# taz.de -- Arp Museum „Maestras“: Vergessene aus vier Jahrhunderten
       
       > Das Arp Museum Rolandseck feiert 51 Künstlerinnen in der Ausstellung
       > „Maestras“. Besonders in Italien genossen Frauen in der Kunst früh hohe
       > Achtung.
       
 (IMG) Bild: In der Loge (1904-1907) von Helene Funke (Ausschnitt)
       
       Gibt es Fortschritt in der Kunst? Eine schwierige Frage. Und hinsichtlich
       der puren Ästhetik sogar eine müßige. Die Frage nach dem Fortschritt führt
       ohnehin schnurstracks zu Fragen der Geschichtsschreibung, zu Bewertung und
       Vergessen. Wusste doch schon [1][Walter Benjamin, dass das, was der
       Historismus] als Geschichte begreift, eben immer eine der Sieger sei und
       Geschichtsschreibung Ausdruck einer Herrschaftsgenese.
       
       Solche Überlegungen schwirren durch den Kopf, wenn man im Arp Museum
       Rolandseck durch die Ausstellung „Maestras“ flaniert. Denn das Flanieren
       lässt hier wie nur selten in chronologisch organisierten Ausstellungen
       sinnlich erfahren, wie die Geschichte der Frauen in der Kunst alles andere
       als linear verlief.
       
       Künstlerinnen erlebten vielmehr erstaunlich früh goldene Zeiten, besonders
       in Italien genossen sie hohe Achtung, bevor gesellschaftspolitische
       Umbrüche für die Freiheit der Frauen harte Rückschläge zur Folge hatten.
       Zumal sie durch die erst im 19. Jahrhundert einsetzende akademische
       Kunstgeschichtsschreibung zu Opfern einer kollektiven Amnesie wurden, denn
       die männlich dominierte Kunstgeschichte vergaß sie systematisch.
       
       Es beginnt mit dem Kapitel „Licht und Schatten – 1200 bis 1700“, das im
       Untertitel „Ora et labora“ (bete und arbeite), das Lebensmotto der Klöster
       aufgreift, die Frauen kreative Spielräume boten. Die ältesten Arbeiten
       stammen aus den Werkstätten von Hildegard von Bingen und Gisela von
       Kerssenbrock, kunstvolle Buchillustrationen, die damals erstmals auch
       signiert wurden.
       
       ## Spätes 16. Jahrhundert
       
       Es folgt in der Renaissance die erste Blüte der „Maestras“, wie sie damals
       schon genannt wurden, Malerinnen, die vor allem in Italien gefeiert wurden.
       Bemerkenswert sind die realistisch ungeschönten Frauenporträts der
       Schwestern Sofonisba und Europa Anguissola aus dem späten 16. Jahrhundert.
       Wesentlich bekannter dagegen ist schon seit einiger Zeit die Barockmalerin
       [2][Artemisia Gentileschi], unter deren herausforderndem Zitat „Ich werde
       Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist“ Judith-Darstellungen der
       Malerinnen [3][Lavinia Fontana] und Fede Galizia hängen.
       
       Die nicht zufällig damals unter Künstlerinnen beliebte blutige Szene aus
       dem Alten Testament, in der Judith den Belagerer Holofernes enthauptet und
       damit ihre Stadt rettet, darf man programmatisch lesen. Die Bologneser
       Malerin Fontana, die sich als Judith möglicherweise selbst porträtierte,
       war eine Netzwerkerin und clevere Geschäftsfrau.
       
       Sie übernahm die Malerwerkstatt ihres Vaters und ließ sich per Ehevertrag
       zusichern, dass ihr Mann für die gemeinsamen elf Kinder und den Haushalt
       zuständig war und sie fürs Geschäft. Im 18. Jahrhundert änderten sich die
       Verhältnisse, mit bekannten Namen wie Mary Beale, [4][Rosalba Carriera] und
       Angelika Kauffmann nähert sich die Schau der Zeit der Aufklärung.
       
       ## Maria Theresia und Zarin Katharina II.
       
       Bemerkenswert hier die nach wie vor weniger bekannten Künstlerinnen wie
       Anna Dorothea Therbusch, deren sachliches Selbstporträt mit Monokel
       heraussticht. Regentinnen wie Maria Theresia und Zarin Katharina II. waren
       zu dieser Zeit an der Macht, Mäzeninnen förderten gezielt Künstlerinnen.
       
       Doch mit dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts war es vorbei mit den
       Malerinnen, die Mythologisches und kühne Selbstporträts malten. Ein
       Umbruch, durch den Künstlerinnen gezwungenermaßen ihre Sujets wechselten:
       Malerinnen wie Mary Cassatt und Marie Louise Petiet thematisierten das
       häusliche Leben, malten stillende Mütter, aber nicht mit weichzeichnender
       oder sakraler Verklärung, sondern direkt, unverstellt und mit virtuosem
       Handwerk impressionistischer Malkunst.
       
       Rasch folgten Künstlerinnen, die ihren Blick weiteten, wie die Malerin und
       Aktivistin Annie Louisa Swynnerton, das erste weibliche Mitglied [5][der
       1768 gegründeten Royal Academy in London], ihre „Genesende“ zeigt eine
       symbolistisch überhöht dargestellte, erschöpfte Arbeiterin.
       
       Auch in Frankreich wurde der Blick realistisch, wie das wunderbare
       Querformat „Die Wäscherinnen“ von Marie-Louise Petiet unterstreicht. Mit
       Beginn des 20. Jahrhunderts setzt spürbare Beschleunigung ein, zur Pariser
       Boheme gehört Suzanne Valodon, Tochter einer Wäscherin mit von der Moderne
       geprägtem, sehr eigenständigem Stil. Auf ihrem Bild „Marie Coca und ihre
       Tochter Gilberte“ geht der Blick der unbeteiligt wirkenden Mutter ins
       Leere, während die Tochter ernst und unverwandt aus dem Bild herausblickt.
       
       ## Modersohn-Becker und Kollwitz
       
       Die Schau streift dann Berühmtheiten wie Paula Modersohn-Becker und Käthe
       Kollwitz. Interessanter aber sind die Wiederentdeckungen, wie die Schweizer
       Künstlerin Alice Bailly, deren unsterblicher Satz „Kunst ist keine
       Angelegenheit von Rock oder Hose“ als Überschrift der ganzen Ausstellung
       gelten könnte. Zu sehen ist ihre kubistische Arbeit „Der Tee“, in der vier
       Frauen mit neun Armen sich mit zahllosen Tassen beschäftigen und eine
       furiose Dynamik entfesseln.
       
       20 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neues-Buch-von-Leonhard-Horowski/!5386299
 (DIR) [2] /Brisante-Artemisia-Gentileschi-Biografie/!5983731
 (DIR) [3] /Vergessene-Kuenstlerinnen/!5922424
 (DIR) [4] /Ausstellung-der-Malerei-Rosalba-Carrieras/!5941713
 (DIR) [5] /Kunst-und-Kolonialismus-in-London/!6002805
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Regine Müller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Museum
 (DIR) Künstlerinnen
 (DIR) Kunstgeschichte
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Paula Modersohn-Becker
 (DIR) Frauenbild
 (DIR) Frauenrolle
 (DIR) Kunst
 (DIR) Bildende Kunst
 (DIR) Künstlerin
 (DIR) Kunst
 (DIR) Moderne
 (DIR) Körper in der Kunst
 (DIR) Malerei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ausstellung über Dada-Künstlerinnen: Die Falle des Flüchtigen
       
       Viele Protagonistinnen des Dadaismus sind heute vergessen. „der die Dada.
       Unordnung der Geschlechter“ im Arp Museum Remagen stellt sie vor.
       
 (DIR) Retrospektive für Ulla Wiggen: Die Schaltpläne ihres Geistes
       
       Sie entwarf eigensinnige Tech-Welten, heute malt Ulla Wiggen
       melancholisch-sachliche Körperbilder. In Kassel wird ihre erste
       Retrospektive gezeigt.
       
 (DIR) Wiederentdeckte Malerin Julie Wolfthorn: Freude entspannt
       
       Der Verein der Berliner Künstlerinnen erinnert an die jüdische Künstlerin
       Julie Wolfthorn. Im Fin de Siècle war sie eine geschätzte Porträtmalerin.
       
 (DIR) Sexy Scherenschnitte: Lustvolle Überblendung der Blicke
       
       Die Frankfurter Künstlerin Sonja Yakovleva macht Scherenschnitte der
       besonderen Art. Jetzt liegen die Bilder auch in Buchform vor.
       
 (DIR) Schau über Anfänge der modernen Malerei: Von der Lupe zum Wow
       
       Eine Kölner Ausstellung über den Salon de Paris präsentiert die Erzählung
       vom Urknall der Moderne in der Kunst. Das ist eine widersprüchliche
       Angelegenheit.
       
 (DIR) Gender und die Kunst der Vormoderne: Ob der Bart wohl männlich ist
       
       Eine Schau im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel befragt Alte Meister nach
       ihrer Darstellung von Geschlechtlichkeit. Die kann überraschend fluide
       sein.
       
 (DIR) Brisante Artemisia-Gentileschi-Biografie: Pin-up-Girls des 17. Jahrhunderts
       
       Kunsthistorikerin Susanna Partsch stellt das populäre Narrativ der
       Barockmalerin Artemisia Gentileschi als sich emanzipierendes Opfer triftig
       infrage.