# taz.de -- Neuauflage „Die schwarzen Jakobiner“: Die erste Republik in der Karibik
       
       > Ein Klassiker über den Widerstand gegen die Sklaverei ist endlich auf
       > Deutsch neu aufgelegt: C. L. R. James' „Die schwarzen Jakobiner“.
       
 (IMG) Bild: Saint Domingue Haiti 1803
       
       Man … legt es wie einen Keim des Fluches … in den Boden; dann nährt es
       sich, breitet sich unbehindert aus und wächst auf natürliche Weise mit der
       Gesellschaft selbst, die es empfangen hat: dieses Übel ist die Sklaverei.“
       Was Alexis de Tocqueville in seiner Analyse „Über die Demokratie in
       Amerika“ (1835) zu den Wurzeln der Schreckensherrschaft formuliert hatte,
       reichte weit über die USA hinaus und beweist, wie kritisch sie im 19.
       Jahrhundert gesehen wurde.
       
       Nur seltsam, dass der französische Gesandte kein Wort über die Situation in
       den französischen Kolonien verloren hat – auch dorthin wurden Schwarze
       Menschen massenhaft verschleppt und versklavt.
       
       Unter den Aufrührern der [1][Französischen Revolution] in Paris 1789 gab es
       Stimmen, die die grausame Praxis der Sklaverei aus humanitären Gründen
       abschaffen wollten. Nur wurde in der Debatte keine Einigkeit erzielt, zu
       viel Profit durch die grausame Praxis erwirtschaftet. Die brutale
       Ausbeutung wurde rassistisch begründet: Schwarze, so stand in einer in
       jenem Revolutionsjahr 1789 in Paris publizierten Denkschrift, seien
       „ungerechte, grausame, barbarische Halbmenschen, verräterische,
       heimtückische Diebe … faule, unsaubere Furien und Feiglinge“.
       
       ## Hoher Profit
       
       500.000 Sklav:innen lebten auf Haiti. Allein zwei Drittel des
       französischen Überseehandels des Profits erwirtschaftete diese
       Überseekolonie. Auch dort galt der bereits 1685 in Kraft getretene „Code
       Noir“, ein Dekret des französischen Königs, das [2][Sklaverei] faktisch
       begründete und die Unterdrückung Schwarzer Menschen qua göttlicher Ordnung
       rechtfertigte: „Alle Eigentumsgesetze sind nur gerecht, wenn sie von der
       Meinung derer getragen werden, die als Eigentümer an ihnen interessiert
       sind“, hieß es in einem Text eines haitianischen Plantagenbesitzers, der
       damals zirkulierte.
       
       Widerstand gegen die Sklaverei war immer Teil dieser Geschichte der
       Ungerechtigkeit. Nur in der französischsprachigen Karibik überwanden
       Sklav:innen das Joch ihrer Unterdrückung von selbst und zwar auf Haiti.
       Bereits um 1720 flohen Tausende Sklav:innen, sogenannte Maroons, von den
       Plantagen in die Berge der Insel und stifteten in der Folge immer wieder
       andere dazu an, es ihnen gleichzutun.
       
       Sie überfielen regelmäßig Plantagen, ein Funke, der wenige Jahrzehnte
       später zur Haitianischen Revolution führte. Deren kriegerische
       Auseinandersetzungen zwischen 1791 und 1804 sollten als kollektiver
       Befreiungsakt gelesen werden, hervorgegangen „aus den Eingeweiden der
       Situation“, um mit Proudhon zu sprechen.
       
       ## Erstauflage 1938
       
       Als Klassiker und erstes wichtiges Buch zur Haitianischen Revolution gilt
       „The Black Jacobins“ des trinidadischen Marxisten C. L. R. James
       (1901–1989). Im Original bereits 1938 erschienen, entwickelte es sich nach
       Ende des Stalinismus zum einflussreichen Buch. Vorher war James, der sich
       mit Trotzki solidarisiert hatte, von Moskau aus mundtot gemacht worden. In
       Deutschland ist sein Werk so gut wie unbekannt geblieben. Obwohl es 1964
       erneut veröffentlicht wurde, mit einem neuen Nachwort von James.
       
       Umso verdienstvoller, dass der Berliner Verlag b_books nun eine obskure
       Übersetzung aus der DDR von 1984 aufgetan hat und diese, sprachlich
       aktualisiert und mit mehreren Essays versehen, wieder veröffentlicht. Sie
       zeigt, an dem emanzipativen Impetus von Cyril Lionel Robert James ist nur
       wenig veraltet. Er betreibe, so konstatiert Philipp Dorestal im Nachwort,
       „Historiografie nie nur um ihrer selbst willen, sondern war der festen
       Überzeugung, dass sich aus der Geschichte politische Lehren ziehen lassen,
       die in der Gegenwart Bestand haben“.
       
       Sowohl Vertreter:innen von afrikanischen Staaten haben sich seit den
       1950ern auf James’ Thesen vom resilienten Widerstand gegen Kolonialmächte
       bezogen als auch die US-Bürgerrechtsbewegung, der „The Black Jacobins“ bei
       ihrem Kampf gegen die Segregation als Blaupause diente. Noch heute wird
       „Die schwarzen Jakobiner“ – übrigens war James auch Verfasser eines Buches
       über die Sportart Cricket und ihre subversiven Bedeutungen in den
       ehemaligen britischen Kolonien – im postkolonialen Kontext als „aktiver
       Text“ (Stuart Hall) verstanden.
       
       ## Jahrelange Recherche in Paris
       
       James, der dafür Anfang der 1930er über mehrere Jahre im Pariser
       Nationalarchiv recherchiert hatte, bringt Zahlen, Daten und Fakten der
       Wirtschaftsgeschichte mit Ereignis- und Personengeschichte in Einklang. So
       wird das Drama der Haitianischen Revolution nicht nur in den Kämpfen auf
       der [3][Karibikinsel] entschlüsselt, sondern auch in den
       Geheimverhandlungen und Intrigen in Frankreich und im Europa der
       napoleonischen Kriege.
       
       Es beginnt im Prolog mit Kolumbus’ Eroberungsfeldzügen in der Neuen Welt,
       zeigt anschaulich, wie in den französischen Hafenstädten Bordeaux und
       Marseille der transnationale Handel florierte: Hier wurden Zucker und
       Kaffee aus Haiti mit Gewinn weiterverkauft, im Gegenzug französische Waren
       in die ganze Welt importiert. Immer wieder schaltet James zwischen Haiti,
       Frankreich und den USA hin und her, man verliert trotzdem nie den Faden,
       weil er die Geschehnisse packend schildert.
       
       Viele der haitianischen Aufrührer, allen voran der ehemalige Kellner
       Toussaint Louverture, waren Analphabeten, selbst noch Versklavte oder
       direkte Nachkommen von Sklaven. Militärische Erfahrungen sammelten einige
       von ihnen als Söldner aufseiten der USA während des Unabhängigkeitskrieges
       gegen England. Sie eigneten sich auch den revolutionären Duktus von 1789
       zügig an.
       
       ## Schluss mit dem Unrecht
       
       Forderungen im Kampf gegen die Korruption und Bereicherung von Adel und
       Klerus wurden in der Karibik radikal interpretiert und konsequent
       umgesetzt: Enteignung der Plantagen und der durch die Sklaverei
       entstandenen Besitztümer waren wichtige Maxime. Gleichheit, Freiheit,
       „Brüderlichkeit“ bedeutete in Haiti aber nicht nur Menschenrechte für alle
       anzuerkennen und Schluss mit dem Unrecht der Sklaverei zu machen.
       
       Der korrupten Kolonialregierung wurde etwa mit der Schaffung einer
       Küstenwache begegnet, um dem Schmuggel Einhalt zu gebieten. Man
       vereinheitlichte die Steuergesetzgebung, um den Handel mit Europa und
       Amerika anzukurbeln, teilte die Inselverwaltung in Departements ein, die
       bis heute bestehen, baute Schulen und legte Straßen an. Als 1804
       schließlich die Unabhängigkeit des Landes und eine Republik in der Karibik
       proklamiert wurde, war dies nur möglich geworden, weil sich die schwarze
       Bevölkerung in den Jahren zuvor hartnäckig gegen militärisch überlegene
       Franzosen gewehrt hatte, aber auch britischen, US-amerikanischen und
       spanischen Interventionsversuchen unter großen Opfern widerstand.
       
       Zudem kam den Schwarzen eine Gelbfieberepidemie zuhilfe, der vor allem die
       Weißen zum Opfer fielen. In der westlichen Geschichtsschreibung blieb
       lediglich die Brutalität der Aufständischen gegen französische Soldaten,
       Kolonialherrn und ihre Familien im Gedächtnis, dabei wurde verschwiegen,
       dass sich auch Weiße der haitianischen Revolution angeschlossen haben.
       
       Haiti ist nie über seinen Status als [4][Schrottplatz des Weltgeschehens]
       hinausgekommen. Daran ändert auch nichts die Revolution auf der Insel.
       Michael Hardt und Antonio Negri haben sie als „Wasserscheide der modernen
       Sklavenaufstände“ bezeichnet. „Die schwarzen Jakobiner“ von C. L. R. James
       beweist nachdrücklich, dass es sich dabei nicht nur um ein Gemetzel ohne
       „Weltgeist“ gehandelt hat.
       
       21 Dec 2021
       
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