# taz.de -- Wahl der EU-Kommissionspräsidentin: Von der Leyens Eiertanz
       
       > Von der Leyen will am Donnerstag wieder zur Kommissionspräsidentin
       > gewählt werden. Ihr Werben um die Rechten könnte sie wichtige Stimmen
       > kosten.
       
 (IMG) Bild: Giorgia Meloni und Ursula von der Leyen
       
       Ursula von der Leyen stand auf keinem Wahlzettel. Und nur knapp ein Drittel
       der Wähler haben ihrer konservativen Parteienfamilie [1][bei der Europawahl
       im Juni] die Stimme gegeben. Dennoch will sich die CDU-Politikerin am
       Donnerstag im Europaparlament in Straßburg wieder zur Präsidentin der
       EU-Kommission wählen lassen – mit Stimmen aus allen Lagern, ohne feste
       Koalition oder klares Programm.
       
       Kann das gut gehen? Werden vage Versprechen, die von der Leyen allen
       Parlamentsfraktionen in nicht öffentlichen Hinterzimmergesprächen gemacht
       hat, für die Wiederwahl reichen? Das fragen sich nicht nur die zahlreichen
       Kritiker – von Martin Sonneborn (Die Partei) bis hin zu [2][Fabio De Masi
       (BSW)], die von der Leyen wegen ihrer nicht aufgeklärten Affären und
       umstrittenen Deals attackieren.
       
       Zweifel hat auch Daniel Freund. Der deutsche Grünen-Abgeordnete hat gegen
       die Kommission vor dem höchsten EU-Gericht geklagt, weil diese 10
       Milliarden Euro an Ungarn ausgezahlt hatte – trotz ungelöster
       [3][Rechtsstaats-Probleme unter Regierungschef Viktor Orbán]. Freund und
       die Grünen wollen dennoch – zusammen mit der konservativen EVP, den
       Sozialdemokraten und den Liberalen – für von der Leyen stimmen. Man müsse
       abwägen und eine proeuropäische Mehrheit sichern, sagte Freund der taz.
       Schließlich stehe angesichts von Donald Trump und Wladimir Putin viel auf
       dem Spiel. Doch ob das reicht, um die notwendigen 361 Stimmen zu holen, ist
       unklar. Und ganz sicher ist die Zusage der Grünen noch nicht.
       
       Die Entscheidung könnte in letzter Minute fallen: Nach der
       Regierungserklärung, die von der Leyen am Donnerstagvormittag in Straßburg
       hält. „Klimaschutz und Verteidigung europäischer Werte müssen dort eine
       zentrale Rolle spielen, um uns Grüne zu überzeugen“, so Freund – und fügt
       warnend hinzu: „Es dürfte eng werden.“
       
       Dabei hätte diese Zitterpartie nicht sein müssen. „Ein klares Bekenntnis zu
       einer Viererkoalition mit den Grünen hätte schnell für stabile Mehrheiten
       gesorgt“, gibt sich Freund kämpferisch. Doch die EVP und ihr bayerischer
       Chef Manfred Weber (CSU) wollten kein formelles Bündnis mit den Grünen.
       
       Weber will sich alle Optionen offen halten – sogar mit den Rechten. Im
       Wahlkampf hatten von der Leyen und Weber um die rechtskonservativen
       Europäischen Konservativen und Reformer der italienischen Postfaschistin
       Giorgia Meloni geworben.
       
       Doch je mehr Zugeständnisse die deutsche Kandidatin den italienischen
       Rechten macht, desto größer wird der Widerstand im linken und liberalen
       Lager. Sozialdemokraten und Liberale haben von der Leyen vor einem Pakt mit
       den Rechten gewarnt – im Zweifel könnten sie gegen sie stimmen.
       
       Es ist ein wahltaktischer Eiertanz, den die Konservativen kurz vor der
       entscheidenden Abstimmung aufführen. Ihr Verhalten ist aber nicht nur
       demokratietheoretisch fraglich. Es ist auch ein großes Risiko. Denn die
       Wahl ist geheim – wer will, kann von der Leyen unerkannt eins auswischen.
       Rund 10 Prozent der Abgeordneten werden dies erfahrungsgemäß tun. Einen
       Fraktionszwang gibt es auch nicht, was die Unsicherheit vergrößert. Vor
       allem gibt es keine zweite Chance. Wenn von der Leyen im ersten Wahlgang
       scheitert, ist es vorbei. Dann ist sie endgültig durchgefallen und muss ihr
       Brüsseler Amt im Herbst abgeben. So sehen es die Regeln des
       Europaparlaments vor. Bei einer Wahlpleite müssten die Staats- und
       Regierungschefs beim EU-Gipfel einen neuen Kandidaten präsentieren – doch
       wen?
       
       Erinnerungen an 2019 werden wach. Damals hatten sich die EU-Chefs über das
       Parlament hinweggesetzt und den Wahlsieger Weber – er war seinerzeit selbst
       Spitzenkandidat – ausgebootet. An seiner Stelle wurde von der Leyen
       nominiert, obwohl sie sich nicht mal für Brüssel beworben hatte; nur das
       CDU-Parteibuch sprach für sie. Am Ende stimmte das Europaparlament zu – mit
       dem denkbar knappen Ergebnis von 9 Stimmen Mehrheit.
       
       Wie wird das Parlament diesmal reagieren? Auch diese Frage spielt am
       Donnerstag in Straßburg eine Rolle. In letzter Minute ist noch ein weiterer
       Stressfaktor hinzugekommen: Das Urteil des EU-Gerichts zu den
       [4][umstrittenen Corona-Impfstoffverträgen], die von der Leyen 2020 und
       2021 unter größter Geheimhaltung geschlossen hatte. Grüne Europaabgeordnete
       haben auf Offenlegung der Verträge geklagt – und weitgehend recht bekommen.
       Die EU-Kommission habe nicht ausreichend Zugang zu Dokumenten gewährt,
       entschieden die Richter in Luxemburg.
       
       Es ist ein herber Schlag für von der Leyen, die sich persönlich in die
       Impfstoff-Beschaffung eingeschaltet hatte. Er könnte unentschiedene
       Abgeordnete dazu bewegen, mit Nein zu stimmen – zumal die EU-Kommission
       wieder einmal mauert. Man habe das Urteil „zur Kenntnis genommen“ und fühle
       sich in der Sache bestätigt, erklärte von der Leyens Chefsprecher Eric
       Mamer. Dass seine Chefin etwas falsch gemacht haben könnte und dass es
       womöglich besser wäre, den Fehler zu korrigieren, kam ihm nicht in den
       Sinn.
       
       Daraufhin erklärte Fabio De Masi, der auf hartem Oppositionskurs ist: „Frau
       von der Leyen bekommt einen Tag vor der Wahl vom Gerichtshof der EU
       bescheinigt, in der Pfizer-Affäre gegen EU-Recht verstoßen zu haben“, so
       der BSW-Politiker. „Frau von der Leyen sollte auf eine Kandidatur
       verzichten.“
       
       Das wird sie gewiss nicht tun. Doch die Stimmung ist nun noch aufgeheizter.
       In Straßburg haben die vielleicht wichtigsten Stunden der
       Parlamentsgeschichte begonnen – von der Leyens Schicksal steht auf der
       Kippe. Und das der EU auch. Wenn es schiefgeht, stürzt sie erneut über eine
       Europawahl in die Krise – wie vor fünf Jahren. Die Wunden sind bis heute
       nicht verheilt.
       
       18 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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