# taz.de -- Baerbock präsentiert neue Leitlinien: Feminismuscheck im Auswärtigen Amt
       
       > Zwei Drittel des Gesamtetats sollen „gendersensibel“ ausgegeben werden,
       > Mitarbeitende einen „feministischen Reflex“ ausbilden. Frauen sollen
       > zudem mehr in Friedensverhandlungen involviert sein.
       
 (IMG) Bild: Gruppenbild mit Damen: Baerbock (m) und ihre Amtskolleginnen auf der Münchner Sicherheitskonferenz
       
       BERLIN taz | Als Margot Wallström 2014 als damalige schwedische
       Außenministerin den Begriff feministische Außenpolitik als einen
       Politikansatz für ihr Land zum Maßstab machte, wurde sie international kaum
       gehört. Feministische Außenpolitik, was soll das sein? Mehr Frauen an der
       Front? Mehr Waffen in Frauenhände? So ähnlich klangen damals irritierte
       Fragen. Heute, fast zehn Jahre später, ein Jahr nach dem russischen Angriff
       auf die Ukraine, nach der Übernahme Afghanistans durch die Taliban,
       [1][seit den Protesten im Iran], die sich vor allem gegen Gewalt an Frauen
       richten, scheint eine feministische Außenpolitik wichtiger denn je.
       
       Seit die Grüne Annalena Baerbock ihr Amt als Außenministerin angetreten
       hat, [2][verweist sie immer wieder auf diese neue Strategie]. Bislang
       jedoch blieb Baerbock eine Erklärung schuldig, wie [3][feministische
       Außenpolitik konkret aussieht] und wie sie in der Praxis umgesetzt werden
       könnte. Dabei hatten die Grünen diesen Grundsatz hart in den
       Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Am Mittwoch, nach fast 15 Monaten
       Regierungszeit von SPD, Grünen und FDP, legt Baerbock Leitlinien zur
       feministischen Außenpolitik vor.
       
       In dem 88 Seiten starken Papier, das der taz vorab vorliegt, listet
       Baerbocks Haus erstmals sechs Leitlinien für das künftige „außenpolitische
       Handeln“ Deutschlands auf. Aber auch vier Richtlinien, die ihr eigenes Haus
       betreffen: Wie wird das Auswärtige Amt selbst feministischer? Baerbock will
       bei den Mitarbeitenden einen „feministischen Reflex“ ausbilden: Ist das
       feministisch oder kann das weg?
       
       Die Grüne will in ihre Außenpolitik „Perspektiven von Frauen und
       marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und
       Sicherheit“ integrieren und Frauen verstärkt bei Friedensverhandlungen
       sowie bei der Rüstungskontrolle einbinden. Was so pauschal wie abgenutzt
       klingt, hat einen realen Hintergrund: Frauen und Kinder zählen – im
       Gegensatz zu Männern an der Front – zur Zivilbevölkerung. Und die ist in
       einem modernen Krieg wie dem in der Ukraine verstärkt betroffen. Dem
       UN-Hochkommissariat für Menschenrechte zufolge gab es bis Mitte Februar
       mehr als 8.000 Tote der ukrainischen Zivilbevölkerung, darunter viele
       Kinder, sowie über 13.000 verletzte Zivilist:innen. 18,8 Millionen
       Ukrainer:innen haben seit Kriegsbeginn ihre Heimat verlassen,
       hauptsächlich Frauen, Kinder, Alte.
       
       Fokus auf Frauen und vulnerable Gruppen 
       
       In anderen Kriegs- und Fluchtsituationen sind insbesondere Frauen Opfer von
       sexueller Gewalt, Versklavung, Ausbeutung. Viele Frauen, die es von Afrika
       nach Europa geschafft haben, berichten davon, auf der Flucht vergewaltigt,
       zur Arbeit gezwungen oder gefoltert worden zu sein. In autoritären Staaten
       wie dem Irak versklavt der IS [4][Jesidinnen], in Nigeria entführt die
       Terrororganisation [5][Boko Haram] wiederholt Schülerinnen. „Solange Frauen
       nicht sicher sind, ist niemand sicher“, sagt Baerbock.
       
       Laut den Leitlinien geht es darum, eine „gleichberechtigte Repräsentanz und
       Teilhabe von Frauen und marginalisierten Menschen in der Gesellschaft“ zu
       schaffen. Dafür sollen bis zum Ende der Legislaturperiode die rund 5
       Milliarden Euro für humanitäre Projekte des Baerbock-Hauses – das sind
       etwa zwei Drittel des aktuellen Gesamtetats von 7,5 Milliarden Euro –
       „gendersensibel“ ausgegeben werden, also dezidiert Frauen und vulnerablen
       Gruppen zugutekommen.
       
       Konkret zählen dazu etwa die medizinische Versorgung geflüchteter
       Rohingya-Frauen in Flüchtlingscamps in Bangladesch, psychotherapeutische
       Arbeit mit Opfern sexualisierter Gewalt in Äthiopien, Somalia, Nepal. In
       Afghanistan will das Baerbock-Ministerium in diesem Jahr den Aufbau von
       Frauenhäusern durch die Gleichstellungsorganisation UN Women mit 500.000
       Euro unterstützen.
       
       Die Leitlinien erkennen auch an, dass Frauen und vulnerable Gruppen stärker
       als Männer unter der Klima- und Energiekrise sowie Hunger leiden und
       vielfach aus Wirtschaftsprozessen herausgehalten werden. [6][UN Women]
       zufolge lebten 2022 weltweit 388 Millionen Frauen in extremer Armut, 150
       Millionen mehr Frauen als Männer litten Hunger. Denn Frauen, so Antonia
       Baskakov, entwicklungspolitische Referentin bei der Kampagnen- und
       Lobbyorganisation One, „essen oft zuletzt und am wenigsten“. One setzt sich
       global gegen Armut und Hunger sowie für die Gleichberechtigung von Frauen
       ein.
       
       Je ärmer ein Land, desto ärmer sind dort die Frauen. In der Folge verfügen
       sie zudem über weniger Bildung. In Subsahara-Afrika können 72 Prozent der
       Männer lesen und schreiben und nur 59 Prozent der Frauen. Weltweit gehen
       130 Millionen Mädchen nicht zur Schule. Doch besser gebildete Frauen
       treffen bessere Lebensentscheidungen: Gesundheit, Ernährung, Hygiene,
       Familienplanung, Bildung für die eigenen Kinder. Dass Volkswirtschaften um
       ein Viertel wachsen, wenn Frauen vollständig gleichberechtigt sind, ist
       mittlerweile allgemein bekannt.
       
       In all diesen Punkten ist sich Baerbock mit ihrer Kabinettskollegin, der
       SPD-Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze, einig. Zeitgleich mit
       Baerbock legt Schulze am Mittwoch Eckpunkte ihrer 42-seitigen [7][Strategie
       für eine feministische Entwicklungspolitik] vor.
       
       Beide Papiere sind eng miteinander abgestimmt, versichern beide
       Ministerinnen. So stimmen Baerbock und Schulze überein, dass feministische
       Außenpolitik und feministische Entwicklungspolitik nicht einzig für Frauen
       da sind, sondern für „alle Mitglieder der Gesellschaft“, wie Baerbock sagt.
       Oder wie Schulze es formuliert: „Wenn Frauen gleichberechtigt sind und
       gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und
       mehr Stabilität in der Welt.“
       
       Mehr Gleichstellung im Haus 
       
       Um auch ihr Ministerium auf mehr Feminismus einzuschwören, will Annalena
       Baerbock eine „Botschafterin für feministische Außenpolitik“ ernennen. Doch
       anders, als die Bezeichnung ausdrückt, ist dies keine öffentliche Person,
       die im Ausland etwa für feministische Außenpolitik wirbt. Das mache die
       Ministerin schon selbst, heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt. Der
       formale Titel ist „Beauftragte“, die Stelle gibt es aber bereits. Diese
       soll nun stärker im Haus auf mehr Gleichstellung drängen, beispielsweise
       bei der Stellenbesetzung. Aktuell sind nur ein Fünftel von Deutschlands
       Botschafter:innen Frauen. Im Sommer dieses Jahr werde die Stelle
       regulär neu besetzt, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.
       
       Im Herbst 2022 hatte die neue rechtsbürgerliche Regierung in [8][Schweden
       ihre feministische Außenpolitik gestrichen]. Der Trend indes ist ein
       anderer: Chile, Mexiko, Kanada, Spanien und andere Länder verfolgen eine
       „feministische Diplomatie“. Nun auch Deutschland.
       
       28 Feb 2023
       
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 (DIR) Simone Schmollack
       
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