# taz.de -- EU-Beitritt der Westbalkanstaaten: Dit is Berlin
       
       > Erst hielt die EU sie jahrelang hin, nun will sie die Westbalkanländer
       > schnell reinholen. Allerdings müssen zuvor alte Konflikte gelöst werden.
       
 (IMG) Bild: Olaf Scholz sitzt gegenüber von Albin Kurti bei einem Treffen am Montag beim Westbalkan-Gipfel in Tirana
       
       TIRANA taz | Roter Teppich? Ach nee. Als Bundeskanzler Olaf Scholz am Ende
       der Stoffbahn ankam, die vor dem Amtssitz des albanischen
       Ministerpräsidenten ausgerollt war, überschritt er einfach die Absperrung
       -er wollte seinen Spaziergang auf dem blassroten Radweg fortsetzen. Der
       albanische Ministerpräsident pfiff seinen Gast zurück – „Mr. Scholz“. Der
       schlug einen 110-Grad- Haken, erklomm, eskortiert von Edi Rama, die rot
       beteppichten Stufen zu dessen Amtssitz.
       
       Dit is Berlin? Na fast, Tirana. Albanien war erstmalig Gastgeber für das
       [1][Gipfeltreffen des Berliner Prozesses], das Scholz am Montag besuchte.
       2014 hatte Scholz' Vorgängerin Angela Merkel die regelmäßigen Treffen
       zwischen den Westbalkanländern und der EU ins Leben gerufen, um die
       Zusammenarbeit untereinander und ihre Integration in die Union zu fördern.
       
       Scholz würde ihr Werk gern vollenden, doch der Prozess stockt. Die sechs
       Westbalkanländer Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien,
       Montenegro und Serbien harren zum Teil seit fast zwei Jahrzehnten als
       Beitrittskandidaten im Wartesaal der EU aus. Die ursprüngliche
       EU-Begeisterung ist mittlerweile Frust gewichen.
       
       Das liegt zum Teil an der Erweiterungsskepsis einzelner EU-Mitglieder, aber
       auch an schwelenden und neuen Spannungen zwischen den Beitrittskandidaten,
       etwa zwischen Kosovo und Serbien. Im [2][September überfielen serbische
       Bewaffnete eine kosovarische Polizeistation], die nächste Eskalationsstufe
       der sich hochschaukelnden Animositäten zwischen Serbien und seiner
       ehemaligen Provinz.
       
       ## Kosovo und Serbien sollen deeskalieren
       
       Sowohl Scholz als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
       ermahnten Kosovo und Serbien ihre Streitereien beizulegen. „Beide Länder
       müssen deeskalieren“, so Scholz. Es sei höchste Zeit, Konflikte zu
       überwinden, die schon viel zu lange dauerten und die Länder zurückhielten.
       „Es ist wichtig für Serbien und Kosovo, miteinander zu kooperieren“,
       betonte auch von der Leyen. Einen weiteren Großkonflikt, zumal im eigenen
       Hof, will die EU unbedingt verhindern. Ob die Schlichtungsversuche fruchten
       ist ungewiss: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic war gar nicht erst
       angereist, sondern wurde durch die Ministerpräsidentin vertreten.
       
       Als Bonbon und Vorgeschmack auf die vollwertige Mitgliedschaft stellte von
       der Leyen den Westbalkanländern in Tirana schrittweisen Zugang zum
       EU-Binnenmarkt in Aussicht, etwa für Waren- und Dienstleistungsverkehr,
       Energie, Strom und den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Für eine vollständige
       Integration lägen die Volkswirtschaften der Beitrittskandidaten und der EU
       aber nach Ansicht der Kommissionspräsidentin noch zu weit auseinander. So
       betrage die Wirtschaftskraft der Westbalkanländer gerade mal 35 Prozent des
       EU-Durchschnitts.
       
       Von der Leyen kündigte neue Finanzhilfen an, die das Potential hätten die
       Wirtschaftskraft zu verdoppeln. Sie fordert die Westbalkanstaaten im
       Gegenzug zu Reformen auf und dazu ihre Märkte gegenseitig und für die
       Nachbarländer zu öffnen.
       
       Albaniens Ministerpräsident Rama hatte zuvor allerdings gleich in seiner
       Eröffnungsrede kritisiert, dass die EU bislang nicht alle Zusagen für
       Hilfen eingehalten habe.
       
       Scholz pochte auch darauf, dass [3][die EU die Fortschritte Nordmazedoniens
       belohnt.] Das Land ist bereits seit 2005 Betrittskandidat, hatte auf Druck
       Griechenlands sogar seinen Namen geändert. Die offiziellen
       Beitrittsverhandlungen begannen erst im Juli 2022. Größter Blockierer ist
       in diesem Fall Bulgarien, das ein Bekenntnis zur bulgarischen Sprache von
       Nordmazedonien verlangt.
       
       ## 1,5 Milliarden Euro für eine Klimapartnerschaft
       
       Am Ende des Treffens in Tirana lobte Scholz den Berlin Prozess als
       Erfolgsgeschichte. Er schränkte aber auch im Hinblick auf die Spannungen
       zwischen Serben und Kosovaren ein: „Wir müssen Rückschläge hinnehmen“.
       Deutschland will in den nächsten Jahren 1,5 Milliarden Euro für eine
       Klimapartnerschaft mit dem Westbalkan bereitstellen und so den Prozess
       weiter vorantreiben. „Die Zukunft des westlichen Balkans liegt in der EU.
       Dieses Versprechen gilt.“
       
       Rama dankte Scholz für dessen „stille Kraft mit der dieser die Annäherung
       des Westbalkans an die EU vorantreibe und würdigte von der Leyens Vorstoß
       für einen neuen Wachstumsplan für den Westbalkan.
       
       ## Die EU drückt aufs Tempo
       
       Ausgerechnet der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hatte
       neuen Schwung in die stockenden Beitrittsgespräche gebracht. Denn Russland
       würde seinen Einfluss auf dem Balkan gern vergrößern und [4][findet in
       Serbien] und der bosnischen [5][Republik Srpska] willige Verbündete. Zudem
       möchte auch die Ukraine, am besten im Schnellverfahren, EU-Mitglied werden,
       was die Ungeduld im Warteraum erhöht.
       
       Die EU hatte in den vergangenen Monaten ihre jahrelange Hinhaltetaktik
       geändert und drückt nun selbst aufs Tempo. Das seien jetzt entscheidende
       Momente, warb von der Leyen an die Beitrittskandidaten gerichtet. „Nur wenn
       sie zusammenarbeiten, werden die Westbalkanstaaten dort landen, wohin sie
       gehören: in die Mitte der Europäischen Union. Also, nutzt den Moment.“
       
       Allerdings könnte sich das Zeitfenster auch schnell wieder schließen.
       Überschattet wurde das Treffen in Albanien, wo 60 Prozent der Bevölkerung
       Muslime sind, von der [6][Großkrise im Nahen Osten] und dem drohenden Krieg
       zwischen Israel und der Hamas. Der zieht politische Energie und
       Aufmerksamkeit ab.
       
       Mit Blick auf die drohende humanitäre Krise in Gaza kündigte von der Leyen
       die Verdreifachung der humanitären Finanzhilfe für die Palästinenser und
       die Einrichtung einer Luftbrücke über Ägypten an, um die Menschen in Gaza
       mit Hilfsgütern zu versorgen. Etwas früher als geplant reiste Scholz am
       Abend aus Tirana ab. Scholz reist am Dienstag nach Israel und anschließend
       nach Ägypten. Er werde Gespräche zur Sicherheitssituation führen und
       erörtern, wie verhindert werden könne, dass der Konflikt auf die Region
       übergreife, so Scholz. „Es geht darum, mit allen im Gespräch zu bleiben.“
       
       16 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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