# taz.de -- Protokolle nach Hanau: Wut. Trauer. Mut
       
       > Eine Woche nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau bleibt die
       > Frage: Was können wir tun? Elf Protokolle.
       
 (IMG) Bild: Trauer um die Ermordeten in Hanau
       
       Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein, sagt die Mutter von Ferhat
       Unvar, der [1][in Hanau] ermordet wurde. Leider wird es so sein. Er ist
       umsonst gestorben. Genau wie alle anderen. Sie, ihr Sohn und alle anderen
       gehören nicht zu Deutschland, wie Bundesinnenminister Seehofer vor zwei
       Jahren verkündete. Die Migration sei die Mutter aller Probleme [2][und der
       Islam] gehöre nicht zu Deutschland.
       
       Damit gehören sie und ihr Sohn genauso wenig wie ich zu Deutschland. Von
       einer „Zäsur“ wird nur gesprochen, wenn Biodeutsche getötet werden. Nicht
       die Höckes und Konsorten sind unser Problem. Wer als Innenminister einer
       wohlgemerkt christlichen Partei, der für die innere Sicherheit in diesem
       Land und damit für die Sicherheit aller Bürger in diesem Land
       verantwortlich ist, so etwas sagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn
       andere den Abzug drücken.
       
       Taten statt Worte haben schon die NSU-Terroristen propagiert. Der Islam und
       damit die „Ausländer“ gehören nicht hierher. Schließlich geht es hier um
       den Erhalt der Deutschen Nation. Es wird alles beim Alten bleiben. Ein paar
       Tage Trauer, die Fahnen auf halbmast, alles bleibt, wie es ist. Es wird
       nicht besser. Es wird schlimmer. Es kommen die nächsten Seehofers, die den
       Rechtsradikalismus mit der Thematisierung der Clankriminalität bekämpfen
       wollen. Schon wieder sind es die „Ausländer“, die schuld daran sind, dass
       es Rechtsradikalismus in Deutschland gibt. Wer erklärt dieser Mutter, dass
       ihr Sohn umsonst gestorben ist?
       
       Seda Başay-Yildiz, NSU-Nebenklageanwältin, Frankfurt 
       
       ***
       
       Hätte ein islamistischer Terrorist in Deutschland zehn Menschen erschossen,
       weil er gegen „Ungläubige“ vorgehen wollte, hätte es – völlig zu Recht –
       einen Aufschrei gegeben, der wochenlang nachhallt. Aber nach dem Terror von
       Hanau? Schnell ist Normalität eingekehrt. Kein Mensch ist auf die Idee
       gekommen, Karneval ausfallen zu lassen. Und hat irgendjemand eigentlich
       etwas über die Beerdigungen der Opfer gelesen? Kann wenigstens einen Namen
       der Ermordeten nennen? Mich erstaunt das nicht.
       
       Das ist kein neues Gefühl, dass Menschen, die braune oder schwarze Haut
       haben oder die einen fremd klingenden Namen tragen, in dieser Gesellschaft
       weniger wert sind. Wenn sie wegen genau dieser Eigenschaften ermordet
       werden, ist es anscheinend weniger schlimm. Politiker wie Friedrich Merz
       von der CDU vermitteln in dieser Lage allen Ernstes, am Rechtsextremismus
       seien letztlich die Ausländer selbst schuld. So wie CSU-Politiker Horst
       Seehofer behauptete, Migration sei „die Mutter aller Probleme“.
       
       So wie der CDU-Mann Heinrich Lummer, als Anfang der Neunzigerjahre
       Flüchtlingsheime brannten und Menschen ermordet wurden, erklärte: „Ich
       warne vor einer Überfremdung Deutschlands!“ All das ist inakzeptabel. Wie
       wird es weitergehen in Deutschland? Wir werden uns wehren, immer wieder,
       mit Worten und allen demokratischen und juristischen Mitteln. Wir müssen
       noch viel lauter werden.
       
       Hasnain Kazim, Autor, Wien 
       
       ***
       
       Das Attentat in Hanau erschüttert zahllose Menschen in Deutschland.
       Scheinbar aus dem Nichts wurden Menschen mitten aus dem Leben gerissen,
       plötzlich, sinnlos, unbegreiflich. Den Zusammenbruch all dessen, was wir
       für sicher und stabil in unserem Leben halten, müssen die Angehörigen nun
       ertragen. Und wir müssen uns fragen, was können und was müssen wir tun,
       damit nicht noch mehr unschuldige Menschen mitten aus unserer Gesellschaft,
       mitten im Alltag, mitten unter uns ermordet werden?
       
       Das Waffengesetz in Deutschland ist eines der restriktivsten der Welt. Was
       versäumen wir? Offensichtlich geht es um die Vernetzung von Informationen,
       denn der mutmaßliche Täter war als Waffenbesitzer bekannt und er war ebenso
       als psychisch belastet auffällig geworden, als er Anzeige, gegen eine
       imaginäre Geheimdienstorganisation stellte. Die Zusammenführung der
       Informationen hätte zum sofortigen Entzug der Berechtigung zum Besitz von
       Schusswaffen geführt.
       
       Neben dieser Vernetzung ist eine obligatorische psychologische Begutachtung
       von Waffenbesitzern, wie sie als Antrag 2017 bei der Revision der EU
       Feuerwaffenrichtlinie vorlag und abgewiesen wurde, sinnvoll. Im Leben eines
       jeden Menschen kann es Entwicklungen geben, die ihn aus der Bahn werfen.
       Der Besitz einer Schusswaffe kann in einer solchen Situation fatale Folgen
       haben.
       
       Gisela Mayer, Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden 
       
       ***
       
       Der Terroranschlag in Hanau hat nicht überrascht, aber geschockt. Es hat
       Menschen getroffen, die meine Geschwister hätten sein können. Meine
       Geschwister waren am Samstag wieder in einer Shishabar. Meine Schwester
       sagt am Telefon, wir sind immer in die Shishabar gegangen. Wir werden es
       auch weiterhin tun.
       
       Vor rechtem Terror können wir uns nicht selber schützen. Nur die
       Sicherheitsbehörden können das, die Zivilgesellschaft kann das, die Politik
       kann das. Die Sicherheitsbehörden, in dem sie ihrer Pflicht nachkommen,
       alle Menschen zu schützen, und mit der Entnazifizierung in den eigenen
       Reihen und Köpfen beginnt. Die Zivilgesellschaft, in dem sie rechter
       Ideologie keinen Quadratzentimeter Boden einräumt, in dem sie sich als
       antifaschistisch versteht. Und die Politik, die ein verschärftes
       Waffenrecht durchsetzt, erwirkt, dass die NSU-Akten geöffnet werden, die
       Förderung für zivilgesellschaftliche Projekte sicherstellt, keine
       Kompromisse mit der AfD eingeht und Rassismus benennt.
       
       Ronya Othmann, Autorin, München 
       
       ***
       
       Der Anschlag in Hanau kam nicht unerwartet. Erst kurze Zeit vorher ist ein
       Nazi-Terrornetzwerk von der Polizei hochgenommen worden. Die formulierten
       Ziele der Neonazis waren Terroranschläge auf die muslimische Minderheit des
       Landes, um dadurch Bürgerkriegszustände herzustellen. Dieses Wissen führt
       nicht dazu, dass es einem weniger das Herz zerreißt, dass diese
       unschuldigen Menschen sterben mussten. Die Trauer, die sich jetzt in ihren
       Familien ausbreitet, muss unermesslich sein. Schlimm waren auch
       Relativierungsversuche in den sozialen Medien und anderswo.
       
       Dass es einen hundertprozentigen Schutz nun einmal nicht gebe, usw. Eine
       solche Aussage macht es sich zu einfach. Niemand fragt hier nach dem
       Unsterblichkeitskraut. Es geht um menschenrechtliche Schutzpflichten des
       Staates, die eingehalten werden müssen, auch wenn das nicht zu einem
       absoluten Schutz führen kann. Dazu gehört: dass der Staat keine Ressourcen
       scheut, den NSU-Komplex vollständig aufzulösen, alle Netzwerke von Nazis zu
       identifizieren und wirksame Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Bisher
       blieben die Mahnungen von Betroffenen und Opferanwälten ungehört. Auch nach
       innen hin muss der Staat aktiv werden und in den eigenen Behörden,
       insbesondere im Sicherheitsapparat die Verbindung zu Nazistrukturen mit
       einer Null-Toleranz-Linie eliminieren, also eine Entnazifizierung 2.0.
       durchführen.
       
       Die Generalbundesanwaltschaft sollte Rechenschaft darüber ablegen, wie sie
       mit den Informationen aus dem Brief umgegangen ist, den der Attentäter aus
       Hanau vorab dort eingesandt hat. Darüber hinaus sollte der Staat einen
       wirksamen, zugänglichen und schnell handelnden Beschwerdemechanismus für
       die Angehörigen der Opfer einrichten. Für potenziell Betroffene sollte es
       eine Meldestelle geben, wo sie bei Verdacht auf Verfolgung sofort Schutz
       finden können.
       
       Deniz Utlu, Schriftsteller, Berlin 
       
       ***
       
       Was heißt es, mit einer Narbe, dem Verlust eines Bruders, eines Sohnes,
       eines Mannes zu leben? Ich habe 2004 den Nagelbombenanschlag in Köln
       miterlebt, habe jahrelang den NSU-Prozess mitgemacht und wurde wie mein
       Mann beschuldigt: Bandenkrieg oder Zuhälterei oder irgendetwas anderes.
       Rassismus ausgeschlossen. Mein Sohn hat seinen Vater mit sieben Jahren
       unter die Erde gelegt. Deutschland, du hast in Bezug auf Rassismus versagt!
       Wir sind hier geboren, wir haben einen deutschen Pass, wir reden deutsch,
       wir halten uns an Gesetze. Aber das hat euch nicht gereicht.
       
       Wenn ihr Integration wollt, beherrscht erst einmal unsere Namen und unsere
       Geschichten. Vorher seid ihr keine Deutschen. Die Morde und Anschläge
       passieren in eurem Land. Das gehört zu eurer Geschichte. Was ihr als Trauer
       bezeichnet, ist eine tiefe Narbe, die wir im Herzen haben, die ihr zwei
       Tage lang lebt, indem ihr Kerzen anzündet. Ich bitte euch, die Familien der
       Opfer in Hanau nicht nur bei Trauerveranstaltungen zu unterstützen. Ich
       bitte euch, eure Kinder so zu erziehen, dass sie nicht irgendwann einmal
       Akten wegschließen.
       
       Candan Özer Yılmaz, Witwe von Atilla Özer, der 2004 beim rassistischen
       Nagelbombenanschlag des NSU in einem Friseurladen in der Kölner Keupstraße
       schwer verletzt wurde und später starb. 
       
       ***
       
       Als klar wurde, was in Hanau passiert ist, war mein erster Gedanke: Jetzt
       ist es wieder passiert. Wochen vor der Tat habe ich mich mit anderen über
       die Stimmung in Deutschland unterhalten. Überall war das Gefühl: Es wird
       bald wieder etwas passieren, wir wissen nur nicht, wo. Nun ist es Hanau.
       Mich lässt nicht los, dass es die Kinder und Enkel der Zugewanderten und
       Gastarbeiter getroffen hat. Ich hatte nach dem Auffliegen des NSU mal eine
       Lesung, da kam ein Mann zu mir, der sagte, er sei nach Deutschland
       gekommen, damit seine Kinder hier eine bessere Zukunft hätten, und nun
       gingen seine Kinder zurück in die Türkei, um diese bessere Zukunft dort zu
       suchen. Da bricht gerade etwas zusammen: das Gefühl, hier geschützt und
       Teil der Gesellschaft zu sein. Ich sage in meinem Wahlkreis immer: Wendet
       euch an die Behörden, wenn es Probleme gibt, die sorgen für euch. Jetzt
       gibt es Momente, an denen ich zweifle, ob das so noch stimmt.
       
       Ich selber habe nie erwogen, Deutschland zu verlassen, das ist keine
       Option. Hier ist mein Kind geboren, hier ist mein Freundeskreis, mein
       Lebensmittelpunkt. Ich bleibe da, wo ich bin. Ich mache mich jetzt noch
       breiter, lasse mir keine Räume nehmen. Das Oberste ist jetzt, dass der
       Staat uns schützt, und zwar alle. Dass er Rassismus wirklich wirksam
       entgegentritt. Und dann müssen wir uns über unsere Zukunft austauschen: Wie
       wollen wir miteinander leben? Da, wo etwa die AfD zu spalten sucht, da muss
       uns das Einende gelingen. Es ist genau die Umvolkungsideologie dieser
       Partei, die kranke Menschen wie in Hanau zur Tat schreiten lässt. Als ob
       mein deutschtürkisches Kind Teil eines Geheimplans wäre, Deutschland zu
       unterwandern – wie absurd und niederträchtig! Wir müssen diese Partei
       endlich konsequent ausgrenzen.
       
       Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete, Berlin-Kreuzberg 
       
       ***
       
       Hanau hat etwas in mir verändert. Ich habe mich bislang in der
       Öffentlichkeit immer als „Migrantin undercover“ gefühlt. Ich heiße Julia
       Wasenmüller. Dass meine Familie aus Kasachstan kommt und wir in die
       Kategorie „Russlanddeutsche“ fallen, sieht man mir nicht an. Ich bin weiß.
       Am Tag des Anschlags in Hanau habe ich mich gefragt, wie ich meine
       BIPOC-Freund*innen unterstützen kann, wo ich nicht die erste Zielscheibe
       rechter Gewalt bin und überall als Kartoffel durchgehe. Ein Bild-Reporter
       nahm noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ein Video vor einer der
       Shishabars in Hanau auf und spricht von einer „Milieutat“. Diesmal sollen
       es „die Russen“ gewesen sein.
       
       Klar, Migrant*innen morden mal wieder unter sich. Die Nachricht macht mich
       wütend. Am Freitag lese ich, dass am Donnerstagnachmittag, also ein Tag
       nach Hanau, in Berlin-Schmargendorf ein Typ mit Nazitattoos und
       Luftdruckgewehr vor der Brust in einen russischen Supermarkt lief. Die
       Polizei erkennt kein politisches Tatmotiv. Ich schreibe meinen Freund*innen
       mit PostOst-Background. Maksim antwortet, dass er vor unserem letzten
       Treffen in diesem Supermarkt eingekauft hat. Ich muss schlucken. Plötzlich
       fühlt sich das alles ziemlich nah an. Die meisten Menschen in meiner
       Familie sprechen kein perfektes Deutsch und heißen Olga, Viktor oder
       Vitali. Hanau trifft uns alle, die wir von Nazis als „anders“ markiert
       werden.
       
       Julia Wasenmüller, Social-Media-Redakteurin bei der taz 
       
       ***
       
       Als ich am Donnerstag beim Frühstück saß und im Radio von neun Ermordeten
       in Hanau hörte, war ich entsetzt. Doch als kurz danach die rassistischen
       Motive des Täters bekannt wurden, traten zur Trauer bald auch Wut und
       Frustration hinzu: Wären diese Morde zu verhindern gewesen, wenn der Staat
       früher und entschlossener gegen Rassismus und die Bedrohung durch rechten
       Terror vorgegangen wäre? Als Bildungsstätte Anne Frank hatten wir erst
       wenige Tage zuvor darauf hingewiesen, wie gering uns der Aufschrei über die
       enttarnte Terrorgruppe S. erschien.
       
       Die Bedrohung von rechts muss endlich ernst genommen werden. Wir brauchen
       keine Schnellschüsse, sondern eine neue Strategie: Eine koordinierte
       Zusammenarbeit des Staats und der Zivilgesellschaft. Ist die Politik jetzt
       bereit, die Versäumnisse der Vergangenheit anzuerkennen und entschlossen zu
       handeln? Wahrscheinlicher ist, dass auch dieser Terroranschlag wie seine
       Vorgänger ganz schnell ad acta gelegt wird. Und beim nächsten rechten
       Anschlag werden wir wieder Floskeln wie „Tragödie“ und „Alarmsignal“ zu
       hören bekommen.
       
       Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank 
       
       ***
       
       Was empfinde ich nach dem rassistischen Anschlag von Hanau? Trauer.
       Mitgefühl. Mitleid. Wütende Entschlossenheit. Keine blinde Wut. Gerechte
       Wut nennt man das biblisch. Darüber, dass ausgerechnet in Deutschland jeden
       Tag Menschen rassistisch und antisemitisch beleidigt, angegriffen, getötet
       werden. Müsste Deutschland nicht das weltweite Vorbild darin sein,
       Rechtsextremismus zu ächten und zu bekämpfen? Kann das Grauen der Schoah
       nach gerade mal drei Generationen vergessen sein?
       
       Der Glaube daran, dass Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft „nie
       wieder“ Platz haben werde, ist schon lange verflogen. Ich möchte von allen
       Politiker*innen hören, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ich
       möchte im Fernsehen nicht mit rechtsextremen Positionen konfrontiert
       werden. Ich möchte, dass jemand, der das Dritte Reich als „Vogelschiss“
       bezeichnet, rechtliche Konsequenzen trägt. Ich möchte, dass nicht nur von
       Rassismus und Antisemitismus Betroffene sich dagegen stellen. Ich möchte,
       dass nach Hanau alle Menschen in Deutschland wütend entschlossen sind.
       
       Gilda Sahebi, Politikwissenschaftlerin und Journalistin 
       
       ***
       
       Meine eine ersten Gefühle nach Hanau: Angst, Ohnmacht, Wut. Was passiert,
       wenn Deutschland kippt? Wohin gehen wir? Es reicht, dachte ich mir, dass
       Rassismus kleingeredet und immer wieder von Fremdenfeindlichkeit gesprochen
       wird. Es reicht, dass ein Ali es schwerer hat als ein Thomas, eine Wohnung
       zu bekommen. Es reicht, dass eine Fatma mit Kopftuch sich viermal mehr als
       eine Anna bewerben muss, um bei gleicher Qualifikation zum
       Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Es reicht, dass wir bei Angriffen
       auf PoCs, die täglich stattfinden, direkt zur Tagesordnung übergehen.
       
       Ich selbst erhalte immer wieder Morddrohungen, stehe auf Todeslisten,
       bekomme Polizeischutz, erlebe Hass und Hetze von rechts wie nie zuvor in
       meinem Leben. Rassismus ist in unserem Land heute keine Ausnahme, Rassismus
       ist für viele Menschen Alltag. Manch eine Kopftuch- oder Leitkulturdebatte,
       manch eine Äußerung über Migration und Flüchtlinge, über Clans und
       Shishabars – und damit meine ich insbesondere, aber nicht nur die AfD –
       haben den Boden dafür bereitet, indem sie Deutschland in ein „wir“ und ein
       „die“ eingeteilt haben.
       
       Spaltung beginnt in den Köpfen und setzt sich in Bestsellern,
       Kommentarspalten und Tweets fort. Und wer dann nur noch mit Gleichgesinnten
       in der eigenen Blase kommuniziert, da ist es kein großer Schritt mehr hin
       zur Radikalisierung. Und dann können aus dem Hass auf Migranten, auf
       Muslime, auf Flüchtlinge, der in den letzten Jahren massiv befeuert wurde,
       auch schreckliche Taten werden. Hanau steht dafür beispielhaft.
       
       Fakt ist aber auch: Wir können nicht bei Ohnmacht, Wut und Angst stehen
       bleiben. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte des wiedervereinigten
       Deutschland muss es für uns Demokraten heißen: Jetzt erst recht. Wir
       überlassen den Hatern dieses Land nicht. Dafür brauchen wir vieles. Als
       Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement setze ich mich dafür
       ein, die Zivilgesellschaft in ihrem Einsatz gegen rechts und für Demokratie
       zu stärken, Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dieses
       Engagement sich besser entfalten kann.
       
       Ich kämpfe dafür, dass zivilgesellschaftliches Engagement einen höheren
       Stellenwert in der Politik findet und als das anerkannt wird, was es ist:
       nämlich Bollwerk und Betriebssystem für unsere Demokratie. Denn wohin
       schweigende Mehrheiten führen, wissen wir in Deutschland. Ich setze mich
       dafür ein, dass Antisemitismus und Rassismus nicht immer weiter um sich
       greifen. Auch gehört für mich dazu, dass wir uns endlich mit dem Phänomen
       des antimuslimischen Rassismus auseinandersetzen.
       
       Das Thema gehört – endlich – auf die Agenda der Bundespolitik. In vielen
       Gesprächen mit Abgeordneten quer durch die demokratischen Parteien und mit
       Regierungsvertretern spüre ich Zuspruch, zugleich aber auch große Vorsicht.
       Ich wünsche mir, dass jetzt endlich Mutige vorangehen, das Gespräch mit
       Fachleuten suchen und den Betroffenen signalisieren: Wir lassen euch nicht
       allein, sondern packen das Thema an.
       
       Auf Landesebene haben wir schon einiges unternommen. Die Polizei ist
       wachsam. Moscheen werden geschützt. Es gibt Beratung für Betroffene und
       Projekte, die Mut machen. Gerade weil es so viele Engagierte, so
       vielfältiges muslimisches Leben und einen so großen Sachverstand in Berlin
       gibt, setze ich jetzt auch auf den nächsten Schritt: dass wir eine
       systematische Bestandsaufnahme machen und Handlungskonzepte erarbeiten.
       
       Wir müssen uns vor allem fragen: Wie können wir eine übergreifende Allianz
       aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung schmieden, um
       diese schreckliche Spaltung in „die“ und „wir“ zu überwinden, um gemeinsam
       eine bessere Zukunft zu gestalten? Die Angriffe auf die Demokratie laufen
       weltweit. Das bedeutet, wir brauchen eine globale Strategie, um sie
       abzuwehren. Als Staatssekretärin für Internationales trete ich dafür ein,
       dass wir Allianzen von Städten bilden im Kampf gegen die Feinde der
       Demokratie.
       
       Ganz besonders mit den Städten, in denen die nationalen Regierungen die
       Räume der Zivilgesellschaft und ihre Grundrechte immer weiter einschränken.
       Bei allen Problemen und Herausforderungen, die es auch in der Hauptstadt
       gibt, bin ich dankbar und stolz darauf, dass Berlin ein Garant für
       Toleranz, Offenheit und Akzeptanz ist. Dass wir einen Innensenator haben,
       der mit der notwendigen Sensibilität in diesem Bereich agiert.
       
       Seit dem Mord an Walter Lübcke ist insgesamt einiges auf den Weg gebracht
       worden im Kampf gegen Rechtsextremismus und Hass im Netz. Die Politik ist
       sensibilisiert. Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, dass es so nicht mehr
       weitergehen kann und dass wir tiefergreifende Maßnahmen brauchen, um den
       Vormarsch der Rechtsterroristen zu stoppen. Ich bin ich zuversichtlich,
       dass es uns gelingt, das Klima der Angst zu überwinden und ein
       Stimmungswandel in unserem Land zu erreichen. Viele sind in den letzten
       Monaten aufgestanden. Lasst uns das Momentum nutzen!
       
       Sawsan Chebli, Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei
       
       27 Feb 2020
       
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       Ausland zu holen. Jetzt erst tritt ein mutloses Einwanderungsgesetz in
       Kraft.
       
 (DIR) Gedenken in der Rosenstraße: Die Gegenwart der Vergangenheit
       
       In der Rosenstraße protestierten Frauen 1943 erfolgreich gegen die
       Deportation ihrer jüdischen Ehemänner. Beim aktuellen Gedenken geht es auch
       um heute.
       
 (DIR) Freispruch für Beleidiger von Chebli: Wo ist die deutsche Mitte
       
       Die Mitte ist ein weites Feld, das zeigen zwei aktuelle Urteile darüber,
       wer was wo eigentlich Mitte ist.
       
 (DIR) Traumapädagoge über Folgen von Hanau: „Manche erstarren, manche zittern“
       
       Der Hanauer Traumapädagoge Thomas Lutz betreut Betroffene der rassistischen
       Terrorattacke. Er beobachtet eine tiefsitzende Angst.
       
 (DIR) Maßnahmen gegen rechten Terror: Was tun gegen den Hass?
       
       Politik und Zivilgesellschaft diskutieren nach dem Hanau-Anschlag, was
       gegen rechten Terror hilft. Acht Punkte, die etwas verbessern könnten.
       
 (DIR) Editorial zum Dossier nach Hanau: Offene Grenzen
       
       Eine Allianz aus Wutbürgern und rechten Ideologen hat 2015 die Grenzen
       geöffnet – für bis dahin nicht Sagbares
       
 (DIR) Hanau nach dem rechten Anschlag: Die Kinder dieser Stadt
       
       Eine Woche nach dem rassistischen Terror werden die Opfer zu Grabe
       getragen. Eine Mutter fordert, nicht zur Tagesordnung überzugehen.