gibt diese Instagram-Sharepics, die einem die Welt erklären oder zu mehr
       Selbstliebe aufrufen. „Jeder Körper ist schön“, steht darauf, oder:
       „Konsens ist sexy.“ Das alles stimmt ja auch, nur wurden diese Bilder so
       oft geteilt, und man findet deshalb immer noch nicht jeden Körper schön,
       erst recht nicht den eigenen.
       
       Ein wenig wie solche Sharepics lesen sich die Gespräche zwischen den
       Figuren in Mareike Fallwickls neuem Roman „Und alle so still“. „Wir fordern
       den Raum ein, der uns zusteht“, sagen sie zueinander und fragen: „Wie sehen
       wir uns, wenn uns keiner bewertet?“ Oder: „Warum muss ich ein Label haben?“
       Das mag man liebenswert finden oder plakativ, aber es führt gut hinein in
       diesen Roman, der dort beginnt, wo auch wir uns befinden – im Patriarchat
       –, und auf eine Weise daraus hinausführen will, die gleichermaßen utopisch
       wie dystopisch bleibt.
       
       Elin ist Influencerin, Ruth ist Pflegekraft, und Nuri putzt Clubs, liefert
       Essen aus, schiebt Krankenhausbetten und hat trotzdem nie genug zu essen.
       Alle drei Protagonist*innen sehnen sich nach Verbundenheit, auch an
       jenem Tag, an dem auf einmal Frauen auf dem Boden liegen und schweigen.
       
       Was das soll? Niemand weiß es so recht, immer mehr Frauen legen sich dazu,
       und alles bricht zusammen: „Weil sie keine Mails beantworten, keine Pakete
       ausliefern, keinen Chef an seine Termine erinnern, weil sie nicht in
       Wohnzimmern unter der Couch staubsaugen, keine Kinderpyjamas an
       Wäscheleinen hängen, keine Schnitzel in der heimischen Küche klopfen.“
       
       Der ultimative Streik, aber nicht mit politischen Forderungen, sondern aus
       Erschöpfung. Die Frauen kümmern sich nicht mehr um Kinder, Küche und
       Kranke, sondern nur noch umeinander. Sie ziehen in leer stehende Häuser und
       halten zusammen.
       
       ## Von Care-Arbeit überlastet
       
       Die österreichische Autorin Fallwickl schreibt hochpolitische Bücher. Ihr
       Roman „Das Licht ist hier viel heller“ verhandelte bereits 2019 #MeToo im
       Kulturbetrieb (ja, vier Jahre vor [1][Benjamin von Stuckrad-Barre),] und
       ihr Roman [2][„Die Wut, die bleibt“] begann damit, dass eine von
       Care-Arbeit überlastete Frau aus dem Fenster springt. Deren Tochter stellt
       sich anschließend vor, was passieren würde, wenn Frauen einfach nichts mehr
       tun würden. Aus dieser Idee ist nun „Und alle so still“ entstanden.
       
       Entlarven will der Text, aufrütteln, und während das gelingt, bleibt wenig
       Platz, eine Sprache zu entwickeln, die eben nicht nach Sharepic oder
       Politessay klingt, sondern nach Menschen, die miteinander sprechen. „Das
       ganze System [3][beruht auf unserer Verfügbarkeit.] Unserer Körper, unserer
       Kraft, unserer Zeit“, sagen die Frauen und bestätigen sich gegenseitig,
       „wie eng Weiblichkeit und Sorgearbeit verknüpft sind“.
       
       Umso schöner sind die Passagen, in denen Fallwickl Sätze findet, die
       erzählen, statt politisch informiert von einem Gender Care Gap zu
       sprechen: „Wann immer irgendwo ein Kind oder eine alte Person umfällt,
       kommt eine Frau und hebt es auf.“ Auch für das alte Argument #NotAllMen
       (nicht alle Männer seien gewalttätig) – und warum das stimmt, aber trotzdem
       kaum hilft – findet die Autorin ein treffendes Bild: zehn Donuts, von denen
       fünf vergiftet sind, „nur fünf, jetzt beiß rein, du weißt nicht, welcher
       von denen dich umbringen wird, aber ich bitte dich, stell dich nicht so
       an!“.
       
       Mit klugen Details markiert Fallwickl ihre Figuren als durchdrungen vom
       Patriarchat. Die Influencerin Elin kommt am besten zum Orgasmus, wenn sie
       jemand „dünn“ nennt. Ruth arbeitet, bis sie umkippt, weil sie ja gebraucht
       wird. Und Nuris Mutter wurde vom Vater als Haushaltshilfe angestellt, bevor
       der sie heiratete und aufhörte, sie zu bezahlen, „obwohl sie immer noch
       dieselbe Arbeit machte“.
       
       ## Plötzlich knallt ein anderer Ton rein
       
       Es erfrischt, wenn in Fallwickls gefühlvolle Sprache ein anderer Tonfall
       reinknallt, den man von ihr auch kennt: der klare, plötzliche. „Den ersten
       fickt sie gegen dreizehn Uhr“, heißt es nach den ersten paar Seiten
       unvermittelt. Ständig ist irgendwo Kotze, das kontrastiert den Kitsch.
       
       Die stärksten Szenen spielen im Krankenhaus, man merkt ihnen eine
       gründliche Recherche an. Präzise werden die Körperflüssigkeiten
       beschrieben, die Ruth aufwischt, ihre automatisierten Handgriffe:
       Vitalparameter ablesen, Patienten lagern, Medizinschränke kontrollieren,
       Sterilgüter prüfen. Es ist so viel, dass man schon beim Lesen Herzrasen
       bekommt. Und dann muss Ruth einen Patienten auf dem Boden liegen lassen,
       der aus dem Bett gefallen ist und sich eingenässt hat, weil sie ihn einfach
       nicht hochheben kann. Die Station darf sie nicht verlassen, um Hilfe zu
       holen, denn sie ist ganz allein zuständig.
       
       In „Und alle so still“ geht es um die Privatisierung des Gesundheitswesens,
       um sexualisierte Gewalt, Viertagewoche, Konsum- und Polizeikritik,
       Abtreibungsrecht, Armut, Rassismus und Periodenscham. Überladen, ja, aber
       ein Versuch, die Zusammenhänge zu denken – mal als Schlagwortfeminismus,
       mal als drastische Nahaufnahme männlicher Gewalt.
       
       Bloß was mit den reichen Frauen ist, fragt man sich. Sie werden ausgespart,
       wohl auch, um zu umgehen, was Frauen alles trennt. Als ob wir alle
       zusammenhalten und die Männer uns Carepakete schnüren würden, wenn wir
       jetzt eine Revolution begännen! Aber wer träumen könne, sollte es auch tun,
       heißt es an einer Stelle, und so ist der Roman wohl gemeint.
       
       14 Jun 2024
       
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