# taz.de -- Fake-News-Kampagnen von Rechts: „Das sind gezielte Angriffe“
       
       > Extremismusforscherin Julia Ebner untersucht, wie Rechtsextreme
       > Falschinformationen im Netz verbreiten. Ein Gespräch über Chemnitz,
       > Köthen und #meTwo.
       
 (IMG) Bild: Mobilisierung von Rechts: In Chemnitz wurde der Sprung von Online nach Offline geschafft
       
       taz: Frau Ebner, rund um [1][die Ereignisse von Chemnitz] gab es jede Menge
       Fake News: [2][Via Twitter wurde ein Foto verbreitet, das angeblich die
       Chemnitz-Demos abbildete – aber tatsächlich Leipzig 1989 zeigte.] [3][Über
       einen Mann, den viele Medien beim Hitlergruß zeigten, wurde behauptet, er
       sei von Linken eingeschleust, um die Demo zu diskreditieren.] Welche
       Bedeutung haben solche Falschmeldungen für die Ereignisse von Chemnitz
       gehabt? 
       
       Julia Ebner: Ich denke schon, dass das die Stimmung mit angeheizt hat. Wir
       vom Institute for Strategic Dialogue in London beobachten die rechtsextreme
       Szene und ihr Agieren im Netz ja schon länger. Angesichts des Hasses, der
       teils richtig organisiert und geplant verbreitet wird, haben wir eigentlich
       schon länger erwartet, dass das auch offline Dimensionen annimmt. Dieses
       gezielte Anstacheln und Spalten der Gesellschaft online, das schnelle
       Reagieren rechtsextremer Netzwerke auf Vorfälle, um die dann ganz viel
       Falschinformationen verbreitet werden und anlässlich derer Hasskampagnen im
       Netz losgetreten werden – all das ist nicht neu. In Chemnitz haben wir
       jetzt aber das erste Mal gesehen, dass sich das auch sehr schnell offline
       niederschlagen kann. Diese Mobilisierung innerhalb von kürzester Zeit, das
       hat uns erschreckt. Auch in ihrer Dimension.
       
       Wie werden denn diese Falschinformationen genau gestreut? 
       
       Wir haben in den vergangenen Monaten immer stärker wahrgenommen, dass sich
       ein komplett isoliertes alternatives Informations- und Medienökosystem
       ausgebildet hat. Dazu zählen immer mehr Blogs und Webseiten, es werden aber
       auch zunehmend alternative soziale Medien jenseits von Twitter und Facebook
       genutzt. In diesen Filterblasen der Rechtsextremen werden Informationen
       verbreitet. Und um sie noch stärker zu streuen, werden in sozialen
       Netzwerken koordinierte Aktionen geplant und durchgeführt.
       
       Das heißt, dort wird verabredet, dass bestimmte Inhalte gezielt in
       populäreren sozialen Netzwerken gepusht werden? 
       
       Genau, teilweise sind das gezielte Desinformationskampagnen innerhalb
       dieser Netzwerke. Manche Nutzer legen dafür Fake-Accounts zum Beispiel in
       sozialen Netzwerken wie Twitter an. Über die werden dann Blogposts oder
       Artikel auf Webseiten aus dem alternativen Medienökosystem verbreitet, auf
       denen ungenaue oder übertriebene Informationen geteilt werden. Manche
       Meldungen sind komplett erfunden, arbeiten mit gefälschten Zitaten oder
       fotogeshoppten Bildern. Oder es werden Statistiken aus dem Kontext gerissen
       oder verzerrt.
       
       Was konnten Sie rund um [4][die Ereignisse in Köthen] online beobachten? 
       
       Köthen ist ebenfalls ein Beispiel für Onlinemobilisierung, die sich offline
       niederschlägt. In den Telegram-Kanälen rechter Gruppen werden
       Desinformation und Aufrufe zu Onlinekampagnen geteilt und logistische
       Details für die Demonstration am kommenden Sonntag koordiniert. In den
       Telegram-Kanälen unterschiedlicher rechter Gruppen wurde auch schon bei
       Chemnitz zur Teilnahme an den Protesten aufgerufen und es wurden Bilder,
       Falschinformationen und Kampagnenressourcen geteilt – jetzt sehen wir
       wieder dasselbe bei Köthen.
       
       An wen richtet sich das? An bereits überzeugte Rechtsextreme oder auch an
       neue Unterstützergruppen? 
       
       An beide Zielgruppen. In alternativen sozialen Netzwerken wie der
       Twitter-Alternative Gab.ai, die mehr oder weniger ausschließlich von
       Rechtsextremisten verwendet werden, sind eigentlich nur noch diese Medien
       präsent. Was die sogenannten Mainstreammedien berichten, wird fast nur noch
       als Lüge abgetan. Parallel dazu nutzen Rechtsextreme aber auch ganz gezielt
       Ereignisse, die der breiten Bevölkerung Angst einjagen, um ihre
       Desinformationen über die Filterblase hinaus zu streuen. Weil das für sie
       die Chance birgt, weiter in den Mainstream zu rücken. Diese strategische
       Vorgehensweise kann man auch in den Handbüchern von den österreichischen
       Identitären oder der Alt-Right nachlesen – da gibt es
       Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wie nach solchen Ereignissen das Narrativ
       und das Framing zu beeinflussen ist. Darin werden zum Beispiel Anleitungen
       zum „Infiltrieren gegnerischer Filterblasen“ oder zum Durchführen
       sogenannter Sniper-Missionen erteilt – damit sind gezielte Angriffe auf
       Accounts von politischen Gegnern oder Journalisten gemeint.
       
       Sie haben für Ihre Arbeit in abgeschlossenen Chaträumen rechtsextremer
       Trolltruppen recherchiert – zum Beispiel von „Reconquista Germanica“. Dort
       wird gezielt geplant, welche Botschaften verbreitet, welche User
       angegriffen werden. Sehen Sie Hinweise dafür, dass eine solche Kampagne
       auch in Chemnitz zum Einsatz kam? 
       
       Das ist wirklich schwer zu sagen in diesem Fall, weil der Server von
       Reconquista Germanica seit einigen Wochen nicht mehr existiert. Sie wurden
       eigentlich von allen Kanälen entfernt: von YouTube, aber auch alle
       verschlüsselten Kanäle auf der Chatplattform Discord existieren nicht mehr.
       Darum ist es schwer nachzuvollziehen, von wem diese Onlinekampagnen
       gestartet wurden und von wem auch die Offlinemobilisierung ausging.
       Überrascht hat uns bei Chemnitz, wie schnell das eine internationale
       Dimension angenommen hat: Aus Großbritannien, aber auch aus ganz Europa kam
       Verstärkung, um den Hashtag Chemnitz und die Desinformationen weiter zu
       verbreiten.
       
       Sie sehen Hinweise, dass dahinter eine konzertierte Aktion rechtsextremer
       Trolle steht? 
       
       Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so viel Koordination gab oder ob
       es in diesem Fall nicht einfach organisch passiert ist. Gerade weil es ja
       schon so ein starkes Medienökosystem gibt, lauter kleinere Seiten, die
       Falschmeldungen verbreiten, kann oft auch eine Kettenreaktion entstehen.
       Fake News werden dann einfach so immer weiter kopiert, ähnlich wie das bei
       traditionellen Medien ja auch passiert: Ein vertrauenswürdiges Medium
       berichtet etwas, andere greifen das Thema auf. Das sieht dann bei den
       alternativen Medien der Rechtsextremen mitunter organisierter aus als es
       wirklich ist.
       
       Wie viele Menschen sind in diesen rechtsextremen Trollnetzwerken aktiv? 
       
       Das variiert sehr stark. Reconquista Germanica hatte zu einem Zeitpunkt im
       Frühling 2018 10.000 Nutzer. Die meisten rechten Gruppen auf Discord und
       Telegram bewegen sich zwischen 500 und 2.000.
       
       [5][In einer Studie, die Sie über rechtsextreme Trollfabriken in
       Deutschland mitverfasst haben], heißt es, fast die Hälfte aller Likes für
       Hatespeech-Kommentare auf Facebook kämen von gerade einmal fünf Prozent
       aller Nutzer, die durch Hatespeech auffallen. Also: ein paar wenige machen
       Hass auf Facebook erst richtig laut und auffällig. Sind
       Social-Media-Debatten heute schon von Rechts unterwandert? 
       
       Auf jeden Fall. Vor allem in den Kommentarspalten – die hatten wir in der
       Studie ja untersucht. Aber auch Hashtags werden gern gekapert. Natürlich
       kann man das nicht verallgemeinern, aber bei polarisierenden Themen wie
       Migration, Terrorismus, Vergewaltigung oder Kriminalität sehen wir in den
       Social-Media-Diskursen eine sehr starke, überproportional repräsentierte
       rechte Szenebewegung. Wenn sie das will, kann sie die Richtung, in die der
       Diskurs läuft, lenken. Ganz eindeutig ist das der Fall, wenn es zu
       koordinierten Kampagnen kommt. Mittlerweile funktioniert das aber auch ohne
       Koordination. Einfach, weil die entsprechenden Accounts oft sehr viel
       aktiver sind als der durchschnittliche Nutzer.
       
       Ist #MeTwo ein Beispiel dafür? 
       
       Ja, das ist ein Beispiel, wo ein Hashtag gekapert wurde. Rechte
       Trollnetzwerke versuchen, Begriffe neu zu framen. Solidarität, Multikulti –
       diese Begriffe waren ursprünglich linksliberal und positiv geprägt. Rechte
       übernehmen sie, missbrauchen sie für ihre Zwecke. Das gelingt ihnen leider
       sehr oft.
       
       Fazit Ihrer Studie vom Frühjahr war: In sozialen Medien gelingt es
       Rechtsextremen, lauter und zahlreicher zu wirken, als sie tatsächlich sind
       und so überproportional viel Einfluss auf Mainstreamdiskurse zu erlangen.
       Warum ist es so schwer, da gegenzusteuern? 
       
       Hassrede im Netz begegnen, das stellt einen immer vor ein Dilemma.
       Desinformationen verbreiten sich sehr schnell viral, sodass jede Reaktion
       eigentlich zu spät kommt. Studien zeigen: sobald sich Falschmeldungen
       verbreitet haben, ist der Schaden schon entstanden. Selbst wenn der Fehler
       korrigiert wird, wird das weniger stark wahrgenommen – einfach, weil das
       Interesse an dem Thema bereits geschwunden ist. Hinzu kommt: Selbst wenn es
       sehr schnelle Reaktionsmechanismen gäbe, mit welchen Mitteln darf dann
       gearbeitet werden? Man will ja nicht die gleichen Methoden anwenden wie
       rechtsextreme Trolle. Bei der Identitären Bewegung gehen wir davon aus,
       dass wir am Besten mit nachhaltigeren Methoden arbeiten und aufklären
       müssen. Und zwar längerfristig.
       
       Wie kann eine funktionierende Gegenwehr aussehen 
       
       Einerseits ist schon wichtig, dass Aufrufe zu Gewalt entfernt werden. Und
       zwar nicht nur von Facebook und Twitter. Die Politik muss sich noch einmal
       genauer anschauen, welche kleineren Plattformen zum Hass im Netz
       beitragen. Dann kommt aber auch der Zivilgesellschaft eine große Rolle zu:
       Aktivisten müssen gestärkt werden. Und es muss daran gearbeitet werden,
       dass die Zivilgesellschaft resilienter wird gegenüber diesen
       Desinformations- und Hasskampagnen. Da kann in Schulen, aber auch in
       informellen Erziehungskontexten viel getan werden: mit Onlinekampagnen,
       aber auch mit Aufklärung, die die Muster von Desinformationskampagnen
       offenlegt.
       
       18 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!t5027409/
 (DIR) [2] https://twitter.com/michaelwuerz/status/1036245141290471424
 (DIR) [3] https://www.vice.com/de/article/gy374x/video-demo-chemnitz-hitlergruss-und-auslaenderhass-gefluechtete
 (DIR) [4] /!5534278/
 (DIR) [5] https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2018/07/ISD_Ich_Bin_Hier_2.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
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