# taz.de -- EU-Afrika-Gipfel: Ziemlich schlechte Freunde
       
       > Beim EU-Afrika-Gipfel ist Migration mal wieder Schlüsselthema. Die EU
       > steht wegen ihres Vorgehens in Libyen in der Kritik.
       
 (IMG) Bild: Wie geht es weiter? Flüchtlinge, die von der libyschen Küstengriffe aufgegriffen wurden
       
       BRÜSSEL/PARIS taz | Eine Woche war es noch hin bis zum EU-Afrika-Gipfel in
       Abidjan, der diesen Mittwoch in der Hauptstadt der Elfenbeinküste beginnt,
       als EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hohe Politiker aus Afrika und
       Europa zum kleinen Warm-up nach Brüssel einlud. Er wolle eruieren, wie
       Europa „Afrika durch afrikanische Augen sehen“ könne, um die gemeinsame
       „Partnerschaft noch tiefer“ werden zu lassen, war in der Einladung zu
       lesen.
       
       Noch tiefer?
       
       In den letzten 15 Monaten hat der EU-Rat kaum ein Dokument zuwege gebracht,
       das ohne Drohungen gegen afrikanische Staaten ausgekommen wäre. Wiederholt
       wurden Sanktionen beim Handel und der Entwicklungshilfe angekündigt, wenn
       die afrikanischen Staaten sich weiter der Zusammenarbeit beim Kampf gegen
       Fluchtursachen und illegale Migration verweigerten. Seit zwei Jahren
       verhandelt die EU mit Afrika über diese Punkte, 7,3 Milliarden Euro hat sie
       dafür nach aktuellem Stand mobilisiert – und schon fast die Hälfte
       ausbezahlt.
       
       Doch die Zahlen des letzten EU-„Fortschrittsberichts“ sind aus Brüsseler
       Sicht ernüchternd: Kein afrikanisches Land hat ein formales
       Rücknahmeabkommen mit der EU unterzeichnet. Auch weiterhin verlassen nur 26
       Prozent aller ausreisepflichtigen Nigerianer die EU, bei den Senegalesen
       ist dieser Wert gar von 12,5 auf neun Prozent gefallen, nach Äthiopien
       reisen nur 9,8 und nach Mali gerade 4,8 Prozent aller Ausreisepflichtigen
       aus. Das sind einige der Zahlen, die die Brüsseler Diplomaten im Kopf
       haben, wenn sie von Partnerschaft sprechen und dabei hauptsächlich die
       Migranten von heute meinen.
       
       ## Die Angst vor der Bevölkerungsexplosion
       
       Und gleichzeitig muss die EU ihren Blick auf die Migranten von morgen
       richten. Beim anstehenden Gipfel in Abidjan geht es folgerichtig vor allem
       um „die Jugend“. Egal, in welches Forum zu den euro-afrikanischen
       Beziehungen man derzeit hineinhört – stets ist von der bevorstehenden
       Bevölkerungsexplosion in Afrika und den Folgen für Europa die Rede.
       
       Dass diese möglichst milde ausfallen, möchte die EU im „Geiste echter
       Partnerschaft und geteilter Verantwortung“ mit Afrika sicherstellen – so
       heißt es im Entwurf für das Abschlussdokument des Gipfels in Abidjan. Was
       das genau heißt, bleibt weitgehend offen. Denn darüber herrscht keine
       Einigkeit.
       
       Kurz vor Ende der monatelangen Verhandlungen ließ die Afrikanische Union
       (AU) am Mittwoch noch das Wort „Arbeitsmigration“ in die Liste der Dinge
       einfügen, an denen künftig noch engagierter zusammengearbeitet werden
       solle. Ob es stehen bleibt, wird auf der letzten Runde der Unterhändler an
       diesem Dienstag entschieden. Die Linie der AU dabei ist klar: Sie will die
       Rechte von MigrantInnen ausbauen und stärken. Die EU hingegen will alles
       vermeiden, was mehr Zuwanderung bedeuten könnte.
       
       Eine ganz neue Dynamik bekam die Debatte durch die von CNN kürzlich
       veröffentlichten Videoaufnahmen von einer Sklavenauktion in Libyen. Die
       Lage der Migranten in Libyen ist eigentlich lange bekannt. Schon vor einem
       Jahr schrieben etwa deutsche Diplomaten von KZ-ähnlichen Zuständen, den
       Bericht will das Auswärtige Amt allerdings bis heute nicht veröffentlichen.
       Doch die CNN-Bilder kamen zu einer Zeit, in der das Verhältnis der beiden
       Kontinente neu austariert wird.
       
       ## Militärintervention in Libyen scheint möglich
       
       Die EU bemühte sich, die Enthüllungen als Beleg dafür verstanden zu wissen,
       dass sie mit ihrer Partnerschaft mit dem Milizenstaat Libyen richtig liegt
       und sich dort noch stärker engagieren muss. Frankreichs Präsident Emmanuel
       Macron berief eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates ein und
       signalisierte, wie zu vernehmen war, dem Tschad Unterstützung für eine
       mögliche Militärintervention in Libyen. Eine Folge könnte sein, dass die EU
       ihre bislang nur sehr prekäre Kontrolle der libyschen Küste durch die
       unzuverlässigen und umstrittenen libyschen Milizen zu konsolidieren vermag.
       
       Die Afrikaner hingegen ziehen die Bilder als Beleg dafür heran, wie sehr
       Europas Kampf gegen Migration ihren eigenen Interessen widerspricht. Die
       öffentliche Empörung auf dem Kontinent ist gigantisch – in den
       afrikanischen sozialen Medien sind die Parolen gegen die Sklaverei
       allgegenwärtig. Die Stimmung wiederum wissen afrikanische Politiker wie der
       ruandische Präsident Paul Kagame für ihre Kritik an der EU zu
       instrumentalisieren.
       
       Seit einiger Zeit arbeitet Kagame daran, die nach dem Tod des libyschen
       Diktators Muammar al-Gaddafi vakante Stelle als Führer Afrikas zu
       übernehmen. Ab 2018 hat er den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne.
       Jetzt stellt er sich als Anwalt afrikanischer Migranten dar. Kagame bot an,
       sein Land könne 30.000 Migranten aus Libyen aufnehmen. Eine Breitseite
       gegen die EU, die bislang nicht das kleinste Aufnahmeprogramm aus Libyen
       zuwege brachte. Zupass kam da, dass die Vereinten Nationen die EU wegen
       ihrer Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache kürzlich scharf
       kritisierten.
       
       Der UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein nannte es
       „unmenschlich“, dass die EU dazu beitrage, dass nach Libyen zurückgebrachte
       Flüchtlinge unter „grausamen“ Umständen leben müssten. In die gleiche Kerbe
       schlug am Mittwoch in Brüssel auch Malis Außenminister Abdoulaye Diop.
       
       ## Affront gegen die EU
       
       Als Gast Tajanis hielt er im EU-Parlament eine Rede – und stellte einen
       direkten Zusammenhang zwischen dem Sklavenhandel und dem
       „Migrationsabkommen zwischen der EU und Libyen“ her. Die EU habe „ohne Plan
       und ohne Vision“ in Libyen migrationspolitische Maßnahmen ergriffen, sagte
       Diop. Sie müsste nun gemeinsam mit den afrikanischen Staaten daran gehen,
       „dieses Abkommen zu revidieren“.
       
       Es war ein überaus undiplomatischer Affront gegen die nur drei Stühle
       weiter platzierte EU-Außenkommissarin Federica Mogherini, die die
       Libyen-Kooperation verantwortet – und sich hernach unangenehme
       Journalistenfragen anhören musste. Die EU hält jedoch an der Kooperation
       mit Libyen fest. In der vergangenen Woche meldete die EU-Kommission
       finanziellen Mehrbedarf für die Migrationskontrolle in Nordafrika im
       zweistelligen Millionenbereich an. Zuletzt sind die Zahlen von Ankünften
       und Todesfällen im Mittelmeer wieder gestiegen. Allein letzte Woche starben
       50 Menschen. Insbesondere Italien drängt auf stabile Lösungen.
       
       Doch ob die zunehmend verfolgte Strategie, mit Entwicklungshilfegeldern
       Grenzschützer aufzurüsten, überhaupt rechtens ist, beschäftigt jetzt zum
       ersten Mal ein Gericht: Am Freitag verklagte die italienische NGO ASGI das
       italienische Außenministerium vor dem Verwaltungsgericht von Lazio. Das
       Ministerium hatte 2,5 Millionen Euro aus Entwicklungsgeldern für die
       Aufrüstung von vier Booten der libyschen Küstenwache ausgegeben. Und Libyen
       ist nur eines von vielen afrikanischen Ländern, die sich derzeit über mehr
       Geld aus Europa freuen können.
       
       Dem Tschad etwa sagte der EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica kürzlich
       925 Millionen Euro europäischer Entwicklungshilfe bis 2021 zu – 380
       Millionen Euro mehr als zuvor geplant. Das Land ist als eines von drei
       Standorten für die geplanten europäischen Asylverfahrenszentren in Afrika
       im Gespräch. Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl glaubt, dass diese nun
       langsam näher rücken: „Es ist jetzt so viel Geld im System, es wird ernst.
       Jeder Diktator kann da jetzt mitbieten.“
       
       ## China und EU verfolgen andere Interessen in Afrika
       
       Die EU geht weiter von der irrigen Annahme aus, mehr Hilfe für den
       Kontinent bedeute weniger Migranten und setzt auch deshalb zunehmend auf
       Wirtschaftsförderung. Das Infrastrukturdefizit der subsaharischen Staaten
       mittelfristig zu beheben sei ohne die Privatwirtschaft völlig
       ausgeschlossen, sagte der Direktor der EU-eigenen Europäischen
       Investitionsbank, Werner Hoyer am Mittwoch in Brüssel.
       
       „Der öffentliche Sektor kann das nicht allein leisten.“ Die EU wird deshalb
       wohl in Abidjan den nun schon seit einem Jahr angekündigten External
       Investment Plan eröffnen – einen 4,1 Milliarden Euro schweren
       Wirtschaftsförderungsetat, der bis 2022 insgesamt 44 Milliarden Euro an
       Privatinvestitionen nach Afrika bringen sollen.
       
       Bei einem Besuch in Tunesien vor vier Wochen hatte der
       EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani gar angekündigt, für die Jahre 2020
       bis 2026 insgesamt 40 Milliarden Euro für Afrika locker zu machen – alles
       im Sinne der Partnerschaft: „Mit uns können die Afrikaner sehr gut
       zusammenarbeiten“, sagte Tajani am Mittwoch in Brüssel zu den geplanten
       Wirtschaftshilfen. „Die Chinesen hingegen wollen nur Geschäfte machen und
       Zugang zu Rohstoffen.“ Das seien „ganz andere Interessen als wir“.
       
       Denn China habe „nicht die gleiche Entfernung zu Afrika wie wir“ – und
       muss, das sprach Tajani allerdings nicht offen aus, deshalb auch nicht mit
       zunehmender Migration rechnen.
       
       28 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
 (DIR) Christian Jakob
       
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