# taz.de -- Fotoausstellung von KZ-Überlebenden: Triumph des Lebens
       
       > 75 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung: Die Zeche Zollverein in Essen
       > zeigt die Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“.
       
 (IMG) Bild: Haben den Holocaust überlebt: Hannah Goslar Pick und Moshe Ha-Elion im Porträt
       
       Von einem „beispiellosen“, „unvorstellbaren“, dem „schlimmsten“ Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit, von einem „Zivilisationsbruch“ ist die Rede, wenn
       es um die Schoah geht. Auf ähnlich verlorenem Posten wie die Sprache ist
       die Kunst, wenn sie den industriellen Massenmord an sechs Millionen Juden
       zum Thema hat.
       
       Doch es ist gut, wenn sie immer wieder scheitert, um die Erinnerung
       wachzuhalten. Der jüngste Versuch ist die Ausstellung „Survivors. Faces of
       Life after the Holocaust“ in der Zeche Zollverein in Essen, für die der
       Fotograf Martin Schoeller zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz 75
       Überlebende des Holocaust porträtiert hat.
       
       Martin Schoeller, der in den USA bekannter ist als in seiner deutschen
       Heimat, arbeitet seit etwa 20 Jahren mit einer Methode, die er Close-up
       nennt. Er fotografiert Berühmtheiten wie Barack Obama oder Angelina Jolie
       genau wie Obdachlose mit der gleichen, weichen Ausleuchtung, dem gleichen
       auf das Gesicht fokussierten Schärfebereich und immer auf Augenhöhe.
       
       In den Augen seiner Modelle spiegeln sich zwei Beleuchtungsständer links
       und rechts der Pupille, so dass sie katzenartig wirken und den Blick des
       Betrachters auf sich ziehen. Die Kuratorinnen der Ausstellung Anke
       Degenhart und Vivian Uria haben mit noch anderen Mitteln dafür gesorgt,
       dass Besucher*innen unweigerlich mit den Blicken und Gesichtern
       konfrontiert werden. In der riesenhaften Mischanlage der Kokerei auf
       Zollverein hängen sie einzeln beleuchtet vor den nackten Betonwänden, als
       lugten sie aus der Dunkelheit des Vergessens hervor.
       
       Nicht nur die großformatigen Bilder, auch die unter ihnen angebrachten
       Botschaften und der Ort sind das Kunstwerk. Die Zeche Zollverein war
       zentraler kriegswichtiger Betrieb in der Waffenschmiede des Ruhrgebiets. In
       den riesigen Trichtern der Mischanlage wurden unterschiedliche
       Kohlequalitäten zu einer optimalen Mischung für die Verkokung vermengt.
       Jetzt laufen hier Menschen auf Stegen durch eine Ausstellung und werden an
       einen industriellen Massenmord erinnert.
       
       Sie schauen in das weiche Gesicht von Israel Meir Lau, der als
       Sechsjähriger ins KZ Buchenwald verschleppt wurde und später Rabbi wurde.
       Er blickt den Betrachter gütig an. Die Botschaft unter seinem Porträt sagt:
       „Hasse nicht. Räche dich nicht. Das führt nur zu mehr Blutvergießen. Strebe
       danach, zu lieben und das Universum neu zu gestalten.“
       
       Doch es gibt auch Gesichter, aus denen man Trotz, Trauer, Erschöpfung zu
       lesen glaubt. Bei Yanina Ecker, die als Kind von einem christlichen Paar
       vor der Vernichtung gerettet wurde, ist es Kämpfermut. Ihre Botschaft: „Das
       jüdische Volk muss den Staat Israel schützen; wir sind nirgendwo sonst auf
       der Welt erwünscht.“
       
       ## Lernen, zu verzeihen
       
       Fotograf Martin Schoeller hat bei diesem Projekt aus Überzeugung
       mitgewirkt. Er sagt: „Ich bin mit einem großen Bewusstsein der Schuld
       aufgewachsen und erwische mich oft immer noch, wie ich Fakten aus dieser
       Zeit recherchiere ohne konkreten Anlass.“ Im Kontakt mit den 75
       Holocaust-Überlebenden, die er in zehn Tagen in der Gedenkstätte Yad Vashem
       in Jerusalem porträtierte, habe er auch gelernt, wie Verzeihen möglich ist.
       
       Einige hätten sich gewundert, einen Deutschen, einen Menschen aus dem Volk
       der Täter vor sich zu haben. Doch die meisten haben ihn herzlich empfangen,
       freundlich Sätze in seiner Sprache entgegnet, die ihnen teilweise in den
       Vernichtungslagern aufgezwungen wurde.
       
       So gehört vielleicht dies zum speziellen Scheitern dieses Kunstprojekts im
       Angesicht des unvorstellbaren Verbrechens: dass es seine Besucher in einem
       zu guten Gefühl entlässt. Es erzählt von Versöhnung, vom Triumph des Lebens
       – derer, die nicht leben sollten. Naftali Fürst, der 1945 den sogenannten
       „Todesmarsch“ nach Buchenwald überlebte, sagte bei der
       Ausstellungseröffnung unter anderem: „Ich habe das Gefühl, gewonnen zu
       haben.“ Die Dimension des millionenfachen Massenmords schwindet hinter
       solchen Botschaften wie ein lange vergangener, dunkler, vermeintlich
       überwundener Schrecken.
       
       ## Der Holocaust ist noch nicht lange her
       
       Dass der Holocaust allerdings noch gar nicht lange her ist, zeigt, dass
       die, die ihn überlebt haben, noch unter uns weilen. Dass es gerade heute
       unendlich wichtig ist, ihre Erinnerung lebendig zu halten, machen die Gäste
       der Ausstellungseröffnung deutlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt in
       Richtung des Überlebenden Naftali Fürst: „Ich empfinde tiefe Scham
       angesichts des Leids, das ihnen zugefügt wurde.“
       
       NRW-Ministerpräsident Armin Laschet reißt eine kurze Zeitlinie auf von der
       Wannsee-Konferenz über die Befreiung von Auschwitz, die Staatsraison des
       „Nie wieder“, fragt dann: „Und heute? Wieder Antisemitismus. Teilweise bis
       in die Parlamente getragen. Nichts dazugelernt.“
       
       23 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Max Florian Kühlem​
       
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