# taz.de -- Tarantino-Film als Buch: Fan Fiction
       
       > Regisseur Quentin Tarantino debütiert als Romanautor. Gegenüber der
       > Filmvorlage zeigt „Once Upon a Time in Hollywood“ interessante
       > Abweichungen.
       
 (IMG) Bild: Margot Robbie als Sharon Tate in „Once Upon a Time in Hollywood“
       
       Da nahen sie sich wieder, schwankende Gestalten: Rick Dalton,
       Fernsehschauspieler, der es zum richtigen Filmstar nicht ganz geschafft
       hat, daneben Cliff Booth, Stuntman, Kriegsheld und Mörder, Daltons Fahrer
       und Bro, genauer und mit den Worten Tarantinos gesagt: „mehr als ein Bruder
       und ein bisschen weniger als eine Ehefrau“.
       
       Wir schreiben, noch immer und wieder, das Jahr 1969, der Ort ist Hollywood,
       die Zeit die des Märchens, jedenfalls sagt das der Titel, [1][auch er ist,
       wie er war, denn er lautet: „Once Upon a Time … In Hollywood“.]
       
       Es war einmal also, jetzt aber: Es war zweimal, denn Rick und Cliff sind
       nun auch noch die Helden eines Romans, den Quentin Tarantino verfasst hat.
       Figuren der Fiktion, die der Originalfiktion des Films hinterherschreibt,
       also nicht nur auf den ersten Blick das, was im Englischen „Novelisation“
       heißt und eine traditionsreiche, wenngleich nicht wirklich ehrwürdige
       Angelegenheit ist.
       
       „Novelisations“ sind Romanversionen von Filmen, in denen die Fans den Plot
       und die Figuren in literarischer Form noch einmal erleben und sich ins
       Bücherregal stellen können. Ein Genre fernab jeder künstlerischen Idee von
       Originalität, rein der kapitalistischen Logik der Mehrfachverwertung
       geschuldet. In der Regel also in jeder Hinsicht belangloser Gebrauchstext,
       Fan Fiction, die sich nur nichts an Abweichung herausnehmen darf.
       
       Was nichts daran ändert, dass es wahre Könner selbst in diesem Subgenre
       gibt, die auch als Genre-Autoren eigenen Rechts etwas taugen, etwa Alan
       Dean Foster (mit seinen „Alien“-Romanen) oder Max Allan Collins („CSI“,
       „Bones“)
       
       ## Tarantino ist primär Fan, Nerd und Spezialist
       
       Es ist dennoch mehr als außergewöhnlich, dass der Autor und Regisseur eines
       Films hinterher selbst eine Romanfassung vorlegt. Noch außergewöhnlicher,
       wenn dabei der literarische Erstling eines Quentin Tarantino herauskommt.
       
       Obwohl das Ganze zu ihm natürlich wie zu kaum einem anderen passt, zu
       Tarantino als Meister des Sekundären, der bis heute primär Fan, Nerd,
       Spezialist ist, einer, der nimmt und sich aneignet, was er liebt, und der
       ganz besonders eben gerade das zu lieben bereit ist, was in offiziellen
       Geschichtsschreibungen verachtet wird und als zweit- oder drittrangig gilt:
       Werke niederer Genres, Pulp, Exploitation, kein Zufall, dass er gerade in
       einem Podcast mit zwei jüngeren Nerds vier Stunden lang [2][Schätze der
       Public Domain pries, also Filme, an denen niemand mehr Rechte hält und die
       man darum überall ganz legal kostenlos findet.]
       
       Also bei Lichte besehen passt es schon wieder, dass Tarantino seinen
       ziemlich gefeierten jüngsten Film nun selbst novelisiert hat. Im
       amerikanischen Original macht das Buch seinen Status als etwas
       zweifelhafter literarischer Nachkomme des zugrundeliegenden Films sehr
       deutlich.
       
       Es ist billig gemacht und kostet auch wirklich nicht viel, auf dem Cover
       sieht man Stills von [3][Leonardo DiCaprio] als Rick Dalton, Brad Pitt als
       Cliff Booth und Margot Robbie als Sharon Tate. Sprachlich ist das Buch
       durchaus schlicht. Da Tarantino, wie man weiß, anders kann, ist auch das
       volle Absicht.
       
       ## Deutsche Ausgabe nicht billig genug
       
       Auf diese konzeptuell konsequente Bescheidenheit hat der deutsche Verlag
       leider verzichtet. Keine Bilder, teures Hardcover, außerdem von Thomas
       Melle und Stephan Kleiner prominent übersetzt. Krasser Bruch mit dem
       Tarantino-Spirit also, darin sehr deutsch, muss man sagen: Hier gilt nur
       das, was auch so tut, als gälte es was.
       
       Bei Tarantino dagegen ist immer alles aus Pulp gebaut, aus Mustern und
       Formen der Exploitation und Groschenromane, die niedere Instinkte
       befriedigen und kurzen Prozess machen, mit Liebe, Hass, Gewalt, Mord.
       
       Besonders problematisch und besonders interessant war das in Tarantinos
       Naziploitation-Anverwandlung „Inglourious Basterds“, die sich erkühnte, die
       Geschichte per Flammenwerfer und Pulp dreist umzuschreiben.
       
       Der Flammenwerfer kehrt in „Once Upon a Time in Hollywood“ wieder, und auch
       die Umschreibung der Realität hatte Tarantino wieder gewagt: [4][Die
       Geschichte läuft zu auf den 8. August 1969, und damit auf den historisch
       realen Mord an Sharon Tate, Abigail Folger, Jay Sebring und Wojciech
       Frykowski.] Und dann dreht Tarantino in einer drastischen Explosion der
       Gewalt die historische Wirklichkeit wieder um: Triumph der mythopoetischen
       Kraft des Kinos.
       
       ## Tarantino traut Literatur nicht viel zu
       
       Der Roman verfährt mit diesem historischen Faktum wiederum anders. So viel
       sei verraten, denn es zeigt sich daran, dass Tarantino der Literatur, oder
       jedenfalls sich selbst als literarischem Autor, diese mythopoetische Kraft
       der heroischen Umschrift nicht zutraut.
       
       Auch andere spektakuläre Szenen fallen schlicht aus, etwa der rauschende
       Auftritt von Tate, Polanski und Sebring auf einer Party im Playboy Mansion.
       Das fällt umso mehr auf, als das Buch in sehr vielen Szenen sehr nahe am
       Film bleibt.
       
       Dass das Geschehen, das in der historischen Wirklichkeit des Jahrs 1969
       spielt, im Präsens erzählt wird, macht die Abkunft vom Drehbuch und dessen
       szenischem Denken sehr deutlich. Die Dialoge sind auch teils wörtlich die
       Dialoge des Films.
       
       400 Seiten umfasst der Roman, manches, was hinzukommt, ist reine
       Amplifikation, also Ergänzung, die im Wesentlichen nichts ändert. [5][Schon
       Tarantinos Filme haben die selbstverliebte Unart, immer etwas zu sehr in
       die Breite zu gehen,] diese Untugend wird im Buch noch verschärft.
       
       Sehr ausführlich werden die Plots der teils realen, teils erfundenen
       Serien, in denen Rick Dalton mitspielt, nacherzählt. Größer angelegt als im
       Film sind die Rollen von Sharon Tate und vor allem Trudi Frazer, des
       achtjährigen Kinder-Ko-Stars von Dalton. Sie hat, mit ihm, die letzte Szene
       des Buchs. Und es wird von ihrer weiteren Karriere berichtet, bis zur
       Oscar-Nominierung für eine Rolle in Quentin Tarantinos – bislang
       jedenfalls: fiktiver – Neuverfilmung von John Sayles’ Drehbuch zu „Die Frau
       in Rot“.
       
       ## Hommage an Aldo Ray
       
       Es kommen Anekdoten und Fakten zu real existierenden Schauspielern dazu,
       Dramen von Abstieg und Mediokrität, wie auch die Geschichte Rick Daltons
       eine ist: etwa eine lange Hommage an den dem Alkohol verfallenen Aldo Ray,
       der in den Fünfzigern noch ein Star neben Katherine Hepburn und Anne
       Bancroft war, in den Siebzigern aber nicht nur, wie Rick Dalton, in
       europäischen Spaghetti-Western, sondern aus Geldnot gar in einem schlechten
       Pornofilm landet.
       
       Insgesamt sind die historische Hollywood-Realität und die Tarantino-Fiktion
       noch einmal dichter verwoben, manchmal klingt der Roman eher wie ein von
       einem Kenner verfasstes Sachbuch. Nur eine Szene, nämlich der im Film nur
       angedeutete Mord Cliff Booths an seiner Frau, fällt in ihrer seltsamen
       Mischung aus Drastik, Grauen, Komik und Sentimentalität völlig heraus. Ob
       das nun bester oder schlechtester Tarantino ist, wird Geschmackssache
       bleiben.
       
       Und dann war da im Film ja noch die eine Sequenz, die dem Regisseur wegen
       ihres rassistischen Untertons einen veritablen Shitstorm und
       Reputationsschaden eingebracht hat. Die Szene, in der Bruce Lee als
       Großmaul erscheint, dem Cliff Booth im Zweikampf zeigt, wo es langgeht.
       
       Sie ist auch im Buch vorhanden, aber Taranatino, der um politische
       Korrekturen sonst wenig besorgt ist, unternimmt den Versuch der Reparation
       durch Kontextualisierung. Er würdigt Bruce Lee als Kämpfer und Star,
       erklärt, dass er aufgrund fieser Stunt-Aktionen am Set zunächst einen sehr
       schlechten Ruf hatte – und rehabilitiert ihn, indem er den Zweikampf mit
       Booth auf eine Weise hoch auflöst, [6][wie das sonst nur der Thrillerautor
       Lee Child macht.]
       
       Die nächste Runde, zu der es nicht kommt, ginge, wird suggeriert,
       vermutlich an ihn. Sodass am Ende das gerade in seinen Abweichungen
       gelungene Remake des Films als Roman zum Schauplatz einer Wiedergutmachung
       wird.
       
       7 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neuer-Tarantino-Film-Once-Upon-a-Time/!5614890
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/playlist?list=PLkawdQ6L2bNqdd7Bn3V1uQDZSQ7W8yojk
 (DIR) [3] /Prominenter-Umweltschuetzer/!5611190
 (DIR) [4] /Jens-Balzer-ueber-die-siebziger-Jahre/!5602120
 (DIR) [5] /Tarantino-Film-The-Hateful-Eight/!5272836
 (DIR) [6] /Actionfilm-Jack-Reacher/!5353209
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
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