# taz.de -- Autor über Filmdiva Soad Hosny: „Eine ägyptische Cinderella“
       
       > Schriftsteller Najem Wali hat einen Roman über Ägyptens Filmdiva Soad
       > Hosny geschrieben. Sie wollte ihre Memoiren schreiben, doch stürzte vom
       > Balkon.
       
 (IMG) Bild: Autor Wali: „Soad Hosny war für viele hochrangige Militärs und Geheimdienstleute eine Bedrohung“
       
       taz am wochenende: Herr Wali, Sie kommen gerade aus Spanien zurück, ich
       nehme an von einer Lesung?
       
       Najem Wali: Nein, das war eine Urlaubsreise. Der Lockdown dauerte sehr
       lange. Aber jetzt bin ich geimpft und war in Cádiz. Kurz bevor mein neuer
       Roman erscheint, danach werde ich kaum freie Zeit mehr haben. Jetzt geht es
       ja wieder richtig los.
       
       Die Zeit der Videoveranstaltungen ist vorbei? 
       
       Teilweise. Gerade habe ich noch per Video an einer Veranstaltung in
       Frankfurt am Main teilgenommen. Zuvor war ich schon einige Tage bei einer
       Modell-Veranstaltung im Münsterland. Meine erste Live-Veranstaltung seit
       Corona. Fünf Schriftsteller waren eingeladen, fünf Tage lang die Gegend zu
       erkunden, über „Heimat“ nachzudenken und dem Publikum dazu einen Text
       vorzustellen.
       
       Und, sind Sie in Münster gleich heimisch geworden? 
       
       Tatsächlich ein wenig. Die Region ist nicht weit weg von Paderborn. Und
       Paderborn war nach Berlin die erste westdeutsche Stadt, die ich nach meiner
       Flucht aus Irak 1980 besucht habe. Ich hatte dort einen Freund und
       überlegte, dort zu studieren. Für meinem Asylantrag musste ich dann auch
       nach Hamm.
       
       Sie haben wegen des Saddam-Regimes 1980 den Irak verlassen? 
       
       Ich wollte nicht in den Krieg gegen den Iran ziehen und hatte in Bagdad
       schon acht Semester studiert. Ich hatte auch zwei Jahre Militärdienst
       geleistet und wollte frei leben. Nach der Flucht war ich zunächst fünf Tage
       in Berlin. Von Paderborn wollte ich weiter nach Paris. In der
       Bundesrepublik durfte ich nicht gleich studieren, ich musste erst einen
       Asylantrag stellen. Nach vielen Verhören, zuletzt in Bergkamen, bekam ich
       Asyl. Seit 1990 habe ich den deutschen Pass und kann mich frei bewegen. Ich
       schreibe aber nach wie vor auf Arabisch.
       
       Sie waren sicherlich öfters in Kairo als in Münster, Kairo ist ja
       Ausgangspunkt Ihres aktuellen Romans? 
       
       Zum ersten Mal war ich 1993 in Kairo. Sechs Monate lang. Damals schrieb ich
       an der Uni Hamburg meine Doktorarbeit. Ich habe in der ägyptischen
       Nationalbibliothek recherchiert. Damit begann meine Liebe zu Kairo. Ich war
       seitdem fast jedes Jahr da.
       
       Was reizt den im Berliner Exil lebenden irakisch-deutschen Schriftsteller
       an der ägyptischen Metropole? 
       
       Das ist nicht einfach zu sagen. Kairo ist ein Moloch mit über zwanzig
       Millionen Einwohnern. Und es ist das kulturelle Zentrum der arabischen
       Welt. Die Stadt war in vielen Dingen Vorreiter im arabischen Raum, gerade
       bei Kunst und Kultur. Die Ägypter haben früh eine eigene Film- und
       Fernsehproduktion entwickelt. Sie begannen in den 1940er Jahren
       Hollywood-Filme nachzudrehen, haben sie arabisiert, ägyptisiert. Tolle
       Schwarz-Weiß-Produktionen. Ägypten strahlte immer auf die ganze Region aus.
       
       In Ihrem neuen Roman „Soad und das Militär“ verbinden Sie eine Geschichte
       aus der Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Gegenwart, warum? 
       
       Das Thema Militär beschäftigt uns in der Region und mich schon seit meinem
       ersten Roman, „Krieg im Vergnügungsviertel“. Egal wo, sie regieren
       permanent. Die Militärs in Ägypten oder Irak kamen im Namen von nationaler
       Unabhängigkeit und Befreiung an die Macht. Sie gaben sie seither nie mehr
       freiwillig ab. Sie haben Königreiche wie in Ägypten gestürzt. Doch mit dem
       Versprechen von Freiheit und Wohlstand für alle wurde es nichts. Es war ein
       Betrug. 1952 putschten die Militärs in Ägypten. Bis heute kontrollieren sie
       mit ihren Geheimdiensten das gesellschaftliche Leben und die wichtigen
       Zweige der Wirtschaft. Diesen Juli werden es 69 Jahre sein! Ihr ganzer
       Patriotismus dient nur dazu, von Misswirtschaft und fehlender Demokratie
       abzulenken.
       
       1952, das war Gamal Abdel Nasser? 
       
       Ja, die Offiziersclique um ihn. Aber es geht mir weniger um das Militär als
       um Macht und Abhängigkeit. Meine Hauptfigur ist eine Künstlerin, eine
       ägyptische Filmdiva, die missbraucht und deren Existenz am Ende von den
       Mächtigen zerstört wird.
       
       Hat diese Figur der Filmdiva Soad reale historische Bezüge oder ist sie
       eine rein literarische Erfindung? 
       
       Soad Hosny existierte. Sie war eine sehr bekannte Frau. Sängerin, aber noch
       berühmter als Schauspielerin. Die „Cinderella“ des ägyptischen Kinos.
       Geboren 1943 in Kairo, starb sie Juni 2001 in London. Sie fiel vom Balkon
       einer Wohnung aus dem sechsten Stock des Stuart Towers. Sie hatte
       angekündigt, ihre Memoiren schreiben zu wollen. Das musste für viele
       hochrangige ägyptische Militärs und Geheimdienstleute als Bedrohung
       klingen. Laut Scotland Yard war es Selbstmord oder ein Unfall. Aber viele
       glauben, es war Mord.
       
       Ihre Memoiren hat Soad Hosny selbst also nicht mehr geschrieben? 
       
       Nein, ich habe mir vorgestellt, was sie sich wohl für Notizen in ihren
       Tagebüchern gemacht hätte. Ich habe recherchiert, aber die Hefte, aus denen
       ich für den Roman zitiere, sie sind fiktiv.
       
       2001 der Tod in London, 2011 der Arabische Frühling und der Sturz des
       Mubarak-Regimes in Kairo, dort soll man auf dem Tahrir-Platz Lieder von ihr
       gesungen haben? 
       
       Anfang der 1990er hatte sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, sie
       war krank. Aber sie blieb als Figur weiter in den Herzen der Menschen
       präsent. Ich habe sie nur einmal live getroffen, aber sie bedeutete mir
       viel. Und da waren immer schon diese Gerüchte, über den Geheimdienst, der
       sie benutzt und erpresst haben soll.
       
       Inwiefern? 
       
       Wie ich es in der Erzählung schildere: Als Mädchen musste sie für König
       Faruq singen. Ihr Vater verdiente daran. Später wurde sie von
       nationalistischen Militärs und Agenten Nassers für ihre Zwecke missbraucht.
       Sie soll mit heimlich gefilmten pornografischen Aufnahmen erpresst worden
       sein. Eine wohl gängige Praxis in Ägypten. Auch die Offiziere in meinem
       Buch sind real existierenden Personen nachempfunden.
       
       Soad Hosny schildern Sie als eine Projektion männlicher Begierden. Das
       könnte man auch als leicht klischeehaft interpretieren? 
       
       Ich hoffe nicht. Ich habe versucht, das gesellschaftliche Gefüge
       wiederzugeben. Soad musste als Sechsjährige vor dem König auftreten. Sie
       trug ein Lied vor, indem sie davon singt, wie schön sie, Soad, selber ist.
       Also keines, in dem sie den König preist, sondern sich selber. Die Militärs
       waren von ihr so beeindruckt, dass sie auch nach dem Sturz Faruqs weiter
       auf Soad setzten. Ein talentiertes, einfaches und hübsches Kind aus dem
       Volke. Sie wurde schnell sehr populär. Später haben sie sie ziemlich sicher
       zum Lockvogel, zur Informantin aufgebaut und erpresst. Aber wie gesagt, wir
       sprechen von einem Roman. Vieles scheint naheliegend, doch bleibt es auch
       spekulativ.
       
       Der ägyptische Diktator Gamal Abdel Nasser war ein glühender Panarabist,
       träumte von einem arabischen Großreich unter seiner Führung. Kannte er Soad
       persönlich? 
       
       Natürlich. Und die meisten Künstler haben ihn verehrt. Und Nasser hat diese
       Künstler unterstützt.
       
       Nasser pflegte auch eine ausgesprochene Israelfeindschaft. 
       
       Ja, aber er war eher ein Anhänger vom russischen Modell: Planwirtschaft,
       Bürokratie, Fünfjahresplan. Er installierte eine „sozialistische“
       Einheitspartei und eine Militärregierung mit sich an der Spitze. Politisch
       sah er sich bei den blockfreien Staaten, bei Tito und Jugoslawien. Nasser
       war ein patriarchaler Angeber. Panzerparaden waren ihm sehr wichtig. Die
       Juden wollte er alle ins Meer treiben. Doch nach der Niederlage im
       Sechstagekrieg gegen Israel 1967 haben die Menschen gesehen, wie schwach
       das ägyptische Militär wirklich ist. Ein Faschist, im Sinne der deutschen
       Nationalsozialisten, war Nasser aber nicht. Das war Saddam im Irak, weshalb
       Saddam auch viel schlimmer als Nasser war.
       
       Wir erlebten gerade den jüngsten Angriff extremistischer Palästinenser von
       der Hamas auf Israel. Sie selber gehören zu den wenigen namhaften
       arabischen Schriftstellern, die sich trauen, nach Israel zu reisen und den
       kulturellen Austausch zu pflegen. Was für Erfahrungen machen Sie dabei? 
       
       Es ist nicht ungefährlich, sich für den Frieden einzusetzen. Für eine
       Normalisierung, darüber habe ich [1][Anfang dieses Jahres einen Artikel in
       der FAZ] geschrieben. Es geht um einen echten kulturellen Austausch und
       eine Anerkennung, um diesen alten Feindschaften zu überwinden. Juden und
       Moslems haben kein Problem miteinander. Es sind die Hetzer dahinter, die
       Regime. Ich bin nach Israel gereist und habe darüber ein Buch verfasst,
       „Reise in das Herz des Feindes“. Es ist interessant zu sehen, dass dieses
       kleine Land so gut organisiert ist und in jeder Beziehung einer Diktatur
       wie etwa der von Assad in Syrien überlegen ist. Ägypten oder Irak haben
       eine so lange Geschichte. Aber heute keinen funktionierenden, annähernd
       demokratischen Staat. Der Irak war einmal ein kosmopolitisches Land. Davon
       erzähle ich in dem Roman „Engel des Südens“. Die Baath-Partei hat in Irak
       die Minderheiten unterdrückt, die Juden vertrieben und das Land zugrunde
       gerichtet. Wenn du solche Sachen sagst, anstatt auf den Westen und Israel
       zu schimpfen, bist du aber für viele der Verräter.
       
       Ihr Roman verbindet das postkolonialen Setting der 1950er Jahre mit dem
       Kairo von heute. Vieles spielt sich in den kosmopolitischen Cafés und Bars
       der Stadt ab. Hinter mit Brettern zugenagelten Fenstern in der Kairoer
       Innenstadt feiern ausländische und einheimische Bohemiens zusammen. Wie
       real sind solche Orte? 
       
       Es gibt sie tatsächlich. Zum Beispiel das Café El Horryia (auf Deutsch:
       „Freiheit“). Es liegt [2][im Zentrum nahe dem Tahrir-Platz] und ist genau
       so, wie ich es in dem Roman beschreibe.
       
       Wie kommt „Soad und das Militär“ bislang im Arabischen an? 
       
       Das Buch ist in Beirut und Bagdad erschienen. Jetzt ist die zweite Auflage
       da und so langsam erreicht es Ägypten. Das wird nicht allen gefallen. Mal
       sehen. Ende Juni ist die Buchmesse in Kairo. Mein Verlag wird das Buch dort
       ausstellen. Mein Verleger hat Angst. Es gibt Gerüchte, dass der Roman auf
       dem Index steht und von der Messe beschlagnahmt wird. Viele Probleme, die
       wir heute in der arabischen Welt haben, sind ein Produkt der eigenen
       postkolonialen Regime. Der Militärs, die nie die Macht abgegeben haben. Wie
       zynisch diese Mächte sein können, das wollte ich an der Figur der Soad
       zeigen.
       
       19 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Arabischer-Fruehling/!5748610
 (DIR) [2] /Clubkultur-in-Kairo/!5066613
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kairo
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Roman
 (DIR) Literatur
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Naher Osten
 (DIR) Postkolonialismus
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Islam
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Terroranschlag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Najem Walis Roman „Stadt der Klingen“: Wahrheit ohne Chance auf Erfolg
       
       In seinem Roman erzählt Najem Wali von Flucht, Liebe und alteingesessenen
       Solinger Familien. „Stadt der Klingen“ bleibt im Gedächtnis.
       
 (DIR) Ägypten auf der Suche nach seiner Kultur: Lokführer dringend gesucht
       
       Vor zehn Jahren intervenierte das Militär. Ein Besuch der New Capital, der
       Grün Fete de la Musique in Kairo und bei Künstler Mohamed Abla in Fayyoum.
       
 (DIR) Interview mit Schriftsteller Najem Wali: Gabbai wollte nie nach Israel
       
       Ein neues Gesetz in Irak will Kontakte mit Israelis verbieten. Sogar die
       Todesstrafe droht. Autor Najem Wali reiste dennoch gerade nach Israel.
       
 (DIR) Buch über muslimische Vielfalt: Ritt durch die Islamwelten
       
       In „Allahs Karawane“ durchstreift die Ethnologin Susanne Schröter die
       Vielfalt muslimischer Gesellschaften. Liberale Spielarten sieht sie
       bedroht.
       
 (DIR) Graphic Novel „Der Araber von morgen“: Multikultur für Anfänger
       
       Riad Sattouf erzählt eine Kindheit zwischen Europa und dem Nahen Osten –
       mit subversivem Witz gegen Antisemitismus und das Patriarchat
       
 (DIR) Arabischer Frühling: Eigentümlich ironiefrei
       
       Kitschige Prosa und affektierte Figuren. Der ägyptische Schriftsteller Alaa
       al-Aswani holt in seinem neuen Roman weit aus.
       
 (DIR) Terrorangriffe gegen das Leben: Paris, Brüssel, Bagdad, Nizza
       
       Die Anschläge trafen Orte, an denen junge Leute und Familien das Leben
       feiern. Der Wahhabismus sollte auf die Terrorliste der UN gesetzt werden.