# taz.de -- Berichterstattung zum Halle-Prozess: Die Bühne des Täters
       
       > Der Prozess gegen den Attentäter wird von vielen Medien begleitet. Der
       > Täter wünscht sich Ikonisierung – und viele Journalist:innen helfen
       > dabei.
       
 (IMG) Bild: Prozessbeobachter:innen und Journalist:innen am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Magdeburg
       
       Er ist überall zu sehen: Sein Name auf Nachrichtenseiten verewigt, sein
       Foto in Tageszeitungen gedruckt. Am Dienstag begann im Landgericht in
       Magdeburg der [1][Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter aus Halle],
       und das mediale Interesse war riesig. Wegen des großen Andrangs konnte der
       Prozess erst zwei Stunden später als geplant beginnen. Und schon nach dem
       ersten Prozesstag haben viele Medien dabei geholfen, den Täter zu
       ikonisieren.
       
       Der 28-jährige Deutsche hatte, angetrieben von Antisemitismus, Rassismus
       und Frauenhass, am jüdischen Feiertag Jom Kippur [2][im Oktober 2019
       versucht, eine Synagoge in Halle zu stürmen]. Als ihm das nicht gelingt,
       erschießt er Jana L. auf der Straße und Kevin S. im nahe gelegenen „Kiez
       Döner“. Auf seiner Flucht vor der Polizei verletzt er weitere Menschen. Für
       diese Taten muss er sich nun vor Gericht verantworten.
       
       Journalistisch ist es eine Herausforderung, über die Taten von
       Rechtsextremen zu berichten: Journalist:innen müssen die Öffentlichkeit
       ausführlich informieren, dürfen aber den Täter:innen nicht zu viel Raum
       geben. Sie müssen das Weltbild der Terrorist:innen beleuchten, um die
       Gefahr des Rechtsterrorismus zu verstehen, sollten jedoch nicht in die
       Falle tappen, deren Propaganda zu reproduzieren. Sie sollten Betroffene in
       den Mittelpunkt stellen, mit ihnen sprechen, ihnen zuhören, aber sie nicht
       bedrängen. Und trotz breiter Berichterstattung das Nachahmer-Potenzial
       nicht fördern.
       
       Gelungen ist das schon nach dem Attentat weniger gut: Verschiedene Medien,
       wie die Bild und die ARD, veröffentlichten Sequenzen des Videos, in dem der
       Täter seinen Anschlag live ins Internet übertrug. Betroffene kritisieren
       heute das Vorgehen der Presse, sie fühlten sich bedrängt. Anstatt darüber
       zu schreiben, wie tief rassistische Ideologien und rechte Strukturen in
       unserer Gesellschaft verankert sind, ging es viel um den Mythos des
       Einzeltäters.
       
       ## Voller Name und unverpixelte Bilder
       
       Damit die Berichterstattung über den Prozess besser wird, gab es am
       Dienstag eine Demo vor dem Gerichtsgebäude. Die Demonstrierenden forderten:
       „Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter“. Denn dass der
       Rechtsextreme diese suchte, wurde schon vor seinem Betreten des Saals
       deutlich. Sein Anwalt teilte mit, dass der Täter gerne mit vollem Namen und
       unverpixelten Bildern gezeigt werden möchte. Und die deutsche Medienwelt?
       Die folgte seinem Wunsch – trotz der Bitte der Nebenkläger:innen, auf Name
       und Bild zu verzichten.
       
       Die meisten Berichte über den Prozessauftakt sind auch ansonsten, neben der
       Namensnennung, vollkommen täterzentriert. Sie geben die Gedanken und Worte,
       die Perspektive eines Neonazis wieder. Stundenlang kam der 28-Jährige im
       Prozess in Magdeburg zu Wort, gab seine rassistischen, islam- und
       judenfeindlichen Ansichten wieder. Und diese Aussagen sind nun für die
       Öffentlichkeit teilweise wörtlich nachzulesen.
       
       So wird etwa [3][beim Spiegel die White-Supremacy-Ideologie] des Täters als
       Zitat in den Titel geschrieben und werden seine rassistischen Aussagen,
       inklusive diskriminierender Begriffe wie des N-Worts, zitiert. Ebenso tat
       es die Bild. Der Tagesspiegel, [4][Zeit Online], Focus Online und die New
       York Times verzichteten zwar auf die Wiedergabe dieses Worts, gaben aber
       den Ideen des Täters von einem „Bevölkerungsaustausch“, seiner Hetze gegen
       Muslim:innen, Jüdinnen:Juden und nichtweiße Menschen Raum.
       
       ## Der MDR will's besser machen
       
       Natürlich muss über die Ideologie des Rechtsextremen geschrieben werden,
       doch es ist die Aufgabe von Journalist:innen, über Rassismus,
       Antisemitismus und Antifeminismus zu schreiben, ohne selbst Ismen zu
       reproduzieren. Gefährlich ist es vor allem deswegen – und darin sind sich
       Terrorismus-Expert:innen einig –, weil ein Nachahmungseffekt droht, wenn
       sich Medien zu sehr auf den Täter fokussieren.
       
       Zudem verharmlosen einige Medien den Täter, wenn sie seine Weltsicht als
       „krude“ (Weser-Kurirer, MoPo, Schwäbische Zeitung) umschreiben, anstatt sie
       eindeutig rechtsextrem zu nennen. Andere nehmen in ihrer Berichterstattung
       sogar die Perspektive des Täters ein, wie ntv oder SWR, wenn sie als Motiv
       von „Hass auf Ausländer“ sprechen. Denn die Menschen, die der Neonazi im
       Oktober töten wollte, sind keine Ausländer:innen, sie werden von ihm
       als solche gelesen, weil sie jüdisch oder nichtweiß sind, weil sie eine
       Migrationsgeschichte haben.
       
       [5][Der MDR möchte es nun besser machen]. In der Berichterstattung über den
       Prozess am Mittwoch kündigten der Sender an, dem Täter keine Bühne mehr
       geben zu wollen und deswegen auf die Nennung des Namens des Angeklagten zu
       verzichten. Bis der Prozess im Oktober zu Ende gehen soll, folgen noch
       einige Prozesstage. Dass auch andere Medienhäuser in dieser Zeit ihre
       bisherige Strategie überdenken, wäre wünschenswert.
       
       Anmerkung der Redaktion: Bei der Redaktionskonferenz der taz wurde am
       Mittwoch die Frage lange diskutiert, ob der Name des Täters genannt werden
       sollte. Einige plädierten für, andere gegen die Namensnennung. Einige
       AutorInnen haben den Täter in ihren Texten benannt, bei diesem Text hat die
       Autorin darauf verzichtet. Es ist etwas in Bewegung geraten. Die Redaktion
       wird sich mit ExpertInnen und Betroffenen beraten, um dann eine generelle
       Linie für die taz zu finden.
       
       22 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Prozess-zu-Anschlag-in-Halle/!5695684
 (DIR) [2] /Sechs-Monate-nach-dem-Anschlag-in-Halle/!5677802
 (DIR) [3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/terroranschlag-in-halle-prozessauftakt-in-magdeburg-a-f6b20ca9-37b7-40e3-92d7-4ffa9b5c0070
 (DIR) [4] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/anschlag-von-halle-gerichtsprozess-attentat-richterin-ursula-mertens/seite-2
 (DIR) [5] https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/reportage-erster-prozesstag-gegen-mutmasslichen-halle-attentaeter-stephan-b-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carolina Schwarz
       
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