# taz.de -- Grüne Oberbürgermeisterin zu Asylpolitik: „Akzeptanz ist weiter vorhanden“
       
       > Auch Bonn stehe bei der Unterbringung Geflüchteter vor Herausforderungen,
       > sagt Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Populismus sei aber keine Lösung.
       
 (IMG) Bild: Geflüchtete aus Syrien sitzen im Ankunftszentrum in Berlin im Essensbereich
       
       taz: Frau Dörner, derzeit heißt es ja häufig, die Kommunen sind bei der
       [1][Aufnahme von Geflüchteten am Limit]. Wie sieht es bei Ihnen in Bonn
       aus? 
       
       Katja Dörner: Bei uns ist die Situation auch schwierig. Wir haben im
       Landesvergleich in den letzten Jahren weit überproportional Menschen
       aufgenommen und nur noch sehr geringe Kapazitäten in unseren eigenen
       Unterkünften. Hinzu kommt, dass wir im Laufe der nächsten zwei Jahre
       größere Liegenschaften, in denen ukrainische Geflüchtete leben, nicht
       weiter nutzen können, weil die Mietverträge auslaufen und voraussichtlich
       nicht verlängert werden können.
       
       Was heißt das konkret in Zahlen? Wie viele Menschen hat Bonn mit seinen gut
       334.000 Einwohnerinnen und Einwohnern aufgenommen? 
       
       Wir haben ungefähr 10.000 Menschen mit Fluchthintergrund in der Stadt. In
       den städtischen Unterkünften leben aktuell circa 2.800 Menschen, die Hälfte
       davon sind aus der Ukraine. Aber es leben leider Geflüchtete, die 2015 bis
       2017 nach Bonn gekommen sind, weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften. Das
       ist ein großes Problem, insbesondere für Familien. Grund ist der extrem
       angespannte Wohnungsmarkt in einer wachsenden Stadt wie Bonn.
       
       Wann müssen Sie wieder die erste Turnhalle belegen? 
       
       Es ist unser Ziel, nicht auf Turnhallen zurückgreifen zu müssen. Im
       Frühjahr 2022, also als Russland die Ukraine angegriffen hat, mussten wir
       drei Hallen belegen, das konnten wir aber glücklicherweise schnell wieder
       auflösen.
       
       Und was machen Sie, wenn Sie bis zum kommenden Jahr keinen Ersatz für die
       auslaufenden Liegenschaften finden? 
       
       Wir suchen sehr intensiv nach anderen Unterbringungsmöglichkeiten. Wir
       haben bereits Menschen in ehemaligen Hotels untergebracht, wir suchen
       Standorte für Container, wir sind mit Vermietern von Liegenschaften im
       Gespräch. Sollte das alles nicht im nötigen Umfang gelingen, und das wird
       natürlich auch immer schwieriger, werden wir erhebliche Kapazitätsprobleme
       haben.
       
       Probleme gibt es nicht nur bei der Unterbringung, sondern oft auch bei den
       Kapazitäten von Kitas und Schulen. Wie ist da die Lage in Bonn? 
       
       Wir können noch allen Kindern einen Schulplatz zur Verfügung stellen, aber
       auch hier ist alles auf Kante genäht. Bei den Kitas ist es noch
       schwieriger, weil wir da ohnehin lange Wartelisten haben. Das hat aber in
       erster Linie mit dem Fachkräftemangel zu tun.
       
       Die Debatte spitzt sich mancherorts dramatisch zu, die gesellschaftliche
       Stimmung auch. Wie ist es in Bonn? 
       
       Diese Zuspitzung haben wir in Bonn zum Glück nicht, die Akzeptanz ist
       weiter vorhanden. Wir haben eine Solidaritätspartnerschaft mit der
       ukrainischen Stadt Cherson, da ist das Engagement sehr groß, aber auch
       insgesamt in der Flüchtlingsarbeit. Als Oberbürgermeisterin ist es wichtig,
       darauf hinzuweisen, dass es nicht zusammenpasst, für die Solidarität mit
       der Ukraine zu demonstrieren und gleichzeitig Stimmung gegen Geflüchtete zu
       machen.
       
       Meine größte Sorge ist die finanzielle Situation der Kommunen, weil die
       Kommunen in Nordrhein-Westfalen sehr große Herausforderungen haben und sie
       durch Entscheidungen im Land und im Bund voraussichtlich massive
       Einsparungen werden vornehmen müssen. Das könnte zu einer Stimmung führen,
       die sich negativ auf den sozialen Zusammenhalt allgemein und auf die
       Geflüchteten auswirkt.
       
       Was können Sie als Oberbürgermeisterin tun, damit trotz der schwierigen
       Lage die Solidarität erhalten bleibt? 
       
       Es ist sehr wichtig, wie man über die Situation spricht, und dass man sehr
       transparent mit der Bevölkerung kommuniziert. Wichtig ist auch, auf
       Zuspitzungen zu verzichten. Und da hat Bonn mit seinem politischen Spektrum
       das große Glück, dass wir als internationale, als weltoffene Stadt,
       Menschen, die vor Krieg flüchten und zu uns kommen, eine gute Ankunft
       ermöglichen wollen. Da gibt es einen gewissen Grundkonsens.
       
       Das heißt, Sie haben hier zum Beispiel eine CDU vor Ort, die sich [2][nicht
       äußern würde wie Friedrich Merz]? 
       
       Genau, und nicht nur das: Die hiesige CDU wendet sich dezidiert gegen einen
       Teil dieser Äußerungen, zum Beispiel was die [3][Zusammenarbeit mit der AfD
       angeht].
       
       Sie haben schon auf die schwierige Finanzsituation hingewiesen. Tut die
       schwarz-grüne Landesregierung zu wenig, um die Kommunen zu unterstützen? 
       
       Ja. Wir bekommen für die Asylsuchenden eine Pauschale, die bei weitem nicht
       auskömmlich ist. In Bonn hatten wir, was die Finanzierung von Geflüchteten
       angeht, in 2021 ein Defizit von etwa 18 Millionen und 2022 von 20 Millionen
       Euro, das wir aus dem städtischen Haushalt finanzieren mussten. Es ist gut,
       dass es nun eine Vereinbarung der kommunalen Spitzenverbände mit der
       Landesregierung gibt, über diese Pauschale zu verhandeln. Sie muss deutlich
       erhöht werden.
       
       Was würde Ihnen jenseits von mehr Geld helfen? 
       
       Die Erhöhung der Unterbringungskapazitäten des Landes selbst. In der
       genannten Vereinbarung von Ende September sind 3.000 zusätzliche Plätze
       vorgesehen, aber das ist zu wenig und kommt spät. Und dann gibt es diverse
       Regelungen auf Landes- und besonders Bundesebene, die vieles schwerer
       machen.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Wir stellen für die Unterbringung hochwertige, neue Container auf. Wir
       dürfen sie aber nach der aktuellen Erlasslage nur für drei Jahre vorhalten.
       Gut wäre, diese länger nutzen zu können. Entbürokratisierung tut Not. Und
       mit Blick auf den Bund: Wenn endlich [4][die eine Milliarde Euro
       finanzielle Unterstützung], die schon im Frühjahr versprochen wurde, bei
       den Kommunen ankommt, würde das helfen. Darüber hinaus brauchen wir eine
       langfristige, auskömmliche und atmende Finanzierungsregelung. Ich begrüße
       es sehr, dass jetzt endlich Integration durch Arbeit vereinfacht werden
       soll. Angesichts des massiven Mangels an Arbeits- und Fachkräften wäre das
       eine Win-Win-Geschichte. Schnellere Verfahren, aber auch legale Fluchtwege
       zu schaffen, wäre auch sehr wichtig.
       
       Und sind Sie zufrieden damit, was Ihre Partei auf Bundesebene in diesem
       Bereich macht? 
       
       Meine Wahrnehmung ist, dass sich sowohl die Regierungsmitglieder als auch
       Partei und Fraktion sehr reinhängen, damit der notwendige Zweiklang von
       Humanität und Ordnung auf den unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommt.
       Annalena Baerbock verhandelt auf europäischer Ebene hart, humanitäre
       Aspekte der Geflüchtetenpolitik in einem leider sehr anders agierenden
       Umfeld durchzusetzen. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass es
       hinsichtlich der finanziellen Unterstützung der Kommunen oder auch bei sehr
       konkreten Fragen wie dem Aufenthaltstitel für ukrainische Geflüchtete, die
       im März auslaufen, immer noch keine Lösung gibt.
       
       Die Bundesregierung hat gerade mit dem Segen der Grünen der [5][Reform des
       Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS, und der Krisenverordnung]
       zugestimmt, die unter anderem die haftähnliche Unterbringung von
       Geflüchteten an der EU-Außengrenze vorsehen. Die Grünen haben sich lange
       für eine humanitäre Flüchtlingspolitik stark gemacht. Wie passt das
       zusammen? 
       
       Als Grüne setzen wir uns ganz klar weiter für eine humanitäre Politik für
       Geflüchtete ein. So bewerte ich auch die Aktivitäten von Annalena Baerbock.
       Aber die Verhandlungen auf der europäischen Ebene sind komplex, Deutschland
       muss in einem sehr schwierigen Umfeld Kompromisse finden. Dass die
       Außenministerin sich einsetzt, um Ausnahmeregelungen zum Beispiel für
       Familien und Kinder durchzusetzen, ist wichtig. Ich würde mir wünschen,
       dass wir da größere Erfolge haben.
       
       Alles in allem geht es aber um eine massive Verschärfung. War die
       Zustimmung aus Ihrer Sicht falsch? 
       
       Nein, nicht zuzustimmen fände ich angesichts der schwierigen
       Gesamtkonstellation nicht richtig. Nicht zuletzt, weil Lösungen auf
       europäischer Ebene unabdingbar sind.
       
       Das Nachgeben zahlt sich für Ihre Partei nicht aus. Bei den Landtagswahlen
       in Bayern und Hessen haben die Grünen deutlich an Prozentpunkten verloren,
       Umfragen zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler meinen, dass Sie keine
       Antworten auf die Migrationsfrage haben. Fehlt den Grünen da ein
       angemessener Umgang?
       
       Nein. Wir haben auf unterschiedlichsten politischen Ebenen klare
       inhaltliche Positionierungen formuliert. Aber die Diskussion ist sehr
       schwierig und sehr komplex. Und derzeit werden von anderen Parteien viele
       Gespensterdebatten geführt und Forderungen in den Raum geworfen, die den
       Kommunen gar nicht helfen würden. Zum Beispiel die Diskussion um
       Sachleistungen für Geflüchtete, das lehnen die Kommunen ab, da wir das mit
       unseren Kapazitäten und logistisch gar nicht leisten können.
       
       Im Wahlkampf haben etwa in Bayern CSU und Freie Wähler den Grünen quasi die
       Schuld für die jetzige Situation in die Schuhe geschoben, weil die Grünen
       angeblich nötige Maßnahmen verhindern. Warum verfängt das so? 
       
       Einfache Antworten verfangen leider oft. Vor allem, wenn es um komplexe
       Probleme geht, auf die es gar keine einfachen Antworten geben kann. Ich
       finde es richtig, da sehr sach- und lösungsorientiert zu bleiben. Ich
       hoffe, dass die Diskussion jetzt, nach den Wahlen, wieder runterkocht und
       sich die Debatte normalisiert. Wir brauchen dringend eine
       lösungsorientierte Auseinandersetzung.
       
       Nach den Landtagswahlen mit den guten Ergebnissen für die AfD drängen viele
       auf eine gemeinsame Lösung der Ampel mit der Union, [6][die 90er Jahre
       werden dabei als positives Beispiel genannt] – damals wurde das Grundrecht
       auf Asyl massiv beschnitten. Ihre Partei wird das stark unter Druck setzen,
       weiteren Verschärfungen zuzustimmen. Fänden Sie das richtig? Und was
       wünschen Sie sich jetzt von den Grünen in der Regierung? 
       
       Grüne sind in der Lage, Kompromisse mit Parteien des demokratischen
       Spektrums zu finden. Das zeigen wir jeden Tag und das ist auch hier
       richtig, wenn es darum geht, Probleme ernsthaft anzugehen. Die Humanität
       darf aber nicht auf der Strecke bleiben. Die 90er Jahre sind für mich kein
       positives Beispiel – ich denke da [7][an Hoyerswerda, Mölln, Solingen].
       Alle demokratischen Parteien sind gefragt, zu verhindern, dass eine
       gesellschaftliche Stimmung sich weiter ausbreiten kann, die derartigen
       Verbrechen den Boden bereitet.
       
       Ich bin mir sicher, dass die Grünen da den richtigen Kompass haben. Die
       genannten Entlastungen für die Kommunen müssen jetzt schnell kommen. Im
       Übrigen sehe ich auch alle demokratischen Parteien in der Pflicht, der
       Lösung der dringlichsten Krise unserer Zeit, der Klimakrise, das notwendige
       Engagement zu widmen. Das vermisse ich zurzeit.
       
       12 Oct 2023
       
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