# taz.de -- Auslieferung von Maja T. nach Ungarn: Ein krankes System
       
       > Maja T.s Auslieferung nach Ungarn ist ein Beweis für den fehlenden
       > Rechtsschutz in der EU. Schlimmer noch: Dieser ist von Deutschland so
       > gewollt.
       
 (IMG) Bild: Ein polnischer Grenzschutzbeamter am tschechisch-polnischen Grenzübergang Hrádek nad Nisou, Dezember 2007
       
       Maja T. wird am 28. Juni in heller Nacht vom Dresdner Knast außer Landes
       verschleppt, befindet sich um 6.50 Uhr angeblich schon in Österreich und um
       10.00 Uhr in Ungarn. Genehmigt hat es am Vortag des Berliner Kammergericht
       und den Anwälten von Maja T. nach Feierabend per Fax mitgeteilt.
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat kein elektronisches Postfach. Das Telefax
       der Anwälte mit dem Ersuchen um Schutz geht um 7.38 Uhr ein. Die gegen 8.00
       Uhr an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin fernmündlich gerichtete
       Halteaufforderung und der um 10 Uhr abgesetzte Schutzbeschluss des Gerichts
       laufen ins Leere. Maja ist weg.
       
       Der Fall macht nicht nur die Niedertracht der Berliner Justizbeteiligten
       deutlich. Er zeigt auch die strukturellen Mängel des Rechtsschutzes bei
       grenzüberschreitender Strafverfolgung in der EU: Wer aufgrund eines
       europäischen Haftbefehls oder einer europäischen Ermittlungsanordnung
       festgenommen oder untersucht wird, findet dort keinen Rechtsschutz. Er hat
       sich an das ersuchende Land zu wenden. Und wenn es dort keine unabhängige
       Justiz gibt, hat er Pech gehabt. So auch Maja T.
       
       Maja T. soll einer Veranstaltung in Budapest im letzten Jahr
       entgegengetreten sein – unter Anwendung von Gewalt. Seit 1997 versammeln
       sich in Ungarn Rechtsradikale zum Gedenken der verbrecherischen SS,
       ungestört von den dortigen Behörden. In Deutschland wäre das verboten.
       
       ## Dreifach gefesselt mit Bärenleine
       
       [1][Weil Maja T. mit Gewalt Widerstand geleistet haben soll, wurde Maja T.
       ausgeliefert.] Gegen Maja T. ermittelte deshalb auch die Staatsanwaltschaft
       in Dresden, erwirkt einen Haftbefehl und sperrt Maja T. im Dezember letzten
       Jahres ein. Die Sachsen hätten mit einer Anklage die Auslieferung
       verhindern können. Machten sie aber nicht.
       
       Um die Justiz in Ungarn steht es schlecht. Am 18. Januar 2024 hat das
       EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit die große Besorgnis über die
       Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte in Ungarn beschlossen. Noch am 28.
       Juni sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund: „Es gibt in Ungarn
       schlicht keine unabhängige Justiz mehr.“ Und die Europäische Kommission
       verklagt Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
       
       Wes Geistes Kind ungarische Strafverfolger sind, zeigt das Schicksal der
       dort [2][seit über einem Jahr inhaftierten italienischen Lehrerin „Sali“],
       der das Gleiche vorgeworfen wird wie Maja T. Sie soll 11 Jahre Haft
       erhalten und wurde im Februar wie ein Tier vor Gericht geführt, dreifach
       gefesselt und an einer Bärenleine.
       
       ## Konstruierte Vorwürfe
       
       Das Berliner Kammergericht sieht gleichwohl kein Abschiebehindernis: Es
       ließ sich von den Angehörigen der ungarischen Justiz versichern, dass
       Verfahren und Haft für Maja T. ordentlich sein werden, und erlaubte die
       Auslieferung.
       
       [3][Ähnliches geschah damals um die Ibiza-Affäre:] Die österreichischen
       Behörden verlangten seinerzeit, dass der Ibiza-Videograf, der den
       österreichischen FPÖ-Vizekanzler in ein aufgezeichnetes Gespräch über
       Korruption verstrickt hat, nach Österreich ausgeliefert würde. Als Grund
       nannten sie neben der heimlichen Videoaufzeichnung einen nicht plausibel
       konstruierten Vorwurf des Drogenhandels.
       
       Weder in Ibiza noch in Deutschland war das Video strafbar. Das
       Kammergericht hat daher den Mann allein wegen des BTM-Vergehens
       ausgeliefert, dafür wurde er dann von der österreichischen Justiz auch
       verurteilt, unter Dehnung der schlüpfrigen Beweismittel.
       
       ## Wie du mir so ich dir
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das Kammergericht verweigerten die
       Sichtung der Beweise dafür, dass der Drogenhandelsvorwurf nur eine
       Racheaktion wegen des Ibiza-Videos sei, und verwiesen auf den Grundsatz des
       gegenseitigen Vertrauens zwischen EU-Behörden. Die österreichische Justiz
       weigerte sich, das Rechtsmittel zu prüfen, solange der Mann nicht
       ausgeliefert wurde.
       
       Wir haben damals die Justizministerin des Bundes auf diese
       Rechtschutzlosigkeit in Deutschland hingewiesen. Die Antwort: Das sei so
       beabsichtigt. Die deutsche Justiz wolle im Falle eines
       Auslieferungsbegehrens an Ungarn – etwa einen Nazi betreffend – auch keine
       Möglichkeit schaffen, dass die ungarische Justiz ein Auslieferungsbegehren
       zurückweise.
       
       Dass europäische Staaten auf dem Gebiete des Strafrechts zusammenarbeiten,
       ist das Ergebnis der Arbeit starker Lobbygruppen aus Sicherheitsbehörden,
       Staatsanwaltschaften und Gerichten. Menschenrechtsverteidiger sind in diese
       Gesetzgebungsstrukturen nicht eingebunden. Die gegenwärtige Rechtslage
       liefert die Europäer einer potenziell rechtsstaatswidrigen Strafverfolgung
       durch ein EU-Mitglied aus, ohne dass sie sich dagegen wehren können.
       
       ## Kein Asyl gegen ungarische Strafverfolgung
       
       Sollten [4][orbánartige Potentaten in Frankreich], der Slowakei, Österreich
       oder sonst wo die Justiz verheeren und politisch instrumentalisieren, wird
       uns die Berliner Generalstaatsanwältin so wenig vor deren Zugriff schützen
       wie die verlorenen Richterseelen im Kammergericht.
       
       Nicht nur das Bundesverfassungsgericht muss resilient gegen den Zugriff
       durch rechtsradikale Politiker gemacht werden. Auch der Rechtsschutz der
       Europäer gegen vom Ausland getriggerte Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland
       bedarf massiver Stärkung. Asyl gegen eine ungarische Strafverfolgung gibt
       es in Deutschland nämlich nicht.
       
       Hinweis der Redaktion: Johannes Eisenberg, Anwalt in Berlin, versuchte
       seinerzeit, den Ibizavideografen im Auslieferungsverfahren zu schützen, und
       vertritt auch die taz in presserechtlichen Fällen vor Gericht.
       
       2 Jul 2024
       
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