# taz.de -- Ein Jahr nach Anschlag in Hanau: Der Hass und seine Wegbereiter
       
       > Das Attentat von Hanau hat gezeigt, wie gefährlich rassistische
       > Verschwörungsfantasien sind. Doch sie werden noch immer unterschätzt.
       
 (IMG) Bild: Die Attentäter von München, Halle und Hanau waren von ähnlichem Hass getrieben
       
       Hanau war ein Wendepunkt. Nach dem Anschlag nahm die [1][Kanzlerin erstmals
       das Wort „Rassismus“] in den Mund. Sie berief sogar einen
       Kabinettsausschuss gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein, der im
       November 2020 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorlegte. Selbst
       [2][Innenminister Horst Seehofer konnte nach dem Anschlag] nicht umhin, von
       einer „Blutspur des Rechtsterrorismus“ zu sprechen.
       
       Das Attentat auf zwei Shishabars in Hanau markierte den Höhepunkt eines
       blutigen Jahres – einer Anschlagsserie, die im Juni 2019 mit dem Mord an
       dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke begann und im November
       in Halle zwei Menschen das Leben kostete. Hätte [3][die Tür der Synagoge]
       nicht standgehalten, wäre es zum Massaker gekommen.
       
       Die drei Attentate stehen auch in einem inneren Zusammenhang, die Täter
       waren von ähnlichem Hass angetrieben: auf Flüchtlinge und migrantische
       Jugendliche als Agenten einer vermeintlichen „Überfremdung“, auf Juden und
       Muslime als Angehörige einer verabscheuten Religion und auf Politiker als
       Repräsentanten eines verhassten Systems.
       
       Ihre Ziele sind deshalb bis zu einem gewissen Grad austauschbar. Bei dem
       Attentäter von Halle zeigt sich das besonders deutlich: Ursprünglich wollte
       er eine Moschee stürmen, die fand er in Halle aber nicht. Als er vor der
       Synagoge scheiterte, stürmte er in einen nahegelegenen Döner-Imbiss und
       erschoss einen Mann, den er irrtümlich für einen „Muslim“ hielt, wie er
       selbst später vor Gericht aussagte.
       
       ## Verharmlost und relativiert
       
       Auch der Rechtsterrorist, der am 22. Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum
       in München neun Menschen tötete, die meisten Jugendliche türkischer und
       kosovo-albanischer Herkunft, hasste Muslime. Er verehrte den norwegischen
       Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, der 2011 in Oslo und unter den
       Teilnehmer*innen eines sozialdemokratischen Jugendlagers auf der Insel
       Utøya ein Blutbad verübte, als Vorbild und Idol.
       
       Seinen Anschlag in München verübte er exakt am fünften Jahrestag der
       Anschläge von Norwegen. Dennoch brauchten die bayerischen Behörden und
       viele Medien mehrere Jahre, um diese Tat nicht als unpolitischen „Amoklauf“
       und „Racheakt“ eines Mobbingopfers, sondern [4][als rechtsextremes Attentat
       einzustufen]. Das rassistische Motiv wurde verharmlost und relativiert.
       
       Die Attentäter von München, Halle und Hanau haben, wie ihr Vorbild Breivik,
       kurz vor ihren Taten im Netz ein „Manifest“ mit rassistischen Parolen
       hochgeladen, um ihre Mordlust zu „begründen“. Denn sie wussten, dass sie
       mit ihren Feindbildern nicht ganz allein stehen.
       
       Insbesondere „der muslimische Mann“ wurde in den vielen öffentlichen
       Debatten über „Clan-Kriminalität“ oder islamistischen Terror, über die
       Kölner Silvesternacht von 2015, über „Ehrenmorde“ oder über [5][Thilo
       Sarrazin], der über die Geburtenraten von Muslimen schwadronierte, immer
       wieder als gefährlich und fremd markiert.
       
       ## Verschwörung im Bestseller
       
       Bestimmte Medien und natürlich die AfD befördern immer wieder das Angstbild
       einer angeblich drohenden „Islamisierung“. Der Amerikanist Michael Butter,
       der ein Buch über Verschwörungstheorien geschrieben hat, bezeichnet das
       Phantasma von der „Islamisierung“ als derzeit hartnäckigste
       Verschwörungsideologie. Danach würden Muslime gezielt Europa unterwandern
       und durch massive Zuwanderung und hohe Geburtenraten die angestammte
       Bevölkerung verdrängen.
       
       Bestsellerautoren wie Oriana Fallaci, Udo Ulfkotte und Thilo Sarrazin haben
       diese Wahnidee popularisiert, der Schriftsteller [6][Michel Houellebecq hat
       sie in seinem Roman „Unterwerfung“] aufgegriffen.
       
       Im rechtsradikalen und völkisch-identitären Milieu übersetzt sich diese
       Paranoia in die Theorie von einem „Großen Austausch“, der angeblich von
       ganz oben gesteuert wird. Dahinter stecken wahlweise liberale „Eliten“ oder
       [7][der Philanthrop George Soros], dem das antisemitische Klischee des
       „jüdischen Strippenziehers“ angehängt wird. So reichen sich der Hass auf
       Muslime und klassischer Antisemitismus die Hand.
       
       Der Sturm auf das Kapitol in Washington hat gezeigt, wie wirkmächtig
       Verschwörungsmythen sein können, wenn sie von Staatsoberhäuptern verbreitet
       werden. Auch die Verschwörungsfantasie von der „Islamisierung“ Europas wird
       von ganz oben verbreitet: von Ungarns Premier Viktor Orbán etwa, oder von
       der polnischen Regierung.
       
       ## Ungebremste Hetze
       
       Und nicht wenige etablierte Medien, vor allem aber rassistische Hetzblogs
       im Internet, stricken an diesem Angstbild mit. Die Gefahr, die davon
       ausgeht, wird immer noch unterschätzt.
       
       Politik und Öffentlichkeit haben dem viel zu lange tatenlos zugeschaut oder
       es als eine Art Kavaliersdelikt betrachtet – als irgendwie verständliche
       Reaktion darauf, dass unsere Gesellschaft immer vielfältiger wird.
       
       Der reichweitenstärkste Hetzblog in deutscher Sprache, PI-News, versprüht
       seit 17 Jahren täglich Hass auf Muslime und Politiker. Er wird bis heute
       nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dabei wurde in dessen
       Kommentarspalten schon vor vier Jahren die Adresse des ermordeten Kasseler
       Regierungspräsidenten Walter Lübcke veröffentlicht. Und noch im Januar hieß
       es dort trotzig: „Keinerlei Mitgefühl, keinerlei Trauer für Walter Lübcke.“
       
       Auch die antimuslimische Pegida-Bewegung wurde nie vom Verfassungsschutz
       überwacht – auch nicht, nachdem ein Redner aus ihren Reihen im September
       2016 in Dresden zwei terroristische Sprengstoffanschläge verübte, einen
       davon auf eine Moschee.
       
       ## Nicht vergessen!
       
       Auch [8][die Terrorgruppe Freital,] die im Jahr 2015 insgesamt fünf
       Bombenanschläge auf linke Politiker und Asylunterkünfte verübte, hatte
       Verbindungen zu Pegida. Für die Organisatoren und Wortführer der
       rechtsextremen Bewegung hatte das jedoch keinerlei direkte Konsequenzen.
       
       Seit dem Anschlag in Hanau steht nun immerhin die AfD unter verschärfter
       Beobachtung. Seit März 2020 wird der inzwischen formal aufgelöste völkische
       Flügel der AfD um Björn Höcke als „gesichert rechtsextremistisch“
       eingestuft und beobachtet. Der Verfassungsschutz will die ganze Partei als
       Verdachtsfall einstufen, wogegen diese sich vor Gericht wehrt.
       
       Was aber hat sich nach Hanau sonst noch geändert? Dem unermüdlichen
       [9][Druck der Hinterbliebenen und der Initiative vor Ort] ist es zu
       verdanken, dass der Anschlag von Hanau nicht vergessen und dass seiner
       Opfer gedacht wird: #saytheirnames.
       
       Sogenannte Clankriminalität 
       
       Angriffe auf Muslime und auf Moscheen sind aber weiterhin alltäglich und
       haben im vergangenen Jahr sogar zugenommen: Über 900 Straftaten haben die
       Behörden im Jahr 2020 gezählt. Antisemitische Straftaten wurden sogar 2.275
       registriert. Die meisten davon gehen auf das Konto von Rechtsextremisten.
       
       Aufsehenerregende Polizeirazzien in Shishabars sind ebenfalls fast
       alltäglich, auch wenn dabei selten mehr als unverzollter Tabak gefunden
       wird. In Berlin rückte die Polizei im vergangenen Jahr sogar mit einem
       Großaufgebot zu zwei Moscheen an, um dem Verdacht nachzugehen, sie hätten
       unberechtigterweise Coronasoforthilfen bezogen.
       
       Und die [10][CDU zeigt in einem aktuellen Clip] zwei arabisch aussehende
       junge Männer im Lamborghini, um für ein hartes Durchgreifen gegen
       „Clan-Kriminalität“ zu werben. Auch das trägt zur Stigmatisierung bei.
       
       Nicht alle haben aus Hanau etwas gelernt.
       
       Der Autor arbeitete bis 2017 bei der taz. Heute ist er Pressesprecher am
       Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).
       
       17 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Merkel-zu-Anschlag-in-Hanau/!5665261
 (DIR) [2] /Kampf-gegen-Rechtsextremismus/!5650896
 (DIR) [3] /Das-Attentat-von-Halle/!5628896
 (DIR) [4] /OEZ-Anschlag-in-Muenchen/!5636150
 (DIR) [5] /Neues-Buch-von-Thilo-Sarrazin/!5136870
 (DIR) [6] /Roman-von-Michel-Houellebecq/!5024623
 (DIR) [7] /US-Milliardaer-George-Soros/!5394144
 (DIR) [8] /Zweites-Urteil-wegen-Freital-Terror/!5745263
 (DIR) [9] https://www.demokratie-leben-hanau.de/projekte/projekte-2021/saytheirnames-projekt
 (DIR) [10] /Wahlwerbewahnsinn-der-CDU/!5720489
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
 (DIR) Islamfeindlichkeit
 (DIR) Rechtsterrorismus
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Clans
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Volksverhetzung
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Kolumne Habibitus
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Rechter Populismus
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Offener Brief aus Neukölln: Geschäftsleute fordern faire Kontrollen
       
       Neuköllner Gewerbetreibende wehren sich gegen Razzien gegen
       „Clankriminalität“. Sie fordern Gewerbekontrollen ohne Diskriminierung.
       
 (DIR) Rassistischer Anschlag in München 2016: Kassel, Hanau, Halle – und München
       
       Am 22. Juli 2016 ermordete ein Jugendlicher neun Menschen in München. Die
       Hinterbliebenen fürchten das Vergessen des rassistischen Anschlags.
       
 (DIR) Podcast über Anschlag in München: Allein mit der Trauer
       
       Die „Süddeutsche Zeitung“ hat in Kooperation mit Spotify die sechsteilige
       Podcast-Reihe „Terror am OEZ“ produziert. Das Format bietet viel Raum für
       Gedanken.
       
 (DIR) Verhetzung und Strafrecht: Streit um Schutz für Muslime
       
       Die neue Strafnorm gegen „verhetzende Beleidigung“ soll nach dem Willen der
       CDU/CSU nur Gruppen mit NS-Verfolgungsschicksal schützen.
       
 (DIR) Offenbach gegen die Rechten: Albtraum der AfD
       
       Das schlechte Image Offenbachs hält sich nur noch außerhalb der
       Stadtgrenze. Innerhalb positioniert sich eine vielfältige Gesellschaft
       gegen rechts.
       
 (DIR) Übergriffe auf Geflüchtete im Jahr 2020: Wieder über 1.600 Angriffe
       
       2020 gab es mindestens 1.606 registrierte Angriffe auf Geflüchtete in
       Deutschland, 201 Menschen wurden verletzt. Damit ist die Zahl im Vergleich
       zu 2019 leicht gesunken.
       
 (DIR) Online-Projekt querdenker-shop.com: „Wechseln Sie den Kurs!“
       
       Ein Onlineshop ködert Verschwörungsideologen mit einschlägigen Artikeln.
       Aber zu kaufen gibt es nichts: Statt dessen gibt es ein Ausstiegsangebot.
       
 (DIR) Ein Jahr nach dem Anschlag von Hanau: Deine Trauer, meine Trauer
       
       Mitunter wird das Gedenken an Opfer rechten Terrors und islamistischen
       Terrors gegeneinander ausgespielt. Wer das tut, verharmlost die Gewalt.
       
 (DIR) Rechtsextreme Plakatierer in Berlin: „Vortäuschen von Präsenz“
       
       Die „Identitäre Bewegung“ führte eine Adbusting-Aktion durch. Sie will
       damit Größe vorgaukeln, sagt Felix Müller von der MBR.
       
 (DIR) Umgang mit Rassismus: Aus Hanau nichts gelernt
       
       Selbst nach Hanau und dem NSU haben sich die Sicherheitsbehörden nicht
       konsequent entwickelt. Doch gegen strukturellen Rassismus helfen nur neue
       Strukturen.
       
 (DIR) Podcast zum Attentat von Hanau: So viele Fragen
       
       Der rassistischen Anschlag in Hanau veränderte die Hinterbliebenen. Der
       Podcast „190220“ dokumentiert ihren Kampf um Aufklärung.
       
 (DIR) Angehörige zum Jahrestag in Hanau: „Wir werden keine Ruhe geben“
       
       Vor einem Jahr tötete ein Rassist in Hanau zehn Menschen. Die Betroffenen
       kritisieren die Behörden scharf und fordern mehr politische Konsequenzen.
       
 (DIR) Ein Jahr nach Hanau: Der Kampf für Ferhat
       
       Vor einem Jahr starb Ferhat Unvar mit acht anderen Menschen bei einem
       rassistischen Attentat. Seine Mutter kämpft um Aufklärung.
       
 (DIR) Rechter Terroranschlag in Hanau: Panne und Gedenken
       
       Der Hessische Landtag verspricht entschiedenen Kampf gegen Rassismus. Am
       selben Tag räumt Innenminister Beuth Pannen in der Tatnacht von Hanau ein.