# taz.de -- Skulptur für KZ-Überlebenden: Ein Mahner auch nach dem Tod
       
       > In Chemnitz soll eine Skulptur von Justin Sonder errichtet werden. Der
       > ehemalige KZ-Häftling leistete sein ganzes Leben lang Erinnerungsarbeit.
       
 (IMG) Bild: Justin Sonder 2016 als Zeuge beim Prozess gegen einen 94-jährigen Auschwitz-Wachmann in Detmold
       
       [1][Justin Sonder] soll wieder dort sitzen, wo alles begonnen hat. Auf
       einer Bank vor der früheren jüdischen Grundschule in [2][Chemnitz]. Nein,
       man wird sich mit ihm nicht mehr unterhalten können. Sonder ist im November
       2020 im Alter von 95 Jahren verstorben. Aber ja, man kann sich gerne zu der
       lebensgroßen Bronzefigur setzen. Und darüber nachdenken, welche Fragen
       Justin Sonder sein halbes Leben lang bewegt haben: Wie konnte die
       Nazibarbarei geschehen? Und was kann ich persönlich tun, damit dies oder
       Ähnliches nicht noch einmal geschieht?
       
       Eine „besonders beeindruckende Figur“, so nennt [3][Christoph Heubner, der
       Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees], Justin Sonder. Er
       will mit der Skulptur ein Zeichen setzen, gerade in Chemnitz, dieser als
       Hochburg von Neonazis verrufenen Stadt, die doch 2025 zur Kulturhauptstadt
       Europas gekürt werden wird. „Die Nazis sollen nicht das letzte Wort
       behalten“, sagt Heubner. Es käme überhaupt nicht infrage, ihnen den
       öffentlichen Raum zu überlassen. Wer aber wäre in Chemnitz geeigneter, an
       die furchtbare Vergangenheit zu erinnern, als Justin Sonder?
       
       Als junger Jude war Sonder [4][nach Auschwitz deportiert worden]. Als einer
       von sehr wenigen überlebte er die Torturen, befreit im Frühjahr 1945 auf
       einem Todesmarsch in der Oberpfalz. Als einer von nur wenigen kehrte er in
       die spätere DDR zurück, in seine Heimatstadt Chemnitz. Er wurde Beamter bei
       der Kripo, bekannte sich mit SED-Parteibuch zum Sozialismus. Um die Stasi
       habe er allerdings immer einen großen Bogen gemacht, erzählte er. Aus der
       winzigen jüdischen Gemeinde trat er aus.
       
       ## Als Zeuge vor Gericht
       
       Doch die Vergangenheit kehrte zurück. Im September 1987 steht Henry
       Schmidt, der frühere Judenreferent der Dresdner Gestapo, in der DDR vor
       Gericht. Als einer der Zeugen tritt Justin Sonder auf, der von Schmidt
       deportiert worden war – als Jude, nicht als Kommunist.
       
       Nach der Wende beginnt Justin Sonders zweites Leben als Mahner und
       Zeitzeuge. Der Rentner wird über fast drei Jahrzehnte lang nicht müde, vor
       Schulklassen aufzutreten und immer wieder seine Geschichte zu erzählen.
       Noch als 90-Jähriger mutet sich der kleine, zierliche Mann einen Auftritt
       als Nebenkläger gegen den SS-Mann Reinhold Hanning zu, der 2016 in Detmold
       vor Gericht steht.
       
       Justin Sonder war 17, als er mit einem Sammeltransport Auschwitz
       erreichte. „In der Nacht zum 3. März 1943 hielt der Zug an einer
       schneebedeckten weißen Fläche. Alles war taghell beleuchtet. ‚Raus, raus‘,
       riefen die Wachen. Die Kinder schrien nach ihrer Mama“, so erinnerte er
       sich als Zeuge in dem Verfahren. Sonder berichtete von der ersten
       miterlebten Selektion in Auschwitz, der noch 16 weitere Selektionen folgen
       sollten.
       
       Die Gefangenen hätten sich in einer Reihe aufstellen müssen, berichtete er.
       Die SS fragte jeden nach Alter und Beruf. „Ich habe mitbekommen, dass, wenn
       einer sagte, er sei Gärtner, er nach rechts geschickt wurde. Bei einem
       Maurer nach links. Ich ging vor: ‚17 Jahre, Monteur‘.“ Sonder wird nach
       links geschickt. Er durfte weiterleben, vorläufig, als Arbeitssklave in
       Auschwitz III Monowitz, Block 10.
       
       ## Es ist nie zu spät
       
       Ergibt es überhaupt Sinn, einen Greis mehr als 70 Jahre nach der
       mutmaßlichen Tat noch vor Gericht zu stellen, habe ich Sonder damals nach
       dem Verhandlungstag gefragt. „Es ist noch nicht zu spät. Es spricht aus
       meinem Herzen, dass ein solches Verfahren durchgeführt wird“, lautete seine
       Antwort.
       
       Die Bildhauerin Julia Kausch aus Rostock wird nun die Justin-Sonder-Figur
       schaffen. „Was habe ich erreicht?“ Diese Frage, die sich Sonder immer
       wieder gestellt hat, soll auch in dem Denkmal wiederholt werden, sagt
       Christoph Heubner vom Auschwitz-Komitee. Die Stadt Chemnitz und ihr
       Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) unterstützen das Projekt. Sonders
       Tochter Kerstin Claus äußerte sich begeistert: „Das Projekt stellt meinen
       Vater nicht auf einen Sockel, sondern er sitzt ruhig da und hört Besuchern
       zu.“
       
       Aber ist die Gefahr nicht viel zu groß, dass Judenhasser die Skulptur mit
       antisemitischen Schmierereien beschädigen? „Das müssen wir riskieren“, sagt
       Heubner dazu. Gefeit vor Antisemitismus seien sie nicht. Man habe mit den
       Betreibern des jüdischen Restaurants Schalom in Chemnitz verabredet, dass
       sie öfter mal nach dem Rechten schauen. Vielleicht könnte auch die heutige
       Schule eine Patenschaft übernehmen. Aber was, fragt Heubner, wäre die
       Alternative? Das Denkmal nicht errichten, aus Furcht vor seiner
       Beschädigung? „Wir dürfen denen nicht das Feld überlassen. Die Brandmauer
       muss stehen“, sagt er und klingt ziemlich kämpferisch.
       
       70.000 Euro kosten die steinerne Bank und die Bronzefigur. 20.000 hat das
       Auschwitz-Komitee schon an Spenden dafür eingesammelt. Fehlen 50.000 Euro.
       Christoph Heubner hofft auf Unterstützung.
       
       21 Jun 2023
       
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       und dann 1945 in Bayern, wo er von der US-Armee befreit worden ist.