# taz.de -- Libanesische Musikerin Yasmine Hamdan: „Ich bin eine politische Sängerin“
       
       > Yasmine Hamdan ist eine Ikone des arabischen Pop-Undergrounds. Ein
       > Gespräch über Schönheit, Schubladen – und Donald Trump
       
 (IMG) Bild: Inzwischen in Paris zuhause: Yasmine Hamdan in ihrer alten Heimat Beirut auf dem Balkon
       
       taz: Frau Hamdan, Ihr neues Album klingt verträumt und versponnen. Wollten
       Sie bewusst einen Kontrapunkt setzen zu den Härten unserer Gegenwart? 
       
       Yasmine Hamdan: Ja, der Sound ist sehr ätherisch, es ist etwas Zartes an
       vielen der Songs. Ich habe das Gefühl, dass wir alle etwas mehr
       Zärtlichkeit brauchen auf dieser Welt. Die Dinge entwickeln sich in einer
       verrückten Geschwindigkeit, die Welt verändert sich sehr schnell.
       
       Der Titelsong „Al Jamilat“ („die Schönen“) geht auf ein Poem des
       palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish zurück. Warum haben Sie gerade
       dieses Gedicht vertont? 
       
       Weil ich seine Gedichte liebe. Und dieses Gedicht handelt von Schönheit und
       von Weiblichkeit, von Unvollkommenheit, von Widersprüchen und von Vielfalt.
       All diese Dinge sind bedroht – von Menschen, die Eindeutigkeit und
       Einförmigkeit suchen
       
       Warum ist das so? 
       
       Ich weiß es nicht. Diese Leute verleugnen die Realität. Wir sind alle
       unvollkommen. Es gibt keine Perfektion, alles ist ständig im Wandel. Ich
       denke, wir sind uns oft nicht über die Tatsache bewusst, dass alles
       vergänglich ist. Wir wissen nicht mal, wer wir selbst in zehn Jahren sein
       werden.
       
       Malen Sie sich deshalb in Ihren Songs gerne andere Welten und Realitäten
       aus? 
       
       Ja, ich stelle mir gerne mysteriöse Figuren in bestimmten Situationen vor.
       Die Protagonisten meiner Songs besitzen stets eine eigene Geschichte, die
       in meinem Kopf sehr lebendig wird. Es hat mir immer gefallen, Charaktere zu
       entwerfen, die obskur oder widersprüchlich sind. Sie sind ein Teil von mir,
       den ich ins Extrem treibe. Damit ist immer eine Haltung verbunden, ob
       ironisch oder dramatisch.
       
       Sie singen viel über Gefühle. Würden Sie sich als eine politische Sängerin
       bezeichnen? 
       
       Ich denke schon, dass ich eine politische Sängerin bin. Kunst ist
       politisch, und als Künstler bewegst du dich in einem politischen Umfeld.
       Man hat eine Stimme, und die Leute hören dir zu, und entweder man spricht
       die Dinge direkt an oder man macht es subtiler.
       
       Ist es schon ein Politikum, eine arabische Sängerin zu sein? 
       
       Ich habe eine Menge Fragen, was meine Herkunft angeht, und was ich
       angesichts der gegenwärtigen Situation empfinde. Das ist Teil meiner Arbeit
       und ein Grund, warum ich Musik mache. In meinen Songs spreche ich,
       zumindest indirekt, über meine Beziehung zu dieser Region, aus der ich
       stamme.
       
       Ihre Musik entzieht sich gängigen Schubladen. War das ein Problem, sich
       damit künstlerisch durchzusetzen? 
       
       Als ich mit meiner Band Soap Kills anfing, hat es mich wirklich schockiert,
       mit den Vorstellungen konfrontiert zu werden, die sich andere Leute davon
       machten, was arabische Musik sein soll oder was eine arabische Frau tut.
       Ich dachte, ich könnte ich selbst sein. Aber ich musste feststellen, dass
       ich Erwartungen entsprechen musste – im Libanon wie in Frankreich. Zum
       Glück hatte ich viele Verbündete auf meinem Weg. Aber es war nicht immer
       leicht.
       
       Sie leben seit einigen Jahren in Frankreich. Wie empfinden sie die
       Situation dort? 
       
       Frankreich trägt schwer an seiner kolonialen Vergangenheit, aber es geht
       diesem Thema lieber aus dem Weg. Wie in vielen Ländern machen sich die
       Leute vor, dass sie damit nichts mehr zu tun haben. Die Europäer vergessen
       gerne, dass sie Waffen nach Saudi-Arabien verkaufen und dieses Land seinen
       Wahhabismus in alle Welt exportiert. Und man kann nicht die Augen davor
       verschließen, dass es Generationen von Kindern gibt, denen es an Chancen
       mangelt, weil sie den falschen Namen tragen oder aus dem falschen Viertel
       stammen. Das hängt alles miteinander zusammen.
       
       In den Vorstädten gab es im Februar aufgrund von Polizeigewalt tagelange
       Unruhen. Wie explosiv ist die Stimmung? 
       
       Ich habe nichts gegen die Polizei. Aber ich habe Freunde, die sind schwarz
       oder arabischer Herkunft, und sobald sie aus der Tür treten, werden sie von
       der Polizei belästigt. Mir ist das auch vertraut. Wann immer ich mit meinem
       libanesischen Pass eine Grenze passiere oder ein Visum beantrage – immer
       hat man das Gefühl, als sei man ein potenzieller Verdächtiger. Wenn es für
       die jungen Leute aus den Vorstädten mehr Jobs gäbe, dann würde das die
       Spannungen sicher lindern.
       
       In Städten wie Paris bestimmt das Geld und die Herkunft, in welchem Viertel
       man lebt. 
       
       Klar, diese Segregation provoziert ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Und das
       Leben wird immer teurer. Also arbeiten die Leute mehr und mehr, und haben
       immer weniger Zeit, mit sich selbst in Kontakt zu treten, nachzudenken und
       sich eine Meinung zu bilden. Darum lassen sie sich von anderen sagen, was
       sie denken sollen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir zu reinen
       Konsumenten herab gesunken sind. Aber auf der geistigen und spirituellen
       Seite herrscht ein Vakuum – und das ist gefährlich.
       
       Ist Donald Trump ein Symptom für diese Krise? 
       
       Es ist völlig klar, dass dieser Typ Probleme bereiten wird. Er stachelt den
       Hass an und gibt anderen schlechten Typen damit einen Grund, sein Land noch
       mehr zu hassen. Die Leben von so vielen Menschen werden ruiniert, das ist
       so traurig.
       
       Positiv gesprochen könnte man sagen: Auch das wird vorübergehen, oder? 
       
       Es ist immer ein Zyklus. Aber das heißt nicht, dass in der Zwischenzeit
       nicht viel kaputtgehen kann. Und alles hat Folgen. Was jetzt passiert, hat
       Auswirkungen auf das, was in fünf oder zehn Jahren sein wird.
       
       Sie glauben nicht an gesellschaftlichen Fortschritt? 
       
       Ich komme aus einer Weltgegend, wo man sich nicht allzu viele Illusionen
       macht. Ich habe Hoffnung, aber ich weiß, dass sie enttäuscht wird. Ein
       Freund, der im Januar verstorbene Schriftsteller John Berger, sagte einmal:
       Ich habe Hoffnung, aber mit einem verwundeten Auge. Das beschreibt meine
       Empfindung. Die Menschheit hat etwas Selbstzerstörerisches an sich.
       
       Was gibt Ihnen Hoffnung? 
       
       Liebe, Schönheit, die Natur.
       
       Gibt Kunst Ihnen Hoffnung? 
       
       Kunst vollbringt keine Wunder. Aber sie ist ein Same, sie bringt Hoffnung
       und Licht. Wenn ich Musik höre, hat das eine heilende Wirkung auf mich. Ich
       denke, dass Kunst die Menschen herausfordern und inspirieren kann, bessere
       Menschen zu werden und mit anderen Menschen in Verbindung zu treten. Ob
       Kunst, Musik, Literatur – letztlich geht es um Liebe.
       
       22 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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