# taz.de -- Junger Grüner über die Schuldenbremse: „Wir machen uns kaputt“
       
       > Der Flensburger Grüne Leon Bossen kritisiert die Landesfinanzministerin
       > und Parteifreundin Monika Heinold für ihr Festhalten an der schwarzen
       > Null.
       
 (IMG) Bild: Drüben läuft's besser, sagt Leon Bossen: Grenzübergang nach Dänemark bei Harrislee Foto: Carsten Rehder/dpa
       
       taz: Herr Bossen, Sie sind gegen die Schuldenbremse – was sagen Sie zu dem
       Argument, die junge Generation würde durch mehr Schulden belastet? Mit 22
       Jahren gehören Sie ja noch dazu. 
       
       Leon Bossen: Der Hinweis auf die Jüngeren ist ein absurdes Argument, das
       besonders von Liberalen immer wieder benutzt wird. Wir schädigen gerade die
       junge Generation, wenn wir Infrastruktur und Digitalisierung nicht ausbauen
       und die Schulen verfallen lassen. Wir haben vieles schon kaputtgespart, und
       das liegt an der [1][Schuldenbremse]. Das werden die realen Schulden für
       die junge Generation sein.
       
       Sie sind in Flensburg Teil der Doppelspitze der Grünen-Ratsfraktion. Als
       Kommunalpolitiker gibt man natürlich lieber Geld aus als zu sparen … 
       
       Nein, wir wollen sorgfältig mit dem Geld umgehen. Deshalb sparen wir auch,
       wo notwendig, aber wohl mittlerweile an deutlich zu vielen Stellen. Wir
       haben praktisch keinen Spielraum, etwas zu gestalten oder den Menschen
       etwas anzubieten, sei es für [2][Sport], für [3][ÖPNV] oder [4][Kultur].
       Wir machen uns kaputt.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Die städtischen Schulleiter*innen haben uns Ratsmitgliedern einen
       offenen Brief geschickt, weil alle Schulen überlastet sind. Richtig wäre,
       neue Schulen zu bauen. Wir haben die Ressourcen nicht, weder genug Personal
       in den Planungsabteilungen, schon gar nicht das Geld. Und gerade bei uns in
       Flensburg merkt man, dass wir im internationalen Wettbewerb stehen und
       schlecht abschneiden.
       
       Sie meinen, durch die Nähe zu Dänemark? 
       
       Genau. Viele Kinder fahren ein paar Kilometer über die Grenze in eine
       dänische Schule, wo jede Klasse digitalisiert ist, wo es keine maroden Klos
       gibt, wo sie viel Unterstützung erhalten. Ich bin deutscher und dänischer
       Staatsbürger, ich erlebe diese Unterschiede hautnah: Beim dänischen
       Bürgerservice ist längst alles digital. In Deutschland gibt’s Papier.
       
       Nun ist Dänemark deutlich kleiner als Deutschland, es hat auch ein ganz
       anderes System. Ist es fair, das zu vergleichen? 
       
       Na ja, wenn man mit dänischen Politiker*innen spricht, sind die oft
       erstaunt, wie wir uns selbst ausbremsen. So eben auch mit der
       Schuldenbremse. Egal, wer gerade regiert, niemand kann großartig – oder
       auch nur bedarfsgerecht – investieren. Es gab in der Coronazeit mal die
       Idee, alle Kommunen zu entschulden. Wenn wir das täten, wäre das ein echter
       Gamechanger.
       
       Ihre Parteifreundin, Landesfinanzministerin Monika Heinold, [5][ist strikt
       gegen eine Lockerung der Schuldenbremse]. Was sagen Sie ihr? 
       
       Ich würde widersprechen. Zwar fehlt mir Monika Heinolds lange Erfahrung,
       aber ich spreche aus der Perspektive der kommunalen Verantwortung. Ich bin
       aber froh, dass es nun eine öffentliche Debatte über die Schuldenbremse
       gibt und auch die Argumente der Ökonom*innen gehört werden, die sagen,
       Deutschland könne es sich leisten, sich für den Ausbau der Infrastruktur zu
       verschulden.
       
       Thomas Losse-Müller, [6][gerade zurückgetretener SPD-Fraktionschef im
       Landtag], hat einen Schleswig-Holstein-Fonds vorgestellt, der knapp 12
       Milliarden Euro für den Weg in die Klimaneutralität des Landes vorsieht.
       Das klingt gut, klappt aber leider nach dem Karlsruher Urteil nicht mehr.
       Was wäre Ihre Idee? 
       
       Die Bundesregierung hat versucht, die Schuldenbremse durch Sondervermögen
       zu umgehen, etwa für die Bundeswehr. Und ich könnte viele weitere Themen
       nennen, in die wir investieren müssen: Klimaschutz, Schulen, die Bahn …
       Aber mit Sondervermögen zu arbeiten, geht eben nicht, es bedarf daher einer
       Reform der Schuldenbremse. Klar ist, dass Schleswig-Holstein nicht allein
       agieren kann. Die Schuldenbremse steht nicht nur in der Landesverfassung,
       sondern auch im Grundgesetz, dort müsste angesetzt werden. Wir brauchen
       keine Aufgabe der Schuldenbremse, aber eine deutliche Lockerung.
       
       Aber Geld ausgeben, als gäbe es kein Limit, kann doch auch nicht klappen. 
       
       Ja, das ist mir bewusst. Aber wichtiger als die Schulden ist, dass es
       zurzeit an vielen Stellen hakt. Dafür brauchen wir Investitionen. Ich – wie
       viele andere auch – brenne für Lokalpolitik, aber uns sind die Hände
       gefesselt. Das raubt den Spaß an Politik.
       
       Gibt eine Gruppe, die sich gegen die Schuldenbremse organisiert? 
       
       Wir sind nicht organisiert, aber über Fraktionsgrenzen hinweg teilen viele
       meine Meinung. Wir müssen sparen, wo wir nicht mehr sparen können. Ich
       denke, dass wir als Grüne die Debatte führen müssen, und wir tun es
       bereits. Das ist keine Kritik an Monika Heinold, die an die
       Landesverfassung und Vorgaben gebunden ist und darum auf die Sparbremse
       drückt. Dennoch versucht sie, in diesem Rahmen zu investieren, etwa mit dem
       Impuls-Programm. Das gibt einen kleinen Spielraum, aber wir müssten
       eigentlich 100 Dinge gleichzeitig machen.
       
       Was zum Beispiel? 
       
       In Flensburg wird aktuell über den Erhalt eines Freibades diskutiert, das
       ein Treff für einen ganzen Stadtteil ist. Aber zwei Gutachten sagen, dass
       Unfallgefahr besteht, weil es so marode ist. Nun überlegen wir, ob ein
       Ersatz möglich ist. Aber wir sind bei fast allen Vorhaben darauf
       angewiesen, ob es eine Förderung gibt, das ist immer die erste Frage. Man
       kommt als junger Mensch in die Politik, will was bewegen, aber es geht nur
       darum, wo man sparen kann. Diese Mentalität ist so tief verwurzelt, dass
       es, egal bei welchem Thema, immer heißt: Oh, das ist teuer. Das frustriert.
       Ich bewundere Menschen, die seit Jahren Kommunalpolitik machen, ich frage
       die immer: Wie behältst du deinen Glauben an den Sinn?
       
       9 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schuldenbremse/!t5020324
 (DIR) [2] /Sport/!p4646/
 (DIR) [3] /Oeffentlicher-Nahverkehr/!t5027782
 (DIR) [4] /Kultur/!p4639/
 (DIR) [5] /Schleswig-Holstein-praesentiert-Sparplaene/!5934825
 (DIR) [6] /SPD-Ruecktritt-in-Schleswig-Holstein/!5974167
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schuldenbremse
 (DIR) Flensburg
 (DIR) Kommunalpolitik
 (DIR) Grüne Schleswig-Holstein
 (DIR) Investitionen
 (DIR) Kiel
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Haushalt
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Grüne Schleswig-Holstein
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Schuldenbremse
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Schuldenbremse
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue Finanzministerin in Kiel: Silke Schneider erbt ein Finanzloch
       
       Die Lübecker Richterin Silke Schneider wird neue Finanzministerin in Kiel.
       Sie plädiert für eine Reform der Schuldenbremse.
       
 (DIR) Monika Heinold tritt zurück: Jetzt sollen mal andere sparen
       
       Schleswig-Holsteins grüne Finanzministerin Monika Heinold tritt nach zwölf
       Jahren Regierungsarbeit zurück. Die Grünen sprechen vom „Ende einer Ära“.
       
 (DIR) Streit um Haushalt in Schleswig-Holstein: Opposition prüft Verfassungsklage
       
       Weil die schwarz-grüne Regierung den Haushalt mit drei Notkrediten
       finanzieren will, prüfen SPD und FDP eine Verfassungsklage.
       
 (DIR) Kosten der CO2-Neutralität in Europa: Billionen mehr für Klimaschutz
       
       Für die CO2-Neutralität bis 2050 muss die EU viel mehr investieren als
       geplant. Das zeigt eine Studie im Auftrag der Grünen im Europäischen
       Parlament.
       
 (DIR) Grünen-Fraktionschef über grüne Politik: „Wohlstand schafft Ruhe“
       
       Für Schleswig-Holsteins Grüne läuft gerade vieles nicht gut. Fraktionschef
       Lasse Petersdotter über CO2-Verpressung und wirtschaftliche Perspektiven.
       
 (DIR) Frauenberatungsstellen im Norden: Tarifsteigerung sorgt für Kürzung
       
       Frauenberatungsstellen in Schleswig-Holstein befürchten, dass dieses Jahr
       10.000 Beratungsstunden wegfallen. Es fehlt das Geld für die
       Tarifsteigerung.
       
 (DIR) Diskussion um Schuldenbremse: Die Billionen-Euro-Aufgabe
       
       Ökonomen plädieren für eine Reform der Schuldenbremse. Angesichts der
       nötigen Transformation beurteilen sie Sparen für schädlich.
       
 (DIR) Ökonom zur Konjunktur 2024: „Es wird massive Einschnitte geben“
       
       Kann die sozial-ökologische Transformation trotz geplanter
       Haushaltskürzungen der Ampel gelingen? Der Ökonom Rudolf Hickel hat einige
       Zweifel.
       
 (DIR) Beliebtheit der Schuldenbremse: Der Staat als Wasserbett
       
       Staatsschulden haben in Deutschland zu Unrecht einen schlechten Ruf. Sparen
       kann für eine Volkswirtschaft gefährlich sein.