# taz.de -- Schau über Anfänge der modernen Malerei: Von der Lupe zum Wow
       
       > Eine Kölner Ausstellung über den Salon de Paris präsentiert die Erzählung
       > vom Urknall der Moderne in der Kunst. Das ist eine widersprüchliche
       > Angelegenheit.
       
 (IMG) Bild: Entspannung mit wildem Tier: „Der heilige Hieronymus“ von Jean-Léon Gérôme, 1874
       
       Die Legende von der Geburt der Moderne, sie geht wie folgt: Der Salon de
       Paris zeigte alljährlich die auserkorenen neuen Kunstwerke. Wer hier
       ausstellte, war der internationalen Karriere nah. 1863 kam es zum Eklat,
       die konservative Auswahlkommission missachtete vor allem Arbeiten der
       jungen, Konventionen brechenden Freilichtmalerei. Dies führte zu heftigem
       Widerspruch, der in der Ausstellung „Salon des Refusés“ gipfelte. Sie
       leitete zum Impressionismus, dem Beginn der Moderne in der Kunst. Soweit
       der von Kunstlehrern, zahllosen Texten, Radioessays und TV-Sendungen
       verbreitete, heroische Hergang.
       
       Eine machtvolle Erzählung. Auch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum lockt
       die Besucher seiner Ausstellung „1863 – Paris – 1874“ mit dem Untertitel
       „Revolution in der Kunst“. Zugleich zeichnen Wandtexte und Katalog ein
       differenzierteres Bild. Die Zeit scheint reif dafür.
       
       Als 2011 das Wallraf-Richartz eine Retrospektive des Werks von
       [1][Alexandre Cabanel] wagte, sprach noch aus mancher Rezension
       gratismutiger Einsatz, für die vor über 100 Jahren gewonnene Revolution:
       Salon, bah, und dieser Cabanel, saß er nicht 1863 in der Jury, die den
       jungen Malern die Tür wies? – Nun ist seine „Venus“, fern ihres
       Ehrenplatzes im Pariser Musée d’Orsay, wieder in Köln zu Gast, und die
       Besucher verharren staunend vor dem Werk.
       
       Im Raum, der zu Beginn der Ausstellung den Salon des Jahres 1863
       nachstellen soll, räkelt sie sich im provokanten Hellblau des makellosen
       Farbauftrags, allein die künstlichen Flügel der sie umschwirrenden Putten
       irritieren. Gegenüber noch eine Venus: Paul Baudry beschränkt den die
       Darstellung der Nacktheit legitimierenden mythischen Bezug auf einige
       Muscheln zu Füßen der Liegenden, die den Betrachter direkt anblickt.
       
       ## Der Salon zeigt seine Antithese
       
       Die Frau als potenzielle Verführerin, heute eher Männerfantasie, einst auch
       Geste eines Selbstbewusstseins, das zu der, in Angst vor Frauen
       erstarrenden Zeit, zum Skandalon wurde. Skandale überall! Da ist
       [2][Jean-François Millets riesenhafter, zugleich von der Arbeit auf einem
       kargen Acker gezeichneter, verwundet, ja deformiert scheinender Bauer].
       „Der Mann mit der Hacke“ – der Salon de Paris zeigt 1863 seine Antithese.
       
       Im Dienste der ursprünglichen Revolutionserzählung wirkt auch vieles was
       folgt, kontraproduktiv. Aus Museen und Sammlungen weltweit stellte man
       einen immens faszinierenden Einblick in Werke der Salons bis 1874 zusammen.
       Warum bis 1874? Zum 150. Mal jährt sich in diesen Tagen die Eröffnung der
       „Première exposition“ der ersten unabhängigen Künstlergesellschaft, sie
       gilt als Beginn der modernen Avantgarden.
       
       Alsbald wurden sie „die Impressionisten“ genannt. Die entsprechende
       Jubiläumsausstellung zeigt das Musée d'Orsay in Paris. So enthält der in
       Köln die „Première exposition“ thematisierende Raum auch keines der damals
       gezeigten Werke.
       
       Dies schwächt den Eindruck der Ausstellung kaum, will doch anderes gesagt
       werden. Ein Mythos wird hinterfragt. Statt der auf den Salons vielzählig
       gezeigten standesgemäßen Portraits, statt der Historienmalerei und des
       Neoklassizismus wirft die Ausstellung Schlaglichter auf all das keinesfalls
       Konservative, das die Salons zu bieten hatten.
       
       Die Zartheit Maria Magdalenas, die Pierre Puvis de Chavannes 1870 zeigte,
       kontrastiert mit der schroffen und bei längerer Betrachtung völlig abstrakt
       wirkenden Felswüste, die sie umgibt. Sein Werk sowie jene von Gustave
       Moreau und auch Corots düsteres „Fest des Bacchus“ weisen bereits auf den
       dem Impressionismus folgenden Symbolismus.
       
       ## Die Hauptfigur löst sich aus jeglichem mythischen Bezug
       
       Laurent Bouviers „Ägypter“ erscheint als Inspiration für die neue
       Sachlichkeit der 1920er Jahre, ja für die [3][Pop-Art David Hockneys]. Und
       Joséphine Bowes Gischt der einsetzenden Flut bei Boulogne-sur-Mer weist
       über ihre Nähe zum Realisten Gustave Courbet hinaus zur aufkommenden
       Freilicht-Avantgarde.
       
       Bereits vor 1863 gab es Ausstellungen abgelehnter Arbeiten, doch keine war
       so offensiv wie jener „Salon des Refusés“. Fünf tatsächlich Zurückgewiesene
       werden gezeigt. Frédéric Bazilles „Fischer mit Wurfnetz“ löst seine
       Hauptfigur nicht nur effektvoll aus dem Hintergrund, sondern auch aus
       jeglichem mythischen Bezug, er ist einfach nackt, sexy.
       
       In Paul Cézannes Porträt eines Freundes weist der dramatische Farbauftrag
       der Hautpartien ins kommende Jahrhundert, und doch sitzen am Ende des
       Rundgangs im Raum der „Refusés“ zwei junge Besucher vor Claude Monets
       großformatigem, geheimnisvollen Gemälde „Frauen im Garten“ und fragen sich,
       warum die Werke nun abgelehnt wurden. Sie verweilen, erwähnen das dem
       Räumlichen trotzende Stoffmuster eines Kleids und suchen die Revolution.
       
       Im Hinblick auf das visuelle Erleben muss der wohlgestaltete Katalog
       enttäuschen. Reproduziert verlieren die Bilder einfach zu viel, ein
       unvermeidliches Scheitern. Doch verrät es mehr über den Charakter des
       Wandels der Kunst ab 1863, als es jede Erläuterung vermag.
       
       In den Abbildungen verloren geht der so müde wie machtvoll aufblitzende
       Blick in den Augen von Cabanels Venus, nicht mehr nachzuvollziehen ist die
       fauvistische Wirkung der zu einem Meer wilder Farbpunkte reduzierten
       Feldblumen in Antoine Chintreuils „Regenschauer“ oder das einer
       Max-Ernst-Frottage gleichende, aber minutiös gemalte Grün im Théodore
       Rousseaus surreal wirkender Landschaft. All diese Details müssen in der
       Erinnerung weiterleben.
       
       ## Die Drastik eines Claude Monet
       
       Ebenso das massive Grün von Alfred Sisleys „Edelkastanienallee“, in deren
       Verkleinerung das Reh viel konturierter erscheint und nicht beim Entdecken
       verblüfft, auch das flimmernde Lichtspiel in Berthe Morisots „Kind zwischen
       den Steckrosen“ und die massive Drastik von Monets „Grüner Welle“, sie sind
       nun verloren. War das die Wende, die 1863 eingeläutet wurde?
       
       Von einer Kunst, die ihre Wirkung und Bedeutung oft erst dem nahen
       Detailblick offenbarte, hin zu einer Kunst, die die Größe der Leinwand
       braucht, um ihre Wahrheit zu transportieren. Von der Lupe zum Wow, das ist
       die große Geschichte. Die vermittelt diese so sehenswerte Ausstellung.
       
       23 Mar 2024
       
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