# taz.de -- Politik und Fußball in Georgien: Der andere Weg nach Europa
       
       > Georgien verbaut sich gerade den Weg in die EU. Umso wichtiger ist für
       > viele die EM-Teilnahme. Der Jubel darüber hat das Land für einen Moment
       > geeint.
       
 (IMG) Bild: Europäische Begeisterung vor dem entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Griechenland
       
       TBILISSI taz | Georgien wird von Protesten und politischer Instabilität
       erschüttert, was das Land von der europäischen Integration abkoppelt. Doch
       trotz dieser Turbulenzen ist die Südkaukasusrepublik auf einem anderen Weg
       in Europa angekommen: durch die Qualifikation für die Euro 2024 und ihren
       Auftritt bei diesem prestigeträchtigen Turnier. Den ersten überhaupt.
       
       Für einen Moment hatte Georgia das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein,
       vereint durch einen seltenen Moment eines gemeinsamen Festes. Die
       Qualifikation des Landes für die EM war ein kollektiver Sieg, der die
       politische und kulturelle Polarisierung überwand, unter der das Land in den
       vergangenen Jahren gelitten hatte. Rufe und Hupen erfüllten die Hauptstadt
       Tbilissi, Menschenmengen mit Fahnen feierten bis tief in die Nacht.
       
       Dies ist das größte Ereignis seit dem Gewinn des Europapokals der
       Pokalsieger im Jahr 1981 durch den georgischen Klub Dynamo Tbilissi.
       Angeführt von dem Flügelstürmer Chwitscha Kwarazchelia, der beim SSC Neapel
       kickt und von seinen italienischen Fans wegen seiner Fähigkeiten, die an
       Diego Maradona erinnern, den Spitznamen „Quaradona“ erhielt, besiegte
       Georgien im März zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit von der
       Sowjetunion im Jahr 1991 Griechenland und sicherte sich damit einen Platz
       im Turnier.
       
       Die Feierlichkeiten waren jedoch nur von kurzer Dauer. Nur eine Woche
       später zog die regierende Partei „Georgischer Traum“ erneut einen
       umstrittenen Gesetzentwurf im Kreml-Stil aus der Schublade. Dieser
       verpflichtet alle Organisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer
       Mittel aus dem Ausland erhalten, sich als „Agenten ausländischen
       Einflusses“ zu registrieren. Dieser Schritt, der als Versuch angesehen
       wurde, die vom Westen finanzierte Zivilgesellschaft und unabhängige Medien
       in ihrer Arbeit zu behindern, [1][löste Massenproteste aus]. Jetzt bedroht
       er Georgiens EU-Beitrittsperspektive. Am 3. Juni trat das Gesetz in Kraft,
       [2][nachdem das Parlament das Veto der Präsidenten überstimmt hatte].
       
       ## Der Sport und die Proteste
       
       Die Proteste, die Anfang April begonnen hatten, wurden massiver. Die
       Polizei reagierte auf die wachsenden Unruhen mit Tränengas, Wasserwerfern
       und gewalttätigen Razzien, die an russische Methoden erinnern.
       
       Eigentlich wollen die Georgier*innen nicht, dass sich Sport und Politik
       miteinander vermischen. Dennoch war es vielen von ihnen wichtig, dass auch
       die Fußballstars ihre Unterstützung für die Proteste zum Ausdruck bringen.
       Am 9. April teilte der georgische Nationalspieler Giorgi Kochoraschwili auf
       Instagram ein Foto seiner Nichte, das sie bei einer proeuropäischen
       Kundgebung in Tbilissi zeigt. Die Regierungspartei nutzte dies aus. Der
       Bürgermeister von Tbilissi und Generalsekretär des Georgischen Traums, der
       ehemalige Star des AC Mailand, Kacha Kaladse, deutete an, dass
       Kochoraschwilis Vater Mitglied einer Oppositionspartei sei.
       
       Besonders aktiv wurden die Fußballer Mitte April, als der Gesetzentwurf
       über „ausländische Agenten“ in erster Lesung [3][unter Protesten]
       verabschiedet wurde. Der ehemalige Kapitän der georgischen
       Nationalmannschaft, Jaba Kankava, schrieb auf Instagram: „Scheiß auf
       Russland … Georgien liegt in Europa!“
       
       Auch mehrere Vereine, darunter Dynamo, Lokomotiw, Zestafoni und Dschwari,
       unterstützen in den sozialen Netzwerken den europäischen Weg Georgiens.
       „Unsere europäische Zukunft ist unsere nationale Entscheidung. Wir erinnern
       uns an die Bedeutung unseres europäischen Titels mit dem Stolz Georgiens –
       diesen Titel, den unsere legendären Vorfahren geholt haben. Unsere Zukunft
       ist einzig und allein europäisch!“, postete Dynamo auf seiner offiziellen
       Facebook-Seite.
       
       ## Botschaften aus dem Fußball
       
       „Es fällt mir schwer mit anzusehen, wie sie sich meinen Landsleuten
       entgegenstellen, vor allem Frauen und Kindern“, schrieb
       Nationalmannschafts-Mittelfeldspieler Giorgi Tschakwetadse Anfang Mai auf
       Instagram. „Nichts ist mehr wert als unser Volk, kein Gesetz ist wichtiger
       als das. Heben Sie dieses Gesetz auf, und wir werden wieder zusammenleben,
       wie am 26. März! Kein Russland und volle Kraft voraus nach Europa!“ Obwohl
       einige Akteure, wie Khvicha Kvaratskhelia, zurückhaltendere Aussagen zum
       Thema Georgiens Weg nach Europa veröffentlichten, schürten ihre Botschaften
       dennoch die Begeisterung der Gegner*innen des Gesetzentwurfs.
       
       Doch nicht alle Rückmeldungen waren positiv. Der ehemalige Spieler,
       Unterstützer des Georgischen Traums und Abgeordnete, Michail Kawelaschwili,
       warf Kwaratschelia gar vor, in sozialen Netzwerken zu Gewalt aufzurufen.
       „Kvara, ich appelliere an dich! Du gehörst niemandem, du gehörst Georgien
       und du darfst keinen Kräften erlauben, deine Position auszunutzen. Wenn ein
       Georgier wegen deiner Äußerungen mit einem anderen Georgier aneinander
       gerät, trägst du die Verantwortung“, so Kawelaschwili.
       
       ## Druck auf die Spieler
       
       Im Rahmen der jüngsten Kontroverse wurde auch der Stürmer Budu Zivzivadze
       kritisiert. Als die Meisterschaft näher rückte, veröffentlichten Medien
       Äußerungen aus Zivzivadzes Podcast, in denen Polizeigewalt gegen
       Demonstrant*innen verurteilt wurde. Schnell wurden die Aussagen
       gelöscht. Das führte zu Spekulationen darüber, ob dies auf Druck seitens
       des Fußballverbands und der Regierung geschehen sein könnte. Etliche Medien
       widmeten sich nun einem weiteren Fragment des Interviews, in dem Zivzivadze
       über Russland gesprochen und gesagt hatte: „Russland ist nicht nur unser
       Feind, sondern der Feind fast aller.“
       
       „Einige Sätze von Budu Zivzivadze wurden auf seinen Wunsch hin entfernt,
       was auf dem Wunsch beruhte, zusätzliche Emotionen und Chaos vor dem
       anstehenden Turnier zu vermeiden“, hieß es bald darauf in den betreffenen
       Publikationen. Der Sport soll im Mittelpunkt stehen.
       
       Georgien ist klarer Außenseiter in der EM-Gruppe mit Portugal, der Türkei
       und Tschechien. Dennoch hofft das Land, sich beim Turnier einen Namen zu
       machen. Ein einziger Überraschungserfolg könnte schon ausreichen, um sich
       als eines der besten dritten Teams für die K-o.-Runde zu qualifizieren. Da
       Erfahrungen auf höchstem Niveau sich auf einige wenige Spieler wie
       Kvaratskhelia, Giorgi Mamardashvili (Valencia) und Georges Mikautadze
       (Metz) beschränken, gilt die Aufgabe als gewaltig.
       
       Und dennoch: Die Teilnahme an der Seite der besten Fußballnationen Europas
       ist ein Meilenstein. Die Nation wird auf die Landkarte gesetzt. Und
       vielleicht wird, wie es in der inoffiziellen Hymne der Nationalmannschaft
       heißt, „das Märchen glücklich enden“.
       
       Aus dem Russischen: Barbara Oertel
       
       13 Jun 2024
       
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