# taz.de -- Wiederentdeckte Malerin Julie Wolfthorn: Freude entspannt
       
       > Der Verein der Berliner Künstlerinnen erinnert an die jüdische Künstlerin
       > Julie Wolfthorn. Im Fin de Siècle war sie eine geschätzte Porträtmalerin.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus Julie Wolfthorn, Vier Mädchen auf Waldboden, um 1907, Öl auf Leinwand, 57 x 46 cm, Leihgabe aus einer Privatsammlung
       
       Die Geschichte der Malerin Julie Wolfthorn könnte erzählt werden als die
       einer erfolgreichen Künstlerin in Zeiten, in denen Frauen auf dem
       Kunstmarkt noch äußerst selten waren. Geboren 1864 in Westpreußen,
       aufgewachsen als Waise bei ihrer Großmutter in Berlin, hatte sie, obwohl
       Frauen auf den Kunstakademien noch nicht zugelassen waren, in Deutschland,
       in München und Paris auf privaten Akademien gelernt. In den späten 1890er
       Jahren war sie eine gefragte Porträtistin in Berlin, die Künstlerinnen und
       Künstler, intellektuelle und selbstbewusste Frauen und Männer malte.
       
       Ihre Popularität bis in die späten 1920er Jahre belegen viele Arbeiten für
       Magazine, Titelbilder der Zeitschrift Jugend und Der Junggeselle, Beiträge
       in Westermanns Monatshefte über die „Modernen Frauentypen“ und auch viele
       nach ihren Motiven gedruckte Postkarten.
       
       Das alles kann man jetzt sehen in einer Ausstellung [1][des Vereins der
       Berliner Künstlerinnen 1867 e. V.], in dessen Räumen in der Eisenacher
       Straße 118. Julie Wolfthorn gehörte dem Verein seit 1898 an; im selben Jahr
       hatte sie auch mit [2][Max Liebermann] und weiteren Künstlern die Berliner
       Secession mitbegründet. Sie setzte sich für die Belange der Künstlerinnen
       auch noch in weiteren Bündnissen ein, oft im Vorstand. Ein Role Model also
       für die Vernetzung, die Frauen besonders untereinander brauchen, um sich in
       einem männerdominierten System durchzusetzen.
       
       ## Eine erfolgreiche Frau, dennoch lange vergessen
       
       Und dennoch gehörte diese Künstlerin lange zu den Vergessenen, bis der
       [3][Verein der Berliner Künstlerinnen Anfang der 1990er Jahre] seine
       Nachforschungen über frühere Mitglieder begann. Die Kunsthistorikerin Heike
       Carstensen recherchierte, was von Wolfthorn geblieben war, und schrieb 2011
       ihre Dissertation über sie. Sie ist jetzt die Kuratorin der Ausstellung
       „Julie Wolfthorn zurück in Berlin“.
       
       Wolfthorns langes Leben endete tragisch. Als Angehörige einer jüdischen
       Familie erfuhr sie in den 1930er Jahren den Ausschluss aus Kunstverbänden
       und erhielt keine Aufträge mehr. Mit ihrer Schwester Luise, mit der sie
       lange im Berliner Tiergartenviertel gelebt hatte, wurde sie 1942 nach
       Theresienstadt deportiert. Dort wurden sie und ihre Schwester ermordet.
       
       Als Heike Carstensen zu recherchieren begann, waren nur wenige Bilder von
       Julie Wolfthorn auffindbar, das meiste verschollen. Inzwischen sind mehr
       Bilder wieder bekannt, die teilweise von ihren jüdischen Eigentümern mit in
       die Emigration genommen worden waren. Die Ausstellung im Verein der
       Berliner Künstlerinnen jetzt wurde nur durch private Leihgaben möglich.
       
       ## Freundinnen, Vertraute, Modelle, Auftraggeberinnen
       
       Um 1900 entstand das Bild „Besuch“ in dunklen Tönen. Zwei jungen Frauen,
       den Hut noch auf, sind einander im Gespräch zugewandt. Die Atmosphäre ist
       vertraut, in den Farben sind sie geborgen. Gemalt hat Julie Wolfthorn hier
       ihre Schwester Luise, die als Übersetzerin gearbeitet hat, und die
       befreundete Malerin Adele von Finck. Mit ihr hatte sie in Paris studiert,
       mit ihr war sie zweimal in Rom als Malerin. Frauen als Freundinnen, als
       Vertraute, als Modelle und als Auftraggeberinnen spielten bei Wolfthorn
       eine wichtige Rolle.
       
       Ihre malerischen Anfänge sind dem Impressionismus nahe. Sehr schön zu sehen
       an einer Szene von kleinen Mädchen, wahrscheinlich die Töchter einer
       Cousine, die auf einem Waldboden zwischen Lichtflecken spielen, von 1907.
       Oder in einer Studie, die den Blick auf einen Teich mit Lichtspiegelungen
       in breiten Pinselstrichen zeigt.
       
       Ihre Landschaften erscheinen uns heute malerisch oft moderner als einige
       der Porträts. Wie etwa das von der Schauspielerin Carola Neher als
       „gefallener Engel“, ein Aquarell von 1929, das den Betrachtenden etwas zu
       lieblich und plakativ anspricht. Auffällig ist aber, dass Wolfthorn ihren
       Stil variiert, je nachdem, wem oder was sie sich widmet.
       
       In den Motiven, die zu Titelblättern der Zeitschriften wurden, findet man
       oft das Linienspiel des Jugendstil. Dazu gehört das Bild einer „Rothaarigen
       Frau“, der das rote Haar über die bleiche Schulter fällt und die die
       Betrachter doch recht amüsiert anlächelt, sich ihrer Attraktivität bewusst.
       Das Motiv war 1924 Titelblatt der Zeitschrift Der Junggeselle. Das Bild
       selbst, das jetzt ausgestellt ist, tauchte erst 2022 wieder [4][im
       Kunsthandel] auf.
       
       Ist es zunächst die Biografie einer vergessenen Künstlerin, die das
       Interesse an Julie Wolfthorn weckt, so lernt man in der Ausstellung aber
       bald die Malerin schätzen. Ihre Landschaften, zum Beispiel von einem
       kleinen Hafen in Holland, übertragen etwas von der Freude an der
       Entspannung, die sie selbst dort suchte. Auf einer Karte schrieb sie von
       dort 1908 an ihre Freundin Ida Dehmel, durchaus selbstironisch und mondän:
       „… so ziehe ich mit einem kl. rotlackierten Sportwagen umher u. spoil every
       day another canvas. Das ist erholsam für Auge und Seele nach so vielen
       Porträts, die da hinter mir liegen.“ Heike Carstensen hat das in einem
       ihrer Publikationen über Wolfthorn zitiert. So kommt man über die Bilder
       der Person der Malerin nahe.
       
       6 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.vdbk1867.de/
 (DIR) [2] /Ausstellung-in-der-Alten-Nationalgalerie/!5957110
 (DIR) [3] /Verein-der-Berliner-Kuenstlerinnen/!5473690
 (DIR) [4] /Kunsthaendlerin-der-Moderne/!5966066
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Künstlerin
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Biografie
 (DIR) Berlin
 (DIR) Holocaust
 (DIR) Museum
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Arp Museum „Maestras“: Vergessene aus vier Jahrhunderten
       
       Das Arp Museum Rolandseck feiert 51 Künstlerinnen in der Ausstellung
       „Maestras“. Besonders in Italien genossen Frauen in der Kunst früh hohe
       Achtung.
       
 (DIR) Die fehlenden Frauen der Kunstgeschichte: Die ewige Muse?
       
       Das Bucerius Kunst Forum Hamburg zeigt Künstlerinnen von der Renaissance
       bis zum Klassizismus, die von der Kunstwelt lange vergessen wurden.
       
 (DIR) Künstlerinnen in Museen: Revision einer Sehschwäche
       
       Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ in Berlin zeigt das Fördern und
       Vergessen von Künstlerinnen. Ein nach wie vor aktuelles Thema.