# taz.de -- Widerstand gegen die Neue Rechte: Grün gegen Blau/Braun
       
       > Um die Demokratie steht es so schlecht wie ums Weltklima. Die Ultima
       > Ratio heißt Widerstand. Hoffnung macht die Fridays-for-Future-Generation.
       
 (IMG) Bild: Fridays for Future, Hamburg, Juni 2019
       
       Kürzlich, während einer gut besuchten Konferenz des Online-Magazins
       Eurozine in der Heinrich-Böll-Stiftung, machte sich Resignation breit, als
       die Resultate von 89 begutachtet wurden: Repression im Osten, wo
       völkisch-autoritäre Nationalisten die Revolution gekapert haben, Depression
       im Westen, wo man dem [1][Verfall der Demokratie] ziemlich hilflos
       zuschaut.
       
       Am Abend aber sollte ein anderer Ton angeschlagen werden, nach dem Motto:
       Vergesst für einen Moment 1989, wer leistet heute Widerstand? Dóra Papp,
       Kampagnenleiterin der ungarischen Bürgerplattform „aHang“ (Die Stimme),
       berichtete, wie es in Budapest gelungen ist, einen nicht zu Orbáns
       Machtclique gehörigen Oberbürgermeister ins Amt zu bringen: Opposition
       durch Allianzbildung.
       
       Radu Vancu, Dichter-Professor aus Sibiu, erzählte, wie die von ihm
       mitbegründete Bewegung „Va vedem“ (Wir sehen euch) durch beharrlichen, am
       Ende schweigenden Protest das hyperkorrupte Regime in Rumänien ins Wanken
       brachte: Protest der Ehrlichen. Helena Marschall, als 17-jährige Schülerin
       Organisatorin von Fridays for Future aus Frankfurt, legte dar, wie bunt der
       große Streik am 29. November ablaufen könnte: Widerstand durch zivilen
       Ungehorsam.
       
       Drei Positionen, die Hoffnung machen, weil sich junge Leute der autoritären
       Welle entgegenstellen. Sie haben mächtige Gegner: eine verzagte Groko in
       Berlin und den penetranten Leugner im Weißen Haus; von der Korruption
       ermüdete Gesellschaften, deren Eliten nicht einfach abdanken werden;
       [2][Potentaten wie Orbán], die immer wieder Mehrheiten erobern, indem sie
       gegen Brüssel, Juden, „Gender-Faschisten“ und „Klima-Kommunisten“ hetzen.
       
       ## Ulrike Meinhofs irrer Schluss
       
       In Budapest und Bukarest geht es um elementare Bürgerfreiheiten, doch
       ökologische Forderungen, denen Fridays for Future und Extinction Rebellion
       eine neue Dringlichkeit verliehen haben, stehen ebenso auf den
       Transparenten. Demokratie und Klimaschutz gehören zusammen.
       
       Von Santiago über Beirut bis Hongkong regt sich gerade ein gewaltiger Zorn,
       der leicht zu kapern ist, wenn sich auch Rechtsradikale gelbe Westen
       überstreifen oder Schwarzvermummte friedliche Klimamärsche aufmischen. Was
       also ist legitimer Widerstand?
       
       „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist,
       wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger
       geschieht. Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand
       ist, wenn ich dafür sorge, dass alle andern auch nicht mehr mitmachen.“
       
       Die Definition hatte Ulrike Meinhof im Frühjahr 1968 von einem Black
       Panther übernommen und für sich den irren Schluss gezogen, in den
       bewaffneten Untergrund zu gehen. Heute entwickeln eher rechte Identitäre
       ein hohles Widerstandspathos gegen den angeblich von der Regierung Merkel
       angezettelten „Großen Bevölkerungsaustausch“, und diese Paranoia agieren
       Rechtsterroristen in Mordaktionen gegen Juden, Muslime, Flüchtlinge und
       Politiker aus.
       
       In seinem Geburtsort Hermaringen wurde [3][jetzt endlich eine Gedenktafel
       für den Hitler-Attentäter Georg Elser] enthüllt. Bundespräsident Steinmeier
       sieht das Recht auf Widerstand nicht zuletzt dank dieser einzelnen Tat
       eines einfachen Mannes in Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes
       eingeschrieben: „Gegen jeden, der es unternimmt, [die demokratische]
       Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn
       andere Abhilfe nicht möglich ist.“
       
       ## Gefragt ist kühle Geistesgegenwart
       
       Konkret heißt das doch: Würde die völkisch-autoritäre Usurpation auch in
       Deutschland stattfinden, kann dieser Absatz kein toter Buchstabe bleiben.
       Diverse Protagonisten zivilen Ungehorsams haben einen ganzen Katalog
       möglicher Maßnahmen ausgebreitet, der 1989 ff. in den Farben- und
       Majdan-Revolutionen im östlichen Europa zur Anwendung kam und herangezogen
       werden kann, wenn sich in Sachen Klima- und Artenschutz weiter so wenig
       tut.
       
       Widerstand ist eine ultima ratio, wenn Oppositionelle als „Feinde des
       Volkes“ (Donald Trump) denunziert werden, faire Wahlen nicht mehr
       stattfinden, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird und die
       Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt ist.
       
       Das ist in Russland und der Türkei schon der Fall, in Ungarn und Polen weit
       gediehen und in den USA auf schlechtem Wege. An diesen Fällen erweisen sich
       die Schwierigkeiten, amtierenden Autokraten eine in Wahlen erfolgreiche
       Alternative entgegenzustellen. Linke und Liberale gehen unterschiedliche
       Wege und finden keine allseits akzeptablen Gegenkandidat*innen.
       
       Dutzende Bücher und Meinungsbeiträge haben sich dem „Sterben der
       Demokratie“ gewidmet, doch vordringlich ist die Frage, wie Autokratien
       sterben. Appeasement und Apathie sind so wenig am Platz wie Alarmismus und
       Aktionismus, die vorherrschenden Diskursformen zur radikalen Rechten. Gegen
       nationalistischen Vergangenheitskitsch (My Country First!) und blindes
       Zukunftsvertrauen (Digitalisierung als Selbstzweck) ist kühle
       Geistesgegenwart gefragt.
       
       Unsere Komfortzone ist aufgelöst, um die Demokratie steht es so schlecht
       wie ums Weltklima. Letztlich hängt ihr Überleben am meisten ab von der
       Einkehr, jedenfalls Mäßigung der politischen Rechten. Wie vor hundert
       Jahren steht sie am Scheideweg, entweder erneut in den offenen Faschismus
       abzugleiten oder sich mit der liberalen Republik zu versöhnen.
       
       ## Green New Deal
       
       Bei Tories, Republicans und Républicains ist kaum noch ein Maß zu spüren,
       CDUler flirten hier und da mit der AfD, während die Volkspartei in
       Österreich bei der Partnersuche zwischen Grün oder Blau schwankt.
       
       So scharf man die Opposition gegen Antidemokraten markieren muss, so
       wichtig sind Mechanismen der Konkordanz, des parteiübergreifenden
       Zusammenwirkens. Im vorigen Jahrhundert ging es um Fragen der
       wohlfahrtsstaatlichen Verteilung im nationalen Maßstab, ein Rahmen, der
       angesichts planetarischer Herausforderungen der Umweltkrise zu eng geworden
       ist.
       
       Mit Ökologie und Feminismus kamen neue soziale, transnationale Bewegungen
       auf und mit ihnen kulturelle Konfliktlinien jenseits von rechts und links,
       die man im Gegensatz von „autoritär versus libertär“ bündeln kann.
       Religiöses Erbe steht dabei gegen säkulare Pluralität, Mono- gegen
       Multikulturalität, Law & Order gegen den Primat individueller Entfaltung,
       eine patriarchale Familie gegen die Gleichheit der Geschlechter, offene
       gegen geschlossene Gesellschaften.
       
       Chancengerechtigkeit und die Erneuerung des Wohlfahrtsstaats sind in der
       Ära marktradikalen Denkens weiter akut, nun aber in einer
       „unübersichtlichen“ Konfiguration, die schwarze und rote Volksparteien
       nicht mehr umfassen können. Fast logisch treten da auf der einen Seite
       radikal-nationalistische, auf der anderen Seite grüne Themen und Parteien
       hervor, die neue politische Farbenlehre lautet Grün gegen Blau(Braun).
       
       Die bittere Pointe ist, dass völkisch-autoritäre Bewegungen auch die
       vehementesten Verhinderer von Umwelt- und Klimaschutz sind. Junge
       Demokratinnen präsentieren gegen Trump den Green New Deal: New im Anschluss
       an die Errichtung eines Wohlfahrtsstaates durch Franklin D. Roosevelt in
       den 1930er Krisenjahren, Green, indem ein nachhaltiges
       Infrastrukturprogramm fossile Industrien und überholte Mobilitätsmuster
       ablöst.
       
       Und dabei geht es nicht nur um gute Gesetze und nachhaltige Technologien,
       sondern um ein besseres Leben. Wie sich die neue, am Megathema Klimawandel
       und Artensterben entzündete Jugendbewegung ausrichtet, ist offen; bei den
       unter 30-Jährigen finden ultrarechte und grüne Strömungen derzeit die
       größte Resonanz. Wer nur 1989 abfeiert, könnte – so oder so – die nächste
       Revolution verpassen.
       
       21 Nov 2019
       
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