# taz.de -- Jurist über „Agenten“-Gesetz: „Kopie aus dem russischen Gesetz“
       
       > Georgien ist wegen des „ausländische Agenten“-Gesetzes vorerst kein
       > EU-Beitrittskandidat mehr. Rechtsexperte Baramidze sieht gefährliche
       > Entwicklungen.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Einführung des Gesetzes im Mai 2024 in Tibilissi
       
       taz: Herr Baramidze, am 2. August tritt das Transparenzgesetz in Georgien
       vollständig in Kraft. Wie wird Ihre Arbeit als Programmleiter für
       Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Organisation Transparency
       International Georgien dadurch eingeschränkt? 
       
       Sandro Baramidze: Jede NGO, die mehr als 20 Prozent ihres Jahresbudgets aus
       dem Ausland erhält, muss sich als Organisation registrieren lassen, die die
       Interessen einer ausländischen Macht verfolgt. Transparency International
       und 130 weitere georgische NGOs werden sich weigern, sich als „ausländische
       Agenten“ registrieren zu lassen. Wir halten das für Stigmatisierung. Das
       Justizministerium wird diese Registrierung dann ohne unser Einverständnis
       vornehmen. Dafür und auch für die von uns verlangte Finanzierungserklärung,
       die wir nicht vorlegen werden, wird das Ministerium uns dann zwei
       Bußgeldbescheide ausstellen. Wir werden das Geld zwar auf unserem Konto zur
       Verfügung stellen müssen, hoffen aber, dass das georgische Volk bei der
       Parlamentswahl am 26. Oktober entscheiden wird, dass diese Regierung nicht
       länger an der Macht sein sollte.
       
       Werden das georgische Parlament und georgische Parteien von ausländischen
       Organisationen, Wohlfahrtsverbänden oder in Form anderer ausländischer
       Mittel finanziert? 
       
       Nein. Während NGOs, zivilgesellschaftliche Organisationen oder Medien
       Mittel aus dem Ausland erhalten können, ist dies politischen Parteien nicht
       gestattet. Aber wenn wir schon über Transparenz reden: Die Finanzierung der
       seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum allerdings war schon immer
       undurchsichtig. Über viele Jahre kam es vor, dass die Partei über 90
       Prozent mehr Mittel aufbrachte als jede andere Partei. Dazu kommt, dass
       Spenden von Unternehmen in diesem Land eigentlich verboten sind. Es
       passiert aber trotzdem, und zwar in großem Stil.
       
       Wie kann das sein? 
       
       Die Firmenspenden werden über Drittpersonen transferiert. Das ist Strategie
       und Teil des korrupten Systems.
       
       Die Präsidentin Salome Surabischwili legte ein Veto gegen das
       Transparenzgesetz ein. Sie wurde aber von der Regierungspartei überstimmt.
       Was will der Georgische Traum mit diesem Gesetz bewirken? 
       
       Das Ziel von Georgischer Traum ist es, die NGOs und unabhängige Medien
       auszuschalten. Wahrscheinlich betrifft das nicht die sogenannten GONGOS,
       also die NGOs, die mit der Regierung verbunden sind. Das sind keine
       ausländischen Agenten, sondern Agenten des Georgischen Traums. Wenn diese
       Partei an der Macht bleibt, wenn jeden Monat weitere Geldstrafen anfallen,
       bis wir uns das irgendwann nicht mehr leisten können. Das bedeutet, dass
       wir entweder in Konkurs gehen, was schließlich zur Liquidation führt, oder
       wir beginnen den Liquidationsprozess ohne Konkurs aus eigener Kraft. Mit
       anderen Worten, wenn der Georgische Traum an der Macht bleibt, werden sie
       unsere Handlungsräume so stark einschränken, dass uns nichts anderes
       übrigbleibt, als unsere Organisation zu schließen.
       
       Im Jahr 2023 hat der Georgische Traum einen fast identischen Gesetzentwurf
       vorgelegt. Damals wurde das Projekt nach Protesten zurückgezogen. Warum
       haben sie es jetzt umgesetzt? 
       
       Die Regierung erklärte am 3. April 2024, dass die meisten georgischen
       Bürger*innen von ausländischen Mächten desinformiert wurden. Der
       Georgische Traum erklärte, dass man das Gesetz verabschieden würde,
       [1][egal wie groß der Protest dagegen sein sollte. Viele Georgier*innen,
       auch ich und viele meiner Kollegen*innen aus dem zivilen Sektor],
       glauben, dass das dieses Gesetz eine direkte Forderung Russlands war.
       
       Stimmt es, dass die Menschen vom Ausland desinformiert wurden? 
       
       Nein, das ist Propaganda. Die Menschen wissen sehr wohl, was vor sich geht,
       deshalb protestieren sie ja auch.
       
       Nun ist der [2][Beitrittsprozess Georgiens von der EU wegen dieses Gesetzes
       auf Eis gelegt worden]. War das das Ziel? 
       
       Die Regierung wusste genau, dass der EU-Beitrittsprozess ins Stocken
       geraten würde, sobald das Transparenzgesetz verabschiedet würde. Und genau
       das erleben wir in diesen Tagen. Der Europäische Rat fordert die
       georgischen Behörden auf, den derzeitigen Kurs umzukehren, der de facto zu
       einem Stillstand des Beitrittsprozesses geführt hat. Die Sabotage des
       europäischen Prozesses war also das Hauptziel dieses Gesetzes. Nach den
       Wahlen im kommenden Oktober könnten sich die Dinge jedoch schnell ändern.
       Wenn die proeuropäischen politischen Kräfte die Wahlen gewinnen, eine neue
       Regierung gebildet und die europäische Agenda Georgiens wieder
       vorangetrieben wird. Wenn dies der Fall ist, bin ich sicher, dass es bei
       den Beitrittsverhandlungen keinen weiteren Stillstand geben wird.
       
       Kritiker*innen befürchten, dass mit ähnlichen Taktiken wie im Kreml
       gegen die Opposition, die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien
       vorgegangen wird. Wie schätzen Sie das ein? 
       
       Dieses Gesetz ist ein Copy-Paste-Gesetz aus dem russischen Gesetz von
       Putin.
       
       Warum ahmt der Georgische Traum russische Gesetze nach? 
       
       Um an der Macht zu bleiben, kritische Medien auszuschalten, seine
       autokratischen Kräfte um sich herum zu konsolidieren und wahrscheinlich in
       erster Linie, um die Anweisungen Putins umzusetzen, dass Georgien zu
       Russland gehören muss, dass es in die Einflusssphäre Russlands zurückkehren
       muss, und dass es keine europäischen, euro-atlantischen Prozesse mehr
       geben soll.
       
       [3][Sie haben Bidzina Iwanischwili, den Gründer von Georgischer Traum], als
       Anwalt vertreten. Warum? 
       
       Ich war unter anderem stellvertretender Justizminister in der ersten
       Regierung, an der der Georgische Traum ab 2012 beteiligt war. Ihr Programm
       war damals gut, der Beitritt zu EU und Nato und die dafür notwendigen
       Reformen wurden angegangen. Aber später begann man diese Agenda zu ändern.
       Als mir das klar wurde, bin ich zurückgetreten. Iwanischwili und der
       Georgische Traum sind heute komplett antiwestlich, prorussisch,
       antidemokratisch und antiliberal und autokratisch. Ich weiß nicht, wie weit
       Iwanischwili geht, aber wenn er an der Macht bleibt, wird aus diesem Land
       eine Diktatur.
       
       Welche Interessen stecken hinter seinem Handeln? 
       
       Iwanischwili ist ein russischer Oligarch. Als er kam, sagte er, dass er
       kein Vermögen mehr in Russland und kein Interesse an Russland habe. Er
       sagte, dass eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland nach dem
       August-Krieg 2008 notwendig sei, das schien ein pragmatischer Ansatz zu
       sein. Aber jetzt stellt sich die Frage, auf welcher Seite des neuen
       Eisernen Vorhangs, der sich aufbaut, Georgien stehen wird. Iwanischwili
       steht auf der russischen Seite.
       
       Was hat zu dieser Richtungsänderung beigetragen? 
       
       Der Georgische Traum sabotiert mit seiner Rhetorik den euro-atlantischen
       Weg Georgiens, macht unsere guten Freunde zu Feinden und versucht, unseren
       größten Feind, Russland, als unseren Freund darzustellen. Wie Churchill
       einmal sagte: Wenn man einem Krokodil die Hand reicht und hofft, dass das
       Krokodil einen davor bewahrt, einen ganz aufzufressen, dann irrt man sich
       gewaltig. Wenn wir alle unsere Freunde, die EU, verlieren, wenn wir nicht
       mehr auf ihre diplomatische, finanzielle oder sonstige Unterstützung gegen
       Russland zählen können, wenn wir allein gegen diesen wilden russischen
       Bären kämpfen müssen, wie können wir dann überleben? Wer soll uns vor der
       nächsten russischen Invasion schützen?
       
       2 Jul 2024
       
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