# taz.de -- Wagenknecht und die Rechten: Altlinks oder neurechts?
       
       > Sahra Wagenknecht ist es gelungen, sich das Label „Friedensbewegung“ ans
       > Revers zu heften. Rechte lieben die Linken-Abgeordnete dafür.
       
 (IMG) Bild: Schnittmengen zwischen ihr und der Rechten gab es schon im Flüchtlingsherbst 2015: Sahra Wagenknecht
       
       Sahra Wagenknecht ist derzeit auch für ihre Verhältnisse medial
       omnipräsent. Sie posiert mit Alice Schwarzer auf eleganten
       Schwarz-Weiß-Fotos und wirbt für ein „Manifest für den Frieden“. Sie wird
       im Spiegel und TV interviewt und läuft in Talkshows rhetorisch heiß.
       
       Mit dem „Manifest“ ist ihr ein Scoop gelungen: Sie hat es geschafft, in der
       Öffentlichkeit zwischen der Friedensbewegung und ihrer Person eine Art
       Gleichheitszeichen zu inszenieren. Ist sie die neue Stimme all jener, die
       sich angesichts der scheinbar zwanghaft wachsenden Verstrickung
       Deutschlands in den Ukrainekrieg unwohl fühlen?
       
       Hajo Funke (78), emeritierter Berliner Politikprofessor und anerkannter
       Experte für Rechtsextremismus, zählt zu den Erstunterzeichnern des
       Manifests. Mit der Eskalation der Waffenlieferungen drohe ein
       „Schreckenskrieg ohne Ende“, sagt er der taz. Der Manifesttext sei „ein
       verzweifelter Ruf, um diese Eskalation nach einem Jahr zu unterbrechen“ und
       ein Appell an Kanzler Scholz. Mit Wagenknecht habe er nicht viel am Hut.
       Die „Abgrenzung nach rechts“ reiche ihm aber. Wie jemand, der felsenfest
       überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen, klingt Funke eher nicht.
       
       Jürgen Elsässer, Chef der rechtsextremen Zeitschrift Compact, sieht eine
       machtvolle Querfront auf dem Vormarsch, mit Wagenknecht und der Formel
       „gegen Waffenlieferungen, für Verhandlungen“ an der Spitze. Da sei er als
       „Nationalpazifist“ dabei, verkündete der rechte Strippenzieher in seinem
       Youtube-Kanal compact-TV. Bei manchen Rechten scheint die linke
       Bundestagsabgeordnete nun tatsächlich zu einer Art Ikone geworden zu sein.
       
       ## Alles ein Trick, um Leute wie Reinhard Mey zu kapern?
       
       Ist das ein Irrtum? Ein Trick der Rechtsextremen, die damit den Protest
       anderer Unterzeichner des Manifests, von Katharina Thalbach bis Reinhard
       Mey, kapern wollen?
       
       Paul Schäfer (74), bis 2013 für die Linkspartei im Bundestag und
       Verteidigungsexperte, hat den Aufruf nicht unterschrieben. Das Manifest sei
       „ein genialer Schachzug von Wagenknecht. Darin wird die Schuldfrage
       vernebelt und der Krieg als Abstraktum attackiert. Gegen Krieg sind ja
       alle“, sagt er der taz. Schäfer verfasst seit dem 24. Februar 2022 präzise
       Analysen des Krieges und kritisiert das Nein seiner Partei zu
       Waffenlieferungen. „Das Manifest“, sagt er, „nimmt fast eine Umkehrung vor,
       indem es verschwiemelt suggeriert, die Ukraine und der Westen seien schuld.
       [1][Das ist die Brücke nach rechts.] Deshalb kann auch die AfD dieses
       Manifest unterstützen.“
       
       Das ist inzwischen auch dem Politikwissenschaftler Johannes Varwick, dem
       antimilitaristischen Aktivisten Jürgen Grässlin und der Ex-Bischöfin Margot
       Käßmann aufgefallen: Sie hatten das Papier erst unterzeichnet, distanzieren
       sich inzwischen aber davon beziehungsweise von Wagenknechts und Schwarzers
       Aufruf zur Demonstration.
       
       ## Wagenknecht spricht von Diffamierung
       
       Wagenknecht weist den Vorwurf, nach rechts offen zu sein, als Diffamierung
       zurück. Beifall von der falschen Seite – da könne man nichts machen. Doch
       Schnittmengen zwischen ihr und der Rechten gab es schon im
       Flüchtlingsherbst 2015, bei der Skepsis gegen eine angebliche
       Coronadiktatur und der Verachtung für urbane Eliten. Beim Ukrainekrieg ist
       die Übereinstimmung nun besonders groß.
       
       Rückblende, Bundestag, September 2022: Wagenknecht hält der Ampel vor,
       „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun zu brechen“.
       Sie fordert russisches Gas für die deutsche Wirtschaft und den Ausstieg
       Berlins aus den Sanktionen gegen Moskau. Die AfD klatscht, Teile der
       Linksfraktion auch – eine Art Querfront der Claqueure im Parlament. Selten
       hat eine Fünfminutenrede im Bundestag solches Aufsehen erregt. Gekonnt
       mixte die 53-Jährige ernst zu nehmende Kritik am Krisenmanagement der Ampel
       mit rechtspopulistischen Opfer-Täter-Verdrehungen.
       
       Deutschland hätte, folgt man Wagenknecht, nach Putins Überfall auf die
       Ukraine am 24. Februar 2022 am besten gar nichts getan. Es hätte weiter für
       Milliarden Gas und Öl bei Putin kaufen, die Sanktionen des Westens
       unterlaufen und keine Waffen liefern sollen. So, als wäre nichts passiert.
       „Wagenknecht will die Ukraine, die überfallen worden ist, im Stich lassen.
       Das ist mit einer linken Überzeugung unvereinbar“, sagt Paul Schäfer, der
       Linke.
       
       ## Auch Lafontaine hat wohl genug
       
       Wagenknecht hält Putin zwar routiniert den völkerrechtswidrigen
       Angriffskrieg gegen die Ukraine vor. Doch dieser Krieg erscheint nicht nur
       bei ihr als Effekt eines angeblichen globalen Imperialismus der USA. Oskar
       Lafontaine beschreibt in seinem Buch „Ami, it’s time to go“ (vertrieben
       unter anderem von dem rechten Compact-Shop) den Ukrainekrieg als von den
       USA angezetteltes Ereignis, das mit „dem von den USA organisierten Putsch
       auf dem Maidan 2014“ begonnen habe. Die Bundesregierung taucht als
       treudummer „Vasall der aggressiven USA“ auf.
       
       So ähnlich klingt es nicht nur bei Rechtsextremen – es gibt auch
       Berührungspunkte mit Putins Propaganda. Lafontaine und Wagenknecht scheinen
       auf ein Deutschland zu zielen, das sich aus der EU löst und in Richtung
       Putin die weiße Fahne hisst. „Es war erklärtes Ziel der USA, ein
       Zusammengehen der deutschen Technik mit den russischen Rohstoffen zu
       verhindern“, behauptet Lafontaine. Da blüht ein alter Traum der deutschen
       Rechten auf: Deutschland, fern vom liberalen Westen, verbrüdert mit dem
       christlichen, traditionellen Russland.
       
       So bewegen sich Wagenknecht und Lafontaine derzeit rasant in Richtung
       Querfront: antiamerikanisch, russlandaffin und national egoistisch. Einen
       Echoraum finden diese Töne derzeit vor allem in Ostdeutschland. Die
       Empörungsunternehmerin Wagenknecht hat ein gutes Gespür für Stimmungen. Es
       ist ihr mit dieser Mischung aus deutschem Egoismus und Friedensrhetorik
       gelungen, zum Gesicht des Pazifismus zu werden. Jedenfalls derzeit.
       
       Michael Schulze von Glaßer (36), Geschäftsführer der traditionsreichen
       Deutschen Friedensgesellschaft DfG-VK, wirkt angesichts dessen etwas
       ratlos. Die DfG-VK hat schon vor zwei Monaten einen – medial spärlich
       wahrgenommenen – Aufruf verfasst, mit deutlicher Kritik an „der russischen
       Aggression“. Das Thema Waffenlieferungen haben die 15 Organisationen, die
       den Aufruf unterschrieben, mangels Konsens ausgeklammert.
       
       ## Habermas in einem Atemzug mit Wagenknecht
       
       Die meisten sind strikt dagegen. Im Manifest von Wagenknecht und Schwarzer
       vermisst Schulze von Glaßer nicht nur eine klare Abgrenzung nach rechts,
       sondern auch den „Ausbau humanitärer Hilfe oder die Aufnahme von
       Kriegsflüchtlingen“. Es gehe dort „nur um Deutschland“. Bedenklich finde
       er, dass manche junge Leute mittlerweile bei dem Begriff „Friedensbewegung“
       eher „an Rechte“ dächten.
       
       Paul Schäfer wundert sich über Bekannte von ihm, die Waffenlieferungen an
       Kyjiw unterstützen – und trotzdem das Manifest unterschrieben haben. Die
       „Gedankenlosigkeit in der öffentlichen Debatte“ und die „bellizistische
       Stimmung“, heiße es von jenen Bekannten. [2][Abwägende kritische Stimmen,
       die für dosierte Waffenlieferungen und Verhandlungspflichten eintreten],
       wie etwa der Philosoph Jürgen Habermas, werden derzeit leicht überhört.
       [3][Habermas betonte jüngst die ethischen Pflichten, die mit Waffenexporten
       verknüpft sind]. Nun wird er oft in einem Atemzug mit Wagenknecht genannt.
       In der überhitzten Debatte landet bitter nötiger Zweifel und Querdenkertum
       in einem Topf.
       
       Im Umfeld von Kanzler Scholz hält man die mehr als 600.000 Unterschriften
       für das Manifest für das Signal: „Wir haben Angst.“ Das müsse man ernst
       nehmen, heißt es. Der Kanzler lehnt das Manifest ab. „Bloß Verhandlungen zu
       fordern“, mache derzeit keinen Sinn. Scholz’ Ton ist aber moderat.
       Moralisch hochfahrende Beschimpfungen der UnterzeichnerInnen würden nur die
       von AfD und Wagenknecht ersehnte Grenze befestigen: dort die „politische
       Elite“, hier „Volkes Stimme“.
       
       Am Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine steht Katja Kipping
       fröstelnd bei einer Mahnwache vor der russischen Botschaft in Berlin. Sie
       war zehn Jahre lang Chefin der Linkspartei – und Wagenknechts
       Gegenspielerin. Als Berliner Sozialsenatorin hat sie dafür gesorgt, dass
       mehr als 60.000 UkrainerInnen in der Stadt untergebracht wurden. „Russland
       muss diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beenden und raus aus der
       Ukraine“, sagt sie. Das ist der Satz, der in dem Manifest fehlt. Ein
       Kontrapunkt. Klaus Lederer, linker Kultursenator in Berlin, mahnt, dass
       Linke verstehen müssten, dass es „die Ukraine ohne Waffenlieferungen heute
       nicht mehr geben würde“. Es fällt feiner Schneeregen. Das Publikum, drei
       Dutzend Leute, klatscht zaghaft.
       
       24 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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