# taz.de -- Bundeskanzler Friedrich Merz: Fürchtet euch nicht!
       
       > Neuwahlen würden das Vertrauen ins System noch weiter erschüttern? Das
       > stimmt. Noch mehr stimmt aber das Gegenteil: Die aktuelle Sparpolitik
       > zerstört.
       
 (IMG) Bild: Gedankenmodell: Friedrich Merz als Kanzler
       
       [1][Friedrich Merz] als Kanzler: Die Vorstellung ist grausig. Im Ausland
       ist der CDU-Chef mit seinem eitlen Jähzorn nicht vorzeigbar, für die
       Neujahrsansprache braucht es ihn auch nicht unbedingt. Den Rechtsruck in
       der Migrationspolitik wird er als Regierungschef fortsetzen, und seine
       Koalitionspartner werden sich schon strecken müssen, um ihn am Abriss der
       Sozialsysteme zu hindern. Und trotzdem sollten SPD und Grüne in Kauf
       nehmen, dass Merz schon vor 2025 regiert.
       
       Denn bei allem Übel, das da droht: Das erbarmungslose Festhalten an der
       Schuldenbremse ist übler – und sie lässt sich nicht umgehen, solange die
       Ampel regiert. [2][Es ist zwar möglich, dass sich die Koalitionsspitzen im
       Juli doch noch auf einen Etat einigen]; dass sie ihre Finanzlücke erst
       durch Tricks des Haushaltsrechts verkleinern und dann die restlichen
       Milliarden durch Einsparungen hier und da zusammenkratzen. Aber niemand
       sollte glauben, dass sich die FDP noch darauf einlässt, Kredite für all die
       nötigen Investitionen in Klima, Wirtschaft und Sicherheit aufzunehmen.
       
       ## Vertrauensfrage würde Vertrauen schaffen
       
       Auf den Punkt brachte es in dieser Woche Robert Habeck, als er über seine
       Idee eines kreditfinanzierten Sondervermögens für die Wirtschaft sprach: In
       dieser Legislatur werde das nichts mehr, die Debatte werde aber den
       Bundestagswahlkampf dominieren und in der nächsten Regierung zu einem
       Ergebnis führen. „Schade, weil wir damit dann anderthalb Jahre Zeit
       verloren haben“, sagte der grüne Vizekanzler auf einer Veranstaltung der
       Süddeutschen Zeitung.
       
       Wirklich schade. Zumal sich der Weg dorthin bekanntlich abkürzen ließe.
       Olaf Scholz müsste im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Er könnte sie
       inhaltlich an eine Kursänderung in der Haushaltspolitik knüpfen und so noch
       mal versuchen, die FDP zur Vernunft zur bringen. Klappt das erwartungsgemäß
       nicht, wäre über den Bundespräsidenten der Weg frei [3][für Neuwahlen].
       Deren Ergebnis nach derzeitigem Stand der Dinge: Schwarz-Rot, Schwarz-Grün
       oder Schwarz-Rot-Grün mit einem Koalitionsvertrag, der nicht mehr daran
       krankte, in einer anderen Welt (im Sinne von: vor dem Ukrainekrieg)
       geschlossen worden zu sein.
       
       In Sachen Schuldenbremse klingt Merz bislang zwar wie Christian Lindner.
       Anders als der FDP-Chef hat er dabei aber seine Partei nicht hinter sich.
       Spätestens als Regierungschef muss er sich der Wirklichkeit stellen, dann
       braucht er das Geld selbst, und seine Koalitionspartner werden das Übrige
       tun. Das Paradies bricht dadurch zwar nicht aus: Die Schuldenbremse wird
       höchstens gelockert, nicht abgeschafft, und über die Ausgabenseite
       entscheidet auch künftig nicht die Deutsche Umwelthilfe. So schädlich wie
       jetzt wird die Haushaltspolitik nach dem Ende der FDP aber nicht bleiben.
       
       ## Sparpolitik zerstört etablierte Parteien
       
       Warum also noch eineinhalb Jahre warten? Das häufigste Argument aus der
       Ampel selbst heißt Stabilität. Wladimir Putin werde sich freuen, wenn nach
       Frankreich und Großbritannien auch die dritte westliche Mittelmacht neu
       wählen muss, und im Inland sinke das Vertrauen ins System noch weiter, wenn
       die Regierungsparteien ihre Differenzen nicht beilegen können. Das stimmt.
       Noch mehr stimmt aber das Gegenteil: Die Stabilität des Systems ist in
       Gefahr, wenn in der Krise noch länger das Geld für elementare staatliche
       Aufgaben fehlt. Zig Studien belegen, wie Sparpolitik in verschiedenen
       Jahrzehnten und in verschiedenen Ländern das Vertrauen in etablierte
       Parteien zerstört hat. Die Gelegenheit für die nächste Verifizierung bietet
       sich im Herbst nach den drei Landtagswahlen im Osten.
       
       Dass es die Ampelparteien trotz allem darauf anlegen, sich bis zum
       regulären Wahltermin durchzuhangeln, liegt nicht zuletzt am Prinzip
       Hoffnung: Vielleicht [4][entzaubert sich bis 2025 das BSW], vielleicht
       lässt sich der AfD beikommen, vielleicht finden die Ampelparteien mehr
       Zuspruch. Gut begründet sind diese Hoffnungen nicht: Warum sollten die
       Menschen in einem Jahr Olaf Scholz zujubeln, wenn sich doch am Grundübel
       bis dahin nichts ändert? Erklärlich sind sie trotzdem: Mit Neuwahlen jetzt
       würden die Parteien gegen ihren Machterhaltungstrieb handeln. Sie würden
       die große Wahrscheinlichkeit in Kauf nehmen, [5][vorzeitig das Kanzleramt
       zu verlieren (SPD) oder aus der Regierung zu fliegen (Grüne)]. Anders als
       bei Gerhard Schröder 2005 oder Helmut Kohl 1982 wäre die Vertrauensfrage
       nicht machtpolitisch motiviert, sondern rein in der Sache begründet.
       
       Gerade das böte aber auch die Chance auf einen Kollateralnutzen: Das Land
       demonstrativ wichtiger zu nehmen als die Posten kann Vertrauen
       zurückbringen. Und einen Wahlkampf unfallfrei überstehen – das muss auch
       Friedrich Merz erst mal schaffen.
       
       29 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Regierungserklaerung-von-Olaf-Scholz/!6019972
 (DIR) [2] /Gruene-und-SPD-im-Haushaltsstreit/!6016270
 (DIR) [3] /Rituale-politischer-Berichterstattung/!6015908
 (DIR) [4] /Koalitionen-mit-Sahra-Wagenknecht/!6016149
 (DIR) [5] /Podcast-Bundestalk/!6020183
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Das Milliardenloch
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Schuldenbremse
 (DIR) GNS
 (DIR) Das Milliardenloch
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) CDU
 (DIR) Regierungserklärung
 (DIR) Das Milliardenloch
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Kolumne Starke Gefühle
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Haushaltsstreit der Ampel: Die Nachspielzeit läuft
       
       Olaf Scholz verspricht noch in diesem Monat eine Einigung im
       Haushaltsstreit, die SPD-Fraktion peilt Freitag an. Nur: Es klafft noch ein
       Milliardenloch.
       
 (DIR) Grünen-Abgeordnete wechselt zu CDU: Unbequeme Bürogemeinschaft
       
       Mit ihrem Wechsel zur CDU hat die Mannheimer Grüne Melis Sekmen plötzliche
       Berühmtheit erlangt – und ihre Partei vor mietrechtliche Probleme gestellt.
       
 (DIR) Ein Coup für die CDU: Grüne Abgeordnete wechselt zur CDU
       
       Melis Sekmen zog 2021 für die Grünen in den Bundestag ein. Jetzt tritt die
       Mannheimer Wirtschaftspolitikerin aus und geht zur CDU.
       
 (DIR) CDU-Spitze in Klausur: Mit einer Holzbank gegen die AfD
       
       Das CDU-Präsidium berät in einer Klausur über die Landtagswahlen in
       Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Eine neue Strategie hat sie nicht zu
       bieten.
       
 (DIR) Regierungserklärung von Olaf Scholz: Merz beklagt „karikaturenhafte“ Rede
       
       Mit heftigen Attacken reagiert die Opposition im Bundestag auf die
       Regierungserklärung des Kanzlers. Der warnt vor einem „Wettbewerb mit
       Populisten“.
       
 (DIR) Grüne und SPD im Haushaltsstreit: Die Macht der gelben Zwerge
       
       Die FDP hat weniger als ein Viertel der Ampel-Sitze im Bundestag. Trotzdem
       dominiert sie die Regierungslinie, weil Grüne und SPD nicht
       zusammenarbeiten.
       
 (DIR) Koalitionen mit Sahra Wagenknecht: Danke, Friedrich Merz
       
       Der CDU-Chef ist bereit, mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht auf Landesebene
       zu koalieren. Damit bricht er endlich das Eis für neue Regierungsbündnisse.
       
 (DIR) Rituale politischer Berichterstattung: Neuwahlen? Laaaaaangweilig!!!
       
       Das vorzeitige Regierungsende wird permanent prophezeit – dabei tritt es
       fast nie ein. Unser Autor kann es langsam nicht mehr hören.