# taz.de -- China und Russland: Die ungleichen Partner
       
       > Der Krieg hat China und Russland zusammenrücken lassen. Trotzdem zeigen
       > sich grundverschiedene Weltbilder.
       
 (IMG) Bild: Chinas KP würde sich die Führung in der Welt am liebsten mit den USA teilen
       
       Am 10. und 11. Mai 2023 fanden in Wien unter strenger Geheimhaltung
       Gespräche zwischen dem amerikanischen Sicherheitsberater Jake Sullivan und
       dem für internationale Fragen zuständigen Mitglied des Politbüros der KP
       Chinas, Wang Yi, statt. Sullivan und Wang Yi redeten an diesen beiden Tagen
       insgesamt über acht Stunden miteinander.
       
       Chinesischen Berichten zufolge hat Wang Yi das Angebot wiederholt, ein
       Entgleisen der Konkurrenz zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten in
       einen offenen Konflikt zu vermeiden – anknüpfend an die zwischen Xi Jinping
       und US-Präsident Joe Biden getroffenen Vereinbarungen in Bali. Seit dem
       Zwischenfall um den [1][„Spionageballon“] im Februar 2023 waren die
       Gesprächskanäle zwischen den USA und der Volksrepublik China eingefroren.
       
       Die chinesische Seite betrachtete den Abschuss des Ballons als völlig
       unangemessen: Er zeige, dass Washington in einer Krisensituation nicht
       bereit sei, mit China einen Weg zu beschreiten, der rational, angemessen
       und lösungsorientiert sei. Mehrere Versuche der amerikanischen Seite, den
       Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, scheiterten, bis schließlich Anfang Mai
       der amerikanische Botschafter in Peking von [2][Außenminister Qin Gang]
       empfangen wurde.
       
       Peking lässt Washington zappeln, denn in Peking meint man zu wissen, warum
       US-Außenminister Antony Blinken so dringend mit der chinesischen Seite
       verhandeln möchte: China soll helfen, die große Verlegenheit, in der die
       Biden-Regierung steckt, zumindest abzuschwächen, auf keinen Fall aber zu
       verschärfen. Es ist die lodernde Finanzkrise in den USA und – damit
       verbunden – das schwindende internationale Vertrauen in den US-Dollar als
       Leitwährung.
       
       ## Chinas Joker: US-Staatsanleihen
       
       In Peking weiß man, dass man hier einen wichtigen Hebel in der Hand hält.
       Wenn man sich nur genügend Zeit lässt, werden die USA nicht anders können,
       als ihre Politik gegenüber China zu ändern. Die Tatsache, dass seit
       geraumer Zeit allenthalben [3][US-amerikanische Staatsanleihen verkauft
       werden], bereitet der Regierung Biden erhebliche Probleme und erschüttert
       das amerikanische Finanzsystem.
       
       Sollte China aus seinen immer noch großen Beständen weiter amerikanische
       Staatsanleihen verkaufen und seine Dollarreserven schneller als bisher
       abstoßen, würde dies die Krise in den USA erheblich verschärfen und
       gleichzeitig die schwelende Vertrauenskrise gegenüber dem Dollar als
       internationale Leitwährung vertiefen. Andersherum würde ein Verzicht auf
       weitere Veräußerungen von US-Staatsanleihen oder der Ankauf weiterer
       Staatsanleihen die Situation in den USA entspannen.
       
       Blinken wollte deshalb bereits im Februar nach China reisen, aber seit dem
       Abschuss des chinesischen Ballons klopft er vergeblich an die Türen des
       chinesischen Außenministeriums. In der Zwischenzeit hat sich Peking an
       Moskau angenähert. Chinas Staatsführung sieht sich offenbar gezwungen, von
       der Wunschvorstellung einer einvernehmlichen Lösung mit den USA, ja einer
       erhofften geteilten Verantwortung bei der Führung der Welt Abstand zu
       nehmen.
       
       Die logische Konsequenz waren [4][Xi Jinpings Reise nach Moskau] und seine
       offen bekundete Freundschaft mit Wladimir Putin, der sich als Bewunderer
       des chinesischen Entwicklungsmodells bereitwillig den wirtschaftlichen
       Plänen öffnete, die Xi Jinping im Gepäck hatte. China fühlt sich vom
       Westen, insbesondere von den USA, bedroht und bereitet sich auf eine früher
       oder später einsetzende – und von beiden Seiten betriebene – Abkoppelung
       seiner Wirtschaft vom Westen vor.
       
       ## Interessengeleitete Allianz
       
       Die vielen Projekte, die im Zuge der „Neuen Seidenstraße“ entstanden sind,
       haben Chinas Einfluss auf den Globalen Süden vermehrt, aber wirtschaftlich
       nur bedingt einen positiven Effekt gehabt. Nun stellt man sich in Peking
       vor, dass Russland nicht nur viele der Rohstoffe liefern wird, die man für
       die chinesische Wirtschaft benötigt. China kann sich auch als
       Modernisierungsmotor in Russland betätigen.
       
       So, wie das Engagement der europäischen, japanischen und amerikanischen
       Wirtschaft seinerzeit nicht nur China, sondern auch den jeweiligen Ländern
       genutzt hat, so soll Chinas Engagement für die Modernisierung Russlands der
       chinesischen Wirtschaft einen neuen Wachstumsschub ermöglichen. Chinas neue
       Allianz mit Russland hat also nichts mit ideologischer Übereinstimmung zu
       tun. Ganz im Gegenteil zu dem, was man in Brüssel und Berlin wertegeleitete
       Außenpolitik nennt, wird in China interessengeleitet entschieden.
       
       Radikale Kehrtwendungen sind jederzeit möglich. Chinas Eintreten dafür,
       dass [5][der Ukrainekrieg] so schnell wie möglich endet, ist auch in diesem
       Sinne zu verstehen. Der sogenannte [6][Friedensplan] ist deshalb auch eine
       Interessenbekundung: Nur wenn der Krieg baldmöglichst endet, kann China
       damit beginnen, seine Modernisierungspläne für Russland umzusetzen.
       
       Auch befürchtet es bei einem längeren Krieg, dass die bisherige Resilienz
       des wirtschaftlichen und politischen Systems in Russland ausgelaugt wird
       und Russland womöglich in eine Systemkrise hineinschlittert. Diese wäre für
       China höchst bedrohlich, würde doch ein mögliches Auseinanderbrechen
       Russlands dem Westen die Möglichkeit eröffnen, durch seinen Einfluss auf
       die dann eventuell entstehenden Staaten in der russischen Peripherie bis an
       die chinesische Nordgrenze vorzustoßen.
       
       ## Der Feind meines Feindes..
       
       Xi Jinping hat seit dem letzten [7][KP-Parteitag] wiederholt Reden
       gehalten, in denen er von der „Einkreisung“ Chinas durch den Westen
       gesprochen hat: ein Horrorszenario für die chinesische Führung, die in
       Xinjiang, Tibet, Hongkong und Taiwan Destabilisierungsversuche des Westens
       zu erkennen meint. Aus chinesischer Sicht ist es also dringend geboten,
       Russland so weit zu unterstützen, dass es nicht auseinanderbricht.
       
       Aber klar ist: Strategisch sind Russland und China nur bedingt auf einer
       Linie. Sie sind sich einig in ihrer Gegnerschaft zu den USA und ihrer
       Forderung nach einer sogenannten Demokratisierung des Systems der
       internationalen Beziehungen. In der Frage der zukünftigen Weltordnung
       sprechen beide von „Multipolarität“. Doch zeigt sich, dass ihre
       Vorgangsweise nicht wirklich abgestimmt ist.
       
       Während sich Chinas KP die Führung in der Welt am liebsten mit den USA
       teilen würde – und die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen so weit wie
       möglich aufrechterhalten möchte –, meldet Wladimir Putin mit dem Angriff
       auf die Ukraine den Anspruch Russlands an, als Dritter im Bunde Weltmacht
       zu sein. Putin macht immer wieder deutlich, dass man die Weltordnung
       grundsätzlich infrage stellen muss.
       
       Er agiert als klassischer Revisionist und betont stärker als Xi Jinping die
       Notwendigkeit der Neuordnung der Welt im Sinne der Multipolarität. Auch an
       der Frage der Stationierung von Atomwaffen gibt es deutlich Unterschiede in
       der Haltung Pekings und Moskaus. Während Xi Jinping bei seinem letzten
       Besuch in Moskau meinte, sich mit Putin darauf geeinigt zu haben, dass
       keinerlei Nuklearwaffen außerhalb des jeweils eigenen Landes stationiert
       werden dürften, veranlasste Putin einen Tag nach der Abreise Xis, dass auf
       dem Boden von Belarus ein Raketensystem stationiert werde, das mit
       Nuklearwaffen bestückt werden kann.
       
       ## Xis Traum von der Weltmacht
       
       Anders sieht das Kalkül der politischen Führung Chinas aus. Sie sieht die
       Möglichkeit und Notwendigkeit, das System der internationalen Beziehungen
       schrittweise von innen her umzugestalten. Dabei stört Russlands
       revisionistischer Eifer, und der Krieg in der Ukraine hat in diesem Sinne
       China einen Strich durch die Rechnung gemacht. Chinas schöne neue Welt ist
       eine Welt, in der die USA China als Weltmacht auf Augenhöhe anerkennen und
       sich die Welt mit China teilen.
       
       Der Westpazifik wird von China kontrolliert und damit der gesamte
       Warenverkehr zwischen Asien, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Europa.
       Den Ostpazifik dürfen die USA beherrschen. In allen anderen Teilen der Welt
       gibt es in diesem Szenario lebhafte Konkurrenz, die von den beiden
       Supermächten so weit kontrolliert werden muss, dass diese nicht in eine
       kriegerische Auseinandersetzung ausartet. In dieser Zukunftsvision hat
       Russland keine Weltmachtfunktion.
       
       Es wird in den zweiten Rang eingeordnet – dort, wo man auch Europa, Japan
       und Indien sieht. Damit die Länder „zweiten Ranges“ einen Vorteil von
       dieser anvisierten Weltordnung haben, müssen sie genau das vermeiden, was
       ihnen bisher aus den USA empfohlen wurde. Sie dürfen sich nicht auf eine
       Seite schlagen, sondern müssen sich gleichermaßen mit den USA und China
       arrangieren. Diese Mittelstellung schafft gute Voraussetzungen für ihr
       weiteres wirtschaftliches Fortkommen.
       
       Zugleich bilden diese Länder in der internationalen Ordnung eine Kraft,
       die nicht daran interessiert sein kann, dass es zum Krieg zwischen China
       und den USA kommt. Sie sind die dritte Kraft, die es braucht, damit die
       beiden Supermächte zur Koexistenz gezwungen sind. Wenn die chinesischen
       Emissäre, die gegenwärtig durch Europa reisen, betonen, man solle sich vom
       „Kalter-Krieg-Denken“ verabschieden, dann ist damit gemeint, dass Europa
       sich als eigenständiger Akteur wiederentdecken und Brüssel die Politik der
       Allianz mit den USA überdenken sollte.
       
       In der multipolaren Ordnung, die man zusätzlich zur bipolaren Ordnung an
       der Spitze des Weltsystems zu schaffen hofft, sollte Europa das strikte
       Lagerdenken vermeiden und sich einem neuen „Eisernen Vorhang“ verweigern.
       Nur steht diese Idee all dem entgegen, was derzeit in Europa gedacht wird,
       wenn man einmal davon absieht, dass die viel gescholtenen Äußerungen von
       Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach seiner Rückkehr aus China wohl
       eher in die von Peking angedachte Richtung gehen.
       
       Man sollte diese Überlegungen nicht gleich von der Hand weisen, enthalten
       sie doch vieles, was Europa bisher stark gemacht hat. China wirbt um Europa
       als dritte Kraft im Weltgeschehen, weil nur so sein Plan aufgehen kann, das
       monopolare System unter amerikanischer Hegemonie zu seinen Gunsten
       umzubauen. Es wird Zeit, dass man darüber nachdenkt, ob dieser Plan nicht
       Elemente enthält, die auch für Europa von Vorteil sein könnten.
       
       28 May 2023
       
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